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Basisdemokratie

Volksentscheide: Von Grundeinkommen bis autofrei – so sind die Chancen

In Berlin dürfen Einwohner:innen die Politik mitbestimmen – mittels Volksbegehren. Gerade
ist eine Unterschriftensammlung gestartet, die unsere Metropole zur Frontstadt des Klimaschutzes machen könnte. Welche Volksbegehren aktuell außerdem laufen, haben Martin Schwarzbeck und Philipp Wurm zusammengestellt.


Volksentscheid „Berlin 2030 Klimaneutral“

Klimaneutral bis 2030 – ein Volksentscheid, der auch diesen Fridays-For-Future-Anhänger:innen auf einer Demo im Regierungsviertel gefällt. Foto: Imago/Ipon

Worum geht es? Um die Heilung von Mutter Erde. Die Operation soll in Berlin beginnen: Bis 2030 sollen beispielsweise die CO2-Emissionen der Stadt um 95 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Individuelle finanzielle Belastungen wegen klimapolitischer Maßnahmen wollen die Urheber:innen des Begehrens sozial abgefedert sehen.

Was ist der Stand? Die Unterschriftensammlung für die zweite Stufe läuft noch bis Mitte November. Unterschriftenlisten gibt es unter berlin2030.net/unterschreiben.

Was soll man davon halten? Die Verschärfung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes, die die Aktivist:innen zur Abstimmung stellen wollen, ist radikal. Aber die kompromisslose Linie könnte zum Trumpf werden. Die Zeit im Kampf gegen den Klimawandel eilt bekanntermaßen.

Dafür Basis-Grüne, Konsumverächter, alle, die sich Sorgen wegen des Klimawandels machen
Dagegen Verband der deutschen Automobilbranche, Fans von Bratwürsten und Buletten,
Ulf Poschardt

Erfolgsaussichten


Volksentscheid Grundeinkommen

Die Macher:innen hinter dem Volksentscheid zu einem bedingungslosen Grundeinkommen haben schon fleißig plakatiert – hier an einer Straße auf der Halbinsel Stralau. Foto: Imago/Zonar

Worum geht es? Um mehr finanzielle Unabhängigkeit für Lebenskünstler:innen mittels bedingungslosem Grundeinkommen. 3.500 Menschen sollen in Berlin für drei Jahre vom Staat ein monatliches Salär in Höhe von 1.200 Euro kassieren. Das Modellprojekt würde von einer Forschungsgruppe eskortiert. 70 Millionen Euro soll der Testlauf kosten, bezahlt vom Fiskus.

Was ist der Stand? Die Unterschriftensammlung für die zweite Stufe läuft noch bis zum 5. September. Unterschriftenlisten gibt es unter volksentscheid-grundeinkommen.de/unterschreiben.

Was soll man davon halten? Die Initiative fährt gerade eine massive Plakatkampagne in der Stadt. Trotzdem wird es sportlich, die nötigen Signaturen für den spannenden Feldversuch zusammenzubekommen. Vor allem die Berliner:innen jenseits der Szene-Stadtteile dürften mit diesem Selbstverwirklichungsprojekt aus urbanen Akademikerkreisen wenig anfangen können.

Dafür Langzeitstudierende, freischaffende Künstler:innen, Holm Friebe
Dagegen SPD, Arbeitgeberverband

Erfolgsaussichten


Volksentscheid „Berlin autofrei“

Aktivist:innen sammeln Unterschriften für den Volksentscheid „Berlin autofrei“ . Foto: Imago/Mike Schmidt

Worum geht es? Um das Ende des Individualverkehrs auf innerstädtischem Straßenland. Nur noch Busse, Taxis sowie Einsatz- und Servicefahrzeuge sollen dort über den Asphalt rollen dürfen. Ein Turbo für die Verkehrswende.

Was ist der Stand? 50.333 Unterschriften hatten die Wegbereiter des postfossilen Zeitalters im August 2021 gesammelt – und damit die erste Verfahrensstufe gemeistert. Doch der Senat verschmäht das Aus für private Autos in der Innenstadt. Die Innenverwaltung hält den Gesetzentwurf für unrechtmäßig. Ab September wird das Landesverfassungsgericht das Papier prüfen. Ein Streitpunkt ist die Verhältnismäßigkeit: Rechtfertigt der Klimaschutz den starken Eingriff in Individualrechte?

Was soll man davon halten? Wenn das Landesverfassungsgericht keine Bedenken hat, muss sich das Abgeordnetenhaus mit dem Vorhaben beschäftigen. Sollten die Lokalpolitiker:innen das Ansinnen ablehnen, beginnt „Berlin autofrei“ mit der Unterschriftensammlung für die zweite Stufe. Dann könnte der Klimawandel so real sein, dass sich massenweise Berliner:innen hinter das Projekt scharen.

Dafür Radler:innen, Fußgänger:innen, Taxibranche
Dagegen FDP, Autotuner-Szene, Pendler:innen

Erfolgsaussichten 


Volksentscheid für Transparenzgesetz

Volkentscheid Transparenz: ein Bürgerbegehren, das von NGOs wie dem BUND, Wikimedia, Reporter ohne Grenzen oder Foodwatch unterstützt wird. Hier haben sich Befürworter:innen vor dem Roten Rathaus versammelt. Foto: Imago/Christian Ditsch

Worum geht es? Den Mächtigen auf die Finger gucken und unsere Stadt besser machen. Und zwar indem Regierung und Behörden alle Daten, die nicht die Privatsphäre von Einzelpersonen tangieren, maschinenlesbar veröffentlichen. Das hieße: keine sittenwidrigen Sauereien beim Ausverkauf von Landeseigentum mehr. Keine geheimen Treffen mit Lobbyist:innen. Dafür öffentliche Kontrolle der 200 Landesunternehmen und eine zentrale Plattform, die jeder/m einen berlinweiten Überblick über zum Beispiel die Kita-Situation, Unfallschwerpunkte oder Luftqualität bietet.

