Interview

Proteste gegen Krieg: So aktiv ist Berlins ukrainische Community

In der Ukraine herrscht Krieg und in Berlin hat sich eine junge Community formiert, die ihren Protest gegen den Einmarsch Russlands lautstark auf Berlins Straßen bringt. Wir haben mit Anton Dorakh, einem der Iniitiator:innen, über Gemeinschaft und Solidarität gesprochen

Demonstration für die Solidarität mit der Ukraine vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 24.02.2022. Foto: Imago/photothek
Demonstration für die Solidarität mit der Ukraine vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 24.02.2022. Foto: Imago/photothek

Schon seit Monaten zogen an der Grenze zwischen Ukraine und Russland russische Truppen auf. Was von russischer Seite als Militärmanöver bezeichnet wurde, galt in der Ukraine als Aggression. Nach der Anerkennung der Separatistengebite Donezk und Luhansk durch den russischen Präsidenten Putin sind russische Panzer in der Nacht auf den 24. Februar dann tatsächlich in weitere Landesteile der Ukraine einmarschiert.

Bereits seit Wochen gehen Ukrainer:innen in Berlin auf die Straßen. Besonders aktiv dabei ist die Initiative Vitsche, die Anton Dorakh zusammen mit Freund:innen gegründet hat. Der 28-Jährige ist in der umkämpften ukrainischen Region Donzek aufgewachsen, lebt seit sieben Jahren in Berlin und hat lange als Journalist gearbeitet bervor er sich der Kunst widmete.

Der Krieg gegen die Ukraine geht alle an

tipBerlin Als Sie heute morgen aufgewacht sind , was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?

Anton Dorokh Ich habe mir den gestrigen Abend frei genommen, mein Telefon ausgeschaltet und bin zu Freunden gegangen, um meine Batterien wieder aufzuladen nach diesen anstrengenden Tagen. Heute morgen wache ich um zehn Uhr auf und bekomme als erstes Nachrichten von Freunden, dass sie bombardiert werden und sich jetzt in den Kellern verstecken. Die ersten zehn Minuten habe ich nur gezittert, habe dann meine Familie und Freunde in der Ukraine angerufen – alle sind sicher. Das hat mich beruhigt.

tipBerlin Haben Sie mit einem Einmarsch gerechnet?

Anton Dorokh Wir haben es bei jeder Demo gesagt. Seit Wochen sprechen wir davon, dass dieser Krieg schon acht Jahre läuft und eskalieren wird. Und so ist es jetzt gekommen. Und wenn jetzt nicht endlich alle aufwachen, stehen diese Panzer bald an den Grenzen Europas.

tipBerlin Worauf kommt es jetzt an?

Anton Dorokh Ich will, dass die Berliner:innen auf die Straße gehen und uns unterstützen. In diesem Krieg geht es nicht mehr nur um die Ukraine, das tat es nie. Es geht um ganz Europa. Und ich möchte, dass wir alle vor den Botschaften, vor dem Kanzleramt, vor dem Brandenburger Tor zusammenkommen und verlangen, dass die Politik endlich entschieden handelt. 

Anton Dorokh bei einem Treffen in einer Kreuzberger Bar. Foto: Ina Hildebrandt
Spricht für ukrainische Gemeinde: Anton Dorokh, Mitbegründer von Vitsche bei einem Treffen in einer Kreuzberger Bar. Foto: Ina Hildebrandt

tipBerlin Sie haben mit anderen die Initiative „Vitsche“ gegründet, die nun auch Protest organisert.

Dorokh „Vitsche“ ist ein altes ukrainisches Wort für eine Zusammenkunft von Menschen, die einer Gemeinschaft angehören und sich beraten, wie sie mit einer problematischen Situation umgehen sollen. Es repräsentiert unsere Identität und auch das Zusammenkommen für einen politischen Wandel. Es kommen immer mehr Leute hinzu und das Organisationsteam besteht mittlerweile aus elf Menschen. 

tipBerlin Bevor die Lage eskaliert ist, gab es wenige Proteste. Es hat aber etwas gedauert, bis die ukrainische Community auf die Straßen gegangen ist. Warum?

