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Queer und katholisch in Berlin: Kleine Gemeinden entstauben den Vatikan

Wer queer und katholisch ist, wird von der Kirche in ein Doppelleben gezwungen. Die Freiheit, sich zu entfalten, zu sich und der eigenen Sexualität zu stehen, geblockt durch als Traditionsbewusstsein missverstandene Homophobie. Mitglieder der katholischen Kirche müssen bei einem Outing mit Ausgrenzung rechnen, Arbeitnehmer:innen mit dem Jobverlust. Doch es gibt auch Gemeinden und Initiativen, beispielsweise das Gruppen-Outing „Out in Church“, die damit brechen. Für sie schließen sich queer und katholisch eben nicht aus. Sie zeigen: Nicht alles, was die Weltkirche sagt, wird auch von der gesamten Institution umgesetzt.

Fehlt weiterhin der Reformwille vonseiten kirchlicher Oberhäupter, fehlen früher oder später auch diejenigen, die ihnen zuhören. Foto: Imago/ Future Image/F. Bungert

Queer, katholisch und im Kirchenvorstand

„Wie die Weltkirche mit Homosexuellen umgeht, ist ein Kapitel für sich“, sagt Stefan Rolle im Gespräch mit tipBerlin. Er ist homosexuell, katholisch und gehört zum Vorstand der Berliner Kirchengemeinde Maria unter dem Kreuz. Evangelisch sozialisiert trat er mit 22 Jahren aus der Kirche aus, um dann nach zehn Jahren kirchenkritischer Zeit katholisch zu werden. Mittlerweile ist er 59. An der Vereinbarkeit von Glaube und Homosexualität hat er nie gezweifelt. Brauchte er auch nicht. „Ich mache aus meiner Homosexualität keinen Hehl und nie hat mich ein Gemeindemitglied doof angeguckt, geschweige denn ablehnend behandelt.“ Auch nicht, als er bei der Wahl um seinen Vorstandsposten das Thema ansprach.

In der Kirche gibt es diesbezüglich generell verschiedene Strömungen. Da wäre etwa die Weltkirche, die zwar für den Schutz gleichgeschlechtlicher Paare plädiert, ihre Segnung aber ablehnt. Oder katholische Einrichtungen, die queere Arbeitnehmer:innen dazu auffordern, ihre Identität zu verstecken. Initiativen wie „Out in Church“, bei der sich mehr als 100 Gläubige in die Öffentlichkeit wagten und sich outeten, erfordern entsprechend Mut. Dass sich ohnehin etwas ändert, wenn auch im Kleinen, zeigen Pastoren und ihre Gemeinden, die sich von den angestaubten Wertvorstellungen der Weltkirche distanzieren. Sie hängen Regenbogenflaggen an den Fenstern ihrer Kirche auf und segnen homosexuelle Paare.

Queer und katholisch: Stefan Rolle ist seit rund 30 Jahren Mitglied der Religionsgemeinschaft. Aus seiner Homosexualität hat er in dieser Zeit nie ein Geheimnis gemacht. Foto: Privat
Queer und katholisch: Stefan Rolle ist seit rund 30 Jahren Mitglied der Religionsgemeinschaft. Aus seiner Homosexualität hat er in dieser Zeit nie ein Geheimnis gemacht. Foto: Privat

Für alle Vertreter:innen der katholischen Kirche gilt das aber nicht, wie Stefan Rolle selbst zu spüren bekam. „Einmal hat ein polnischer Pfarrer in der Beichte durch Nachfragen erfahren, dass ich homosexuell bin und mir die Absolution verweigert“, sagt er. Das hänge auch mit kulturellen Unterschieden zusammen. Die deutsche Kirche wie auch das Land selbst seien deutlich liberaler als Länder wie Polen, wo das Parlament 2021 ein queerfeindliches Anti-LGBT-Gesetz verabschiedete. Das beinhaltet unter anderem ein Werbeverbot für sexuelle Vielfalt, dazu gehören auch Pride-Demos. Parlament und Kirche, eiserne Pfeiler, an denen Fortschrittsgedanken zerschellen.

Dass Stefan Rolle, abgesehen von den wenigen negativen Erfahrungen, nur Positives durchlebte, ist zwar ein gutes Zeichen, aber eben nicht stellvertretend für die Amtskirche in ganz Deutschland. Große Teile der Anhänger:innen sind deshalb unzufrieden mit der katholischen Kirche. Viele treten aus. Im Erzbistum Berlin ging etwa der Anteil der Kirchenmitglieder in der Gesamtbevölkerung zwischen 2016 und 2020 von 25,63 Prozent auf 22,71 Prozent zurück. Letztlich liegt das nicht allein am Umgang mit Homosexuellen, sondern an der laxen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche.

Die Frage um Gottes Willen

Rolle weiß darum, glaubt aber nicht, dass Abstand als Protest wirklich sinnvoll ist. „Veränderung lässt sich aber nur von innen heraus bewirken“, sagt er. Wenn schon etwas getan wird, dann in direkter Nähe. Andernfalls könnte die Katholische Kirche „zu einer Glaubensgemeinschaft oder Sekte zusammenschrumpfen.“

Dafür müsste sich die gesamte Kirche reformieren, was in Deutschland auch Bischöfe fordern, die hierzulande in der Hierarchie das oberste Organ bilden. Anfang Februar legten sie nach ihrer Synodalversammlung Beschlüsse vor, die etwa die Segnung homosexueller Paare und den Schutz queerer Arbeitnehmer:innen umfassten. Umgesetzt wird das aber nur, wenn die Weltkirche aus ihrem Elfenbeinturm im Vatikan zustimmt. Schwierig. Ein Botschafter vom Papst wies bereits darauf hin, dass eine wahre Synode vom Heiligen Geist erfüllt und eben kein Parlament sei. Nur hat der bekanntermaßen seit Jesus Christus nicht viel Neues zur Welt gebracht.

Gottes Wille wird vonseiten der Weltkirche gerne als Argument gegen eine modernisierte Sexualmoral vorgebracht. „Natürlich wird oft gefragt, ob Gott will, dass Homosexuelle als das anerkannt werden, was sie sind. Ich selbst habe da keinen Zweifel dran“, sagt Rolle mit der Anmerkung, er könne sich täuschen. So richtig weiß ohnehin niemand, was Gottes Wille ist. Gilt auch für die Weltkirche und unzähligen Pfarrer, die sich gegen Reformen stemmen. Unabhängig davon wäre es aber absurd, wenn uns etwas nach dem eigenen Abbild erschafft, um dann Diskriminierung zu befürworten.


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