Was ist der Stand? Die Landesregierung will noch dieses Jahr ein eigenes Transparenzgesetz beschließen. Der Entwurf der Initiative ist dabei Inspiration. Ob sie Stimmen für ein schärferes Gesetz sammelt, will die Initiative 2023 entscheiden.

Was soll man davon halten? Das Transparenzgesetz wird ein wichtiger Schritt zu mehr Überblick über das Handeln von Verwaltung und Politik.

Dafür Journalist:innen; App-Entwickler:innen, Nerds
Dagegen Korrupte Politiker

Erfolgsaussichten


Volksentscheid „Berlin werbefrei“

Kein Bock auf Werbung im öffentlichen Raum – der Volksentscheid „Berlin werbefrei“ hat eine klare Meinung zu übergriffiger Selbstbeweihräucherung von Unternehmen. Foto: Imago/Ipon

Worum geht es? Freie Sicht für freie Bürger. Die Initiative „Berlin werbefrei“ will Plakatwände abbauen lassen, Werbe-Bildschirme verbieten und die dann noch verbliebene Werbung mit gestalterischen Vorgaben besser ins Stadtbild integrieren.

Was ist der Stand? Aktuell wird die Zulässigkeit eines überarbeiteten Gesetzentwurfes in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport geprüft.

Was soll man davon halten? Das Friedrichshainer Vergnügungsviertel, das immer so heißt, wie der Hauptsponsor, zeigt sehr deutlich die Macht der Marken über die Stadt. Wäre es nicht schön, wenn wir ihren nervigen Botschaften ein bisschen weniger ausgesetzt wären?

Dafür Ästhet:innen, Flaneur:innen, Konsumkritiker:innen
Dagegen Mercedes-Benz, Parship, Werbeagenturen, Karls Erdbeerhof

Erfolgsaussichten


Volksentscheid „Demokratie für alle“

Ein prominenter Zeitgenosse, der für den Volksentscheid „Demokratie für alle“ wirbt, ist der Menschenrechtsaktivist Raúl Krauthausen. Foto: Imago/Pop-Eye

Worum geht es? Mehr Demokratie wagen! Denn über die politische Entwicklung bestimmen oft nur biodeutsche Silberrücken jenseits der 50. Diese Initiative fordert eine Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahren im Land Berlin, das Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass, sobald sie drei Jahre in Deutschland leben, und die Möglichkeit, Volksbegehren elektronisch zu unterschreiben.

Was ist der Stand? 25.499 Unterschriften haben die Initiator:innen am 14. Juni im Abgeordnetenhaus eingereicht. Das Stadtparlament muss sich jetzt das Kommuniqué des Bündnisses anhören – nach der Sommerpause.

Was soll man davon halten? Demokratie für alle ist nur eine Volksinitiative, kein Volksentscheid. Nach der Anhörung vor dem Abgeordnetenhaus ist hier Schluss mit der basisdemokratischen Einflussnahme. Das Wahlrecht für alle kann außerdem nur der Bund beschließen. Und die Verjüngung des minimalen Wahlalters auf 16 wollen Rot-Rot-Grün und die FDP in Berlin sowieso noch dieses Jahr beschließen.

Dafür Friday-For-Future-Kids, Geflüchtete, Graswurzel-NGOs
Dagegen CDU, AfD, Bridge-Klubs in Grunewald

Erfolgsaussichten


Volksentscheid „Für mehr Videoüberwachung

Big Brother lässt grüßen: Die Anhänger:innen des Volksentscheids „Für mehr Videoüberwachung“ wollen mehr Überwachungskameras in Berlin. Foto: Imago/Future Image

Worum geht es? Der ehemalige Berliner Justizsenator Thomas Heilmann, CDU, jetzt Bundestagsmitglied, will mehr Videoüberwachung in Berlin sowie Gesichtserkennungs- und Verhaltensanalyse-Systeme.

Was ist der Stand? Genug Unterschriften für die erste Stufe haben Heilmann und seine Mitstreiter zusammengetragen, doch der Senat lehnte den Gesetzentwurf 2018 ab und ließ ihn durch Berlins Verfassungsgericht prüfen. Das entschied 2020, der Senat hätte seine Bedenken erst mit Heilmann besprechen sollen. Jetzt dürften die Initiator:innen noch einmal an der Formulierung feilen. Seitdem liegt der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens auf Eis.

Was soll man davon halten? „Dass das Gesetz mit dem Datenschutz nicht vereinbar ist, steht fest“, sagt Maja Smoltczyk, Berlins Datenschutzbeauftragte bis 2021.

Dafür Polizei, Immolobby, Heinz Buschkowsky
Dagegen Kamerascheue, Datenschützer:innen, Handtaschenräuber:innen

Erfolgsaussichten


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Die Liste mit Ideen, die Berlin lebenswerter machen würden, ist lang – für Vorstöße wie eine strengere Kontrolle der Polizei, etwa im Hinblick auf rechtsextreme Umtriebe, oder eine umfassende Digitalisierung der Behörden, fehlen bloß die passenden Bürgerbegehren. Ein großer Erfolg war das Referendum der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ 2021. Erhitzt diskutiert wird über das Zukunftsszenario des Volksentscheids „Berlin autofrei“. Dabei sind die Argumente für eine City, die vom motorisierten Individualverkehr befreit ist, gar nicht so abwegig. Mehr zum Stadtleben in Berlin findet ihr hier.

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