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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg: Same same but different

Ein Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg verändert nichts, so könnte man glauben. Die beiden Stadtteile haben ähnliche Vorzüge und ähnliche Probleme. Tolle Restaurants, Clubs und Bars auf der einen Seite, Lärm, Gentrifizierung und Drogen auf der anderen.

Und doch sind sich die demografisch jüngsten und wildesten Bezirke Berlins auch noch 30 Jahre nach der Wende immer wieder fremd. Unser Autor ist nach 22 Jahren Friedrichshain zurück in seinen Heimatbezirk Kreuzberg gezogen und hat einige subtile Unterschiede festgestellt.

Links Kreuzberg, rechts Friedrichshain – vereint von der Oberbaumbrücke. Es gibt Gemeinsamkeiten. Aber weniger, als man vielleicht zuerst denkt. Foto: Imago/Westend61

Niemand mag Friedrichshain. Kaum ein Bezirk, außer vielleicht Prenzlauer Berg, wird mit soviel Häme und Arroganz überschüttet. Der Ballermann auf der Simon-Dach-Straße, die Aggressivität der Hausbesetzer in der Rigaer und Libauer Straße, die Exzesse rund um das RAW-Gelände und die kapitalistische Absurdität des Mercedes-Benz-Platzes (übrigens auch eine von Berlins größten Bausünden) – all das sorgt für ein schiefes Bild einer Gegend, die gefühlt an Investoren, Touristen und nervige Hipster verloren ging.

Der tip hat vor einiger Zeit der Friedrichshain-Kritik sogar eine Titelgeschichte gewidmet, sie hieß Fuck Friedrichshain und stieß auf viel Resonanz. Auch die „Berliner Zeitung“ hat mal umfangreich Friedrichshain in einem Essay einer enttäuschten Bewohnerin/Autorin zu Grabe getragen. Ich bin um 1998 hingezogen, damals war das Gelände um den Ostbahnhof herum eine Brache, in der Simon-Dach-Straße gab es zwei oder drei Kneipen und die besetzten Häuser im Nordkiez waren bunte Relikte des Besetzer-Herbstes von 1990.

Parkanlage mit Rosengarten zwischen Karl-Marx-Allee und Weidenweg, gegenüber der Weberwiese. Foto: Imago/POP-EYE/Christian Behring
Parkanlage mit Rosengarten zwischen Karl-Marx-Allee und Weidenweg, gegenüber der Weberwiese. Foto: Imago/POP-EYE/Behring

Friedrichshain war leer und weniger schick

Ich mochte es dort, es war irgendwie leer und weniger schick und weniger angesagt als in Mitte oder Prenzlauer Berg. Die Nachbarschaft war jung und trug Second-Hand-Klamotten, es gab den Flohmarkt wo man sich sonntags traf und ein paar lustige Clubs in Bretterbuden und alten Garagen, die Lovelite oder Ambulatorium hießen. Außerdem war es nicht weit nach Kreuzberg, das mochte ich auch.

Friedrichshain hat sich massiv verändert, die Bewohner ganzer Straßenzüge tauschten sich seit der Wende aus, aber zwischen Frankfurter Allee und Warschauer Straße existiert trotzdem noch eine spezielle Stimmung, die man, da fehlen mir bessere Worte, als „Ost-Berlinerisch“ oder „ostig“, bezeichnen könnte.

Schön ist anders: Der Nercedes-Benz-Platz in Friedrichshain. Foto: Imago Images/POP-EYE

Dann kam er, mein Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg

Friedrichshain lag mal in Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR. Natürlich lässt sich Berlin auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch in Ost und West teilen. Mag sein, dass noch nicht akklimatisierte Zugezogene, Besserwisser und Expats die Unterschiede weder kennen noch wahrnehmen, doch für viele Berliner sind sie klar spürbar. Und dieses „ostige“ Gefühl, die Berliner Schnauze, diese spröde Art, die sich rund um die Weberwiese und in den Seitenstraßen der Frankfurter Alle breit macht, ist eben doch anders als die Grundstimmung in Kreuzberg.

Kreuzberg ist links, multikulturell, hedonistisch, alternativ und weltoffen. Das alles stimmt, und zugleich ist Kreuzberg aber auch West-Berlin durch und durch. Während über Friedrichshain die Geister von Silly und Pankow schweben und man hier „Die Legende von Paul und Paula“ schaute, gehören in Kreuzberg bis heute noch die Ton Steine Scherben, eine der 12 besten Bands aus Berlin, ebenso zum Konsens wie der Rest der westdeutschen und West-Berliner Gegenkultur, die eben wenig mit den Erfahrungen des DDR-Alltags gemein hat. Das ist überspitzt formuliert und von mir aus auch ein Klischee. Aber das Schöne an Klischees ist ja, dass sie oftmals stimmen. Dass ihnen eine gewisse Wahrheit zugrunde liegt.

Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg: Blumen Dilek, Oranienstraße, Kreuzberg, Foto: Imago/Schöning
Blumen Dilek, Oranienstraße, Kreuzberg, Foto: Imago/Schöning

Dann kam er, mein Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg. Das Leben ändert sich und damit auch die Adresse. Im Frühling bin ich in den Kiez am Görlitzer Bahnhof gezogen. Drei Kilometer Luftlinie. Zurück nach Kreuzberg wo ich aufgewachsen bin, wo ich meine Kindheit verbracht habe, im Schatten der Mauer und der damals noch unsanierten Altbauten.

Junge Leute, Hipster, angesagte Clubs und Bars gibt es auf beiden Seiten der Spree und die Menschenmassen, die sich über die Oberbaumbrücke drängen, laufen ganz selbstverständlich von einem Bezirk in den anderen. Es gibt die Durchlässigkeit, vieles ähnelt sich, aber es gibt auch Trennlinien.

Nicht wenige Kreuzberger würden den Teufel tun und rüber nach Friedrichshain gehen, um dort mal ein Bier zu trinken oder eine Pizza zu essen. Umgekehrt verhält es sich ebenso. Man bleibt im eigenen Kiez. Der Doppelbezirk hat einen Ost- und einen West-Bezirk auf politischer Ebene vereint. Oberflächlich passen sie zueinander und doch sind sie bis heute anders geblieben. Wie Cousins mit ähnlichen Interessen, die aber doch in verschiedenen Familien großgeworden sind.

Friedrichshain ist zum Beispiel viel weniger durchmischt

Friedrichshain ist zum Beispiