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Was das RAW-Gelände in Berlin bewegt: Von Problemen und Lösungen

Das RAW-Gelände in Berlin ist das Zuhause für viele Bars, Clubs, Restaurants und soziokulturelle Einrichtungen, wie Zirkus- und Theatergruppen, Werkstätten, Ateliers, Kinder- und Jugendangebote. Ein Ort, an dem sich Träume und Talente frei entfalten können. Gleichzeitig bietet das RAW-Gelände die letzte große Industrie-Brachfläche Berlins und somit Potenzial, bebaut zu werden. Das haben Investor:innen und Eigentümer:innen des Geländes erkannt.

Von Gewerbequartieren über Schulen und Kindergärten bis hin zu Wohn- und Grünanlagen und einem Schwimmbad – es gibt viele Ideen, wie mit dem mehr als 70.000 Quadratmeter großen Areal umgegangen werden soll. Dabei mischen Politik, Anwohner:innen, Nutzer:innen und Eigentümer:innen kräftig mit. Dabei sollte keiner der Parteien vergessen, welche Probleme mit dem RAW-Gelände und dem umliegenden Kiez einhergehen.

RAW-Gelände in Berlin: Wer es nutzt

Das Cassiopeia ist der älteste Club auf dem RAW-Gelände in Berlin. Foto: Imago/POP-EYE/Ben Kriemann
Das Cassiopeia ist der älteste Club auf dem RAW-Gelände in Berlin. Foto: Imago/POP-EYE/Ben Kriemann

Doch wer ist eigentlich alles auf dem Gelände in Friedrichshain? Nach der Jahrtausendwende waren Künstler:innen, die nach Flächen suchten, um ihrer Arbeit nachzugehen, die ersten Bewohner:innen des RAW-Geländes in Berlin. Sie zogen in die nun unter Denkmal stehenden Gebäude an der Revaler Straße: das Stoff- und Gerätelager, das Beamtenwohnhaus und das Verwaltungsgebäude.

Nach und nach zogen auch weitere kulturelle und kommerzielle Einrichtungen nach. Es entstand ein Obdachlosentheater, ein Kinder- und Jugendtheater sowie ein Zirkus. Die ersten Bars und Clubs zogen ebenso in die Räume ein, Restaurants schlossen sich an. Heute zählen die Eventlocation Astra Kulturhaus, die Bar Zum schmutzigen Hobby, das Cassiopeia – der älteste Club auf dem Gelände – sowie der Haubentaucher zu den bekanntesten Orten auf dem RAW-Gelände in Berlin.

Das mehr als 70.000 Quadratmeter große Gelände teilt sich zudem unter drei Eigentümern auf: der Immobilienfirma Kurth aus Göttingen, der aus Stuttgart stammenden International Campus AG und der Sewan Verwaltungs GmbH von Peter Mast und Frank Trenkle. So planen sowohl die Kurth-Gruppe als auch die International Campus AG, denen die zwei größeren Teile des Areals gehören, umfassende Neubauten auf ihren jeweiligen Flächen. Zu diesen Neubauten zählen Bürogebäude, Gewerbe- und Wohnquartiere.

Drogen und Kriminalität auf dem RAW-Gelände in Berlin

Doch den Eigentümern ist auch klar, dass das Gelände einige Risiken birgt. So gehören der Drogenhandel und die meist damit einhergehende Kriminalität fest zu dem Areal. Insbesondere die Wahrnehmung des Drogenhandels habe sich in den Jahren 2014 und 2015 verschlechtert, so Franziska Becker im Heft „Gewalt und Gewaltprävention in einem Ausgehviertel“ (zu finden hier) für die Landeskommission Berlin gegen Gewalt. So beschreiben die Interviewten, dass der Handel mit unterschiedlichen Drogen ab diesen Jahren massiver und präsenter geworden sei.

Die Brennpunkte entlang der Warschauer Straße/Revaler Straße wurden zuvor von den Anwohner:innen sowie Besitzer:innen der Lokale als kaum störend empfunden. Der zunehmende Drogenhandel sei unter anderem auf die ebenfalls wachsenden Zahlen von Tourist:innen zurückzuführen. Diese würden eher Drogen auf der Straße kaufen als Berliner:innen: „Berliner, die Drogen konsumieren, haben ihre Leute, die würden da nichts kaufen, wenn, dann haben die ihre Kokstaxis“, so ein:e Vertreter:in einer sozialen Einrichtung im Gespräch mit Franziska Becker.

Mit dem Drogenhandel gehen Gewalt, Bedrängung und Belästigung einher – von penetranten Ansprachen bis zum Nachlaufen, wenn die Passant:innen sich nicht darauf einlassen. Viele Menschen am RAW-Gelände in Berlin fühlen sich aufgrund dessen ausgelaugt und unter Umständen auch aggressiv und hilflos. Notwendige Hilfe von der Politik kommt kaum, viele fühlen sich im Stich gelassen.

Die Warschauer Brücke wurde 2012 als kriminalitätsbelasteter Ort eingestuft. Unter dieser Einordnung litt auch das angrenzende RAW-Gelände. Foto: Imago/Jürgen Ritter
Die Warschauer Brücke wurde 2012 als kriminalitätsbelasteter Ort eingestuft. Unter dieser Einordnung litt auch das angrenzende RAW-Gelände. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Bereits 2012 wurde die Warschauer Brücke von der Polizei als kriminalitätsbelasteter Ort eingestuft. Demnach ist das Gebiet um die Brücke und S-Bahnstation als Ort benannt worden, an dem Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden: Raubtaten, gefährliche Körperverletzung, Drogenhandel und mehr. 2015 wurde der Bekannte der Sängerin Jennifer Weist alias Jennifer Rostock auf dem RAW-Gelände in Berlin schwer am Hals verletzt. Seitdem hielten sich Tourist:innen und Besucher:innen vermehrt fern.

Lärm: Dauerbelastung bis zur Krankheit

Für viele Anwohner:innen im angrenzenden Simon-Dach-Kiez ist die allgemeine Lärmbelästigung ein großes Problem. Lärm, der jedoch nicht nur vom RAW-Gelände, den Bars, Clubs und Restauants dort kommt. Auch die umliegenden Lokale in der Nachbarschaft sowie die Tourigruppen tragen dazu bei.

Im angrenzenden Simon-Dach-Kiez reihen sich die Restaurants aneinander. Besonders in den Abendstunden - wie hier in 2014 - wird es lauter. Foto: Imago/Hohlfeld
Im angrenzenden Simon-Dach-Kiez reihen sich die Restaurants aneinander. Besonders in den Abendstunden – wie hier 2014 – wird es lauter. Foto: Imago/Hohlfeld

Alteingesessene weisen einerseits darauf hin, dass es bereits seit Jahren zu diesem Lärm im Kiez kommt, neu Hinzugezogene müssten also wissen, worauf sie sich einlassen, oder sie seien „selbst schuld“. Andererseits sprechen viele andere Anwohner:innen, die bereits seit Jahren dort wohnen würden, von einer jahrelangen Dauerbelastung, die sie „krank gemacht“ habe. Ein:e Vertreter:in der Bezirksverwaltung erklärt im anonymen Gespräch mit Franziska Becker, dass diejenigen, die bereits länger im Kiez leben, nicht gekommen wären, hätten sie gewusst, wie sich der Stadtteil entwickeln würde. Sie sagt, dass es wichtig sei, einen entsprechenden Lärmschutz zu verordnen, um die Gesundheit der Bewohner:innen zu schützen.

Zum Lärm kommt noch die verbale Gewalt: So werden Anwohner:innen verbal angegriffen, wenn sie Partygänger:innen in der Nacht darauf hinweisen würden, dass sie zu laut seien. Das gilt genauso für Lokale, deren Gäste bis tief in die Nacht den Geräuschpegel hochtreiben und deren Wirte sich nicht kümmern.

Auch die beliebten Spätis tragen zum steigenden Geräuschpegel bei. Der öffentliche Raum wird so kurzerhand als Gaststätte genutzt – vor ihnen wird getrunken, gegessen und lauthals gefeiert.

Hier am Eingang zum RAW-Gelände in Berlin an der Warschauer Straße könnte laut Bauplänen ein 100 Meter hohes Bürogebäude entstehen. Foto: Imago/Hohlfeld
Hier am Eingang zum RAW-Gelände in Berlin an der Warschauer Straße könnte laut Bauplänen ein 100 Meter hohes Bürogebäude entstehen. Foto: Imago/Hohlfeld

Die Lösungsansätze: Dialogwerkstätten, Vereine und Co.