Dorokh Ja, absolut. Das lag daran, dass wir nicht wirklich eine ukrainische Community hier hatten. Ich kannte einige Aktivist:innen, die während dem Maidan hier etwas gemacht haben, aber die sind in Projekten eingespannt, waren bereit zu kommen aber hatten nicht genug Zeit, das zu organisieren. Da habe ich begriffen, dass es zwar eine ukrainische Community gibt, diese aber nicht aktiviert ist. Also ging es erst mal darum, gerade die jungen Leute miteinander zu verbinden und die Aufgaben so zu verteilen, dass jeder das Schaffen kann neben Studium und Job.

Flüchtlinge aus der Ukraine sollen wissen, dass ihnen in Berlin geholfen wird

tipBerlin Haben Sie und Ihre Mitstreiter:innen auch eine Art Pflichtgefühl gegenüber Ihren Familien und Freunden in der Ukraine?

Dorokh Ich denke, dass unsere Arbeit für die Menschen dort sehr wichtig ist. Zumindest von meinen Freunden höre ich, wie viel ihnen unser Support hier bedeutet und das pusht uns. Wir sprechen auch in der Gruppe darüber, dass im Falle einer Eskalation unsere Protestaktionen nicht mehr ausreichen. Es wird notwendig sein, schnell Camps für die Flüchtenden vorzubereiten. Denn es werden viele kommen und ich möchte Menschen, gerade Angehörigen der Queer-Community, einen Safe-Space schaffen. Die Leute dort sollen wissen, dass wir da sind und ihnen helfen werden.

Die ukrainische und internationale Community geht in Berlin auf die Straßen, um Solidarität für die Ukraine zu fordern. Foto: Kseniia Siviva
Die ukrainische und internationale Community geht in Berlin auf die Straßen, um Solidarität für die Ukraine zu fordern. Foto: Kseniia Siviva

Stärkere Vernetzung in Berlin ist nötig, um wirksam gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren

tipBerlin Kiew hat sich zu einer angesagten Party-Destination entwickelt, vor allem bei den lockdown-geplagten Berliner Clubkids und Party-Veranstalter:innen. Haben Sie den Eindruck, dass das auch zum Interesse an der Ukraine beiträgt?  

Dorokh Es ist großartig zu sehen, wie sich die Clubszene dort entwickelt und mit Leuten abzuhängen, die man eben aus Berlin kennt. Aber als in der aktuellen Situation bin etwas enttäuscht, denn ich hätte mir von der Clubszene eine klare Reaktion erwartet. Ich war am 29. Januar bei der Berliner Party von Pornceptual in Kiew und hatt die Veranstalter zuvor darauf angesprochen, die Crowd über die Situation im Land etwas aufzuklären. Aber stattdessen ging es in der öffentlichen Kommunikation eher darum, den Partygästen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Die Party ist gesichert! Daher sehe ich gerade nicht, dass Menschen, die auf Raves in Kiew gehen, auch unbedingt zu den Protesten hier kommen. Das ist schade. Ich denke, es ist möglich, die Leute aufzuklären und zugleich die ukrainische Clubkultur abzufeiern.

tipBerlin Was hat Vitsche noch vor?

Dorokh Ich muss sagen, dass ich das Gefühl habe, dass man in Deutschland, also gerade in Berlin, wirklich etwas verändern kann. Zu sehen, dass die Medien auf uns zukommen und sogar auch Politiker:innen vom Bundestag, ist eine große Motivation und gibt mir Zuversicht. Wir möchten uns mit weiteren Organisationen und Akteuren in der Stadt vernetzen, auch ukrainische Berliner:innen außerhalb unserer Gruppe erreichen. Unsere Vision für Vitsche ist es, Kulturevents wie Theater, Konzerte und Konzerte zu veranstalten aber auch aufzuklären über die Geschichte, die Gesellschaft und aktuelle Entwicklungen in der Ukraine. Wir möchten der ukrainische Community Sichtbarkeit und Gehör verschaffen und damit auch dem Land selbst.

  • Europäischer Tag der Solidarität mit der Ukraine, Pariser Platz, 19.2. 15 Uhr – In Berlin werden wie in vielen europäischen Städten Kundgebungen zur internationalen Kampagne „Stand with Ukraine“ stattfinden.

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