Kommentar

Sinkende Wasserstände in unseren Seen: Die Apokalypse schwimmt mit

Das Klima verändert sich global, das ist klar, doch solange die Nachrichten aus abgelegenen Orten kamen, blieb die Krise abstrakt. Vor der eigenen Haustür sieht die Sache plötzlich anders aus. Die eigene Ignoranz verpufft so wie das Wasser aus dem Lieblingssee. Ein besorgter Kommentar von Jacek Slaski.

Sinkender Wasserstand in einem See in Brandenburg, Foto vom 3. August 2022. Foto: Imago/Martin Müller
Sinkender Wasserstand in einem See in Brandenburg, Foto vom 3. August 2022. Foto: Imago/Martin Müller

Ignoranz hat uns in die globale Klimakrise geführt

Ignoranz ist wohl das Hauptproblem, das uns in die missliche Situation der globalen Klimakrise gebracht hat. Trotz aller Warnungen, Berichte und Studien wollten wir nicht hören. Vom Club of Rome bis Greta Thunberg blieben die alarmierenden Rufe weitestgehend unerhört. Selbst heute sind die Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Erderwärmung und alle damit zusammenhängenden Konsequenzen einzudämmen, ein Witz. 

Marc-Uwe Kling, der Schöpfer der „Känguru-Chroniken“, in dessen neuem Film „Die Känguru-Verschwörung“ die Klimakrise und Verschwörungstheorien von Klimakrisenskeptikern eine zentrale Rolle spielen, sagte kürzlich im tip-Interview, dass das, was wir als globale Gesellschaft gerade gegen die Klimakrise unternehmen, in etwa so wirksam sei, als würde man einen Waldbrand löschen können, indem man dagegen pinkelt. 

Kling hat recht, wir tun zu wenig. Die Politik, die Wirtschaft, wir alle. Den meisten von uns ist das irgendwie klar. Trotzdem fliegen wir mal schnell nach London zum Konzert, nach Krakau auf ein Bier oder gleich nach New York oder Australien, wir grillen saftige Steaks und würzige Würste in unseren Gärten und nicht wenige fahren gerne die paar Kilometer von der Wohnung bis zum Büro mit dem Auto. So schön ist das Leben im Widerspruch und sagte nicht mal jemand, ein richtiges Leben im falschen gäbe es sowieso nicht?

Ausgetrockneter Fischteich in Brandenburg, Foto vom 9.8.2022. Foto: Imago/Jochen Eckel
Ausgetrockneter Fischteich in Brandenburg, Foto vom 9.8.2022. Foto: Imago/Jochen Eckel

Ich erinnere mich an frühe Reportagen zur Klimakrise, da war die Sache mit dem sauren Regen und dem Ozonloch gefühlt vorbei, das neue große Umweltthema in den Medien wurden das viele CO2 und die Erderwärmung. Das war in den 1990ern, ein Vierteljahrhundert her. Ich las Artikel über den austrocknenden Aralsee, über die Eisschmelze am Nord- und Südpol und über die steigenden Meeresspiegel, was zu Überschwemmungen auf den Seychellen und Thailand führen könnte, nicht aber in den Niederlanden, die haben nämlich ein kluges System aus Dämmen und Deichen.

Aralsee, Seychellen, Nordpol. Das war alles weit weg. Hier in Europa sind wir gut aufgehoben, wird schon nicht so schlimm werden, der Wald ist ja auch nicht gestorben, wie die Ökofuzzis in den 1980ern prophezeit haben. So habe ich mich getröstet. Die Stimmung änderte sich, langsam aber stetig. Von Al Gores Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ (2006) bis zu den Aktivisten von der Letzten Generation, die sich an den Asphalt kleben, war es ein langer Weg.

Irgendwann wurden die Sommer immer heißer, auch in Berlin

Irgendwann wurden die Sommer immer heißer, auch in Berlin, der Regen fiel aus, die Stadtbäume ächzten und das globale Problem klopfte an der eigenen Haustür. Plötzlich ging es in den Klimakrisen-Nachrichten nicht mehr um entlegene Regionen, nicht um Kalifornien und Südspanien, sondern um Brandenburg und die Mecklenburgische Seenplatte.

Seit ein paar Jahren verbringe ich immer mehr Zeit im Berliner Umland. Vor allem im Sommer. Der See in der Nähe ist mein großes Glück. Kühl, groß und selbst an den heißesten Tagen nicht übermäßig voll. Doch es gibt Ärger im Paradies. Der Wasserstand in „meinem“ See sinkt, ein Skandal! Gefühlt von Woche zu Woche geht das Wasser zurück. Unheilvoll werden die gelben Stellen am Schilf länger, vom letztjährigen Ufer muss man jetzt einen Meter über klammen Sand gehen, bis man im Wasser steht und auch nach zehn Metern hat man immer noch den Grund unter den Füßen. Kommt das Wasser zurück? Keine Ahnung. Die Abkühlung im See wird zum Mahnmal, einem Mahnmal der eigenen Ignoranz. 

Die Apokalypse kreist über meiner Datsche

Die Klimakrise ist da, hier und jetzt, in Berlin und genauso in Brandenburg, ich kann sie sehen und anfassen, sie ist bei bestem Willen nicht mehr wegzudiskutieren, sie ist lokal. Trockenheit, Waldbrände, gekippte Seen: Die Apokalypse kreist über meiner Datsche. Die große Frage ist aber, wie gehe ich mit der Situation um? Mehr Fahrradfahren, aufs Fleisch verzichten, keine Flugreisen mehr? Doch reicht das und was soll das eigentlich, wenn weiterhin die Formel 1 stattfindet, in Katar Fußballstadien gebaut werden, das Hähnchenfilet beim Discounter zwei Euro kostet und die Kreuzfahrtschiffe auf den Ozeanen unterwegs sind?

Ich kann diese Fragen nicht beantworten, ich bin ratlos. Dabei will ich eigentlich nur in den See springen, ohne mir über unseren Planeten Sorgen machen zu müssen. Doch das geht nicht mehr, die Apokalypse schwimmt mit.


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