Die Themen Drogen und Gewalt, Bebauungspläne sowie Lärm wurden bereits mehrmals von mehreren Beteiligten in Dialogwerkstätten und anderen Gesprächsformen angesprochen. Die Werkstätten finden zwischen den Bezirkspolitiker:innen, Anwohner:innen, Eigentümer:innen und Nutzer:innen des RAW-Geländes in Berlin statt. Es werden mögliche (Bau-)Pläne vorgestellt und andere Ideen, Bedenken und Gedanken zu Problemen geäußert.

So traten 2016 einige Änderungen in Kraft, die die zunehmende Kriminalität bekämpfen sollten. Auf dem RAW-Gelände regelte fortan eine „Hausordnung“ unter anderem den Drogenhandel und sperrte diesen vom Gelände aus. Sicherheitskameras wurden im Ost- und Westteil des Geländes angebracht. Gleichzeitig wurde ein größeres Security-Unternehmen eingesetzt, welches zum Beispiel die Türsteher:innen vor den Clubs unterstützen und auf dem Areal für Ordnung sorgten – mit Erfolg. Antanzen, Taschendiebstähle und Drogenhandel auf dem RAW-Gelände in Berlin reduzierten sich.

Kritik an der Videoüberwachung

Jedoch wurden ebenfalls Stimmen laut, die sich durch die ständige Beobachtung unwohl fühlten. Auch gab es Probleme zwischen den Türsteher:innen und dem beauftragten Security-Team. 2017 wurde das Security-Unternehmen abgezogen, da Kriminalität statistisch abgenommen hat. Die Sicherheitskameras blieben jedoch auch weiterhin aktiv, um bei Straftaten Beweismittel zu liefern.

In den Dialogwerkstätten wird versucht, alle Beteiligten zu Wort kommen zu lassen; auch die Nachbarschaft solle in Zukunft noch stärker mit einbezogen werden, sodass ein „lebendiges Netzwerk“ entstehe. Fester Bestandteil ist dabei bereits der nicht eingetragene Verein „Die Anrainer“, welcher sich insbesondere für mehr gesetzliche Bestimmungen zu Lärm, Dreck und Kriminalität in ihrem Kiez einsetzt.

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Gegenwart und Zukunft: Was wird aus dem RAW-Gelände?

Werkstätte, Petitionen, Untersuchungen und Drogenhandel: Das RAW-Gelände selbst ist ein nie zur Ruhe kommendes Projekt, an dem viele arbeiten und für sich das Beste herausholen wollen. Genauso wie 2019 das „House of Music“ in der ehemaligen Radsatzdreherei eröffnet hat, so wollen die Eigentümer:innen des Geländes weitere neue Gebäude errichten, die auch eine Nutzung am Tag anbieten.

Dies würde das Reichsbahnausbesserungswerk wohl von Grund auf verändern, da sowohl gute Lösungen für die Verdrängung des Drogenhandels vorgeschlagen werden müssen als auch Einigkeit über den Begriff der Soziokultur gefunden werden müsse. Nur so kann entschieden werden, welche Angebote auf dem Gelände bleiben und neu einziehen könnten. Um diesen neuen Angeboten Platz zu machen, aber auch um selbst ein neues Zuhause auf dem Gelände zu finden, wären einige Nutzer:innen des Geländes bereit, ihre eigentliche Location zu verlassen und umzuziehen.

Viele Teilnehmende der Dialogwerkstätten wünschen sich auch eine frei zugängliche Grünfläche auf dem RAW-Gelände. Ob diese wirklich umgesetzt wird, bleibt noch offen. Demnach wird es wohl auch weiterhin Gespräche und Dialogwerkstätten geben, um zu schauen, wie das RAW-Gelände in Berlin für alle bebaut und positiv verändert werden kann. Sowohl in die kommerzielle und gewinnbringende Richtung als auch in die Richtung zum Erhalt der Soziokultur.

Für die Mieter:innen auf dem Areal ist jedoch klar, dass das RAW-Gelände in Berlin nicht von Geld dominiert werden soll, sondern dass die freie Entfaltung eigener Träume und Talente im Vordergrund steht.


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Wie entstand eigentlich das RAW-Gelände? Geschichte, Wissenswertes und Besucherinfos erfahrt ihr bei uns. Mit der ultimativen Touri-Checkliste mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt könnt ihr Berlin richtig kennenlernen. Wie unterscheidet sich eigentlich Friedrichshain von Kreuzberg? Das zeigt unser Autor, der nach Kreuzberg gezogen ist.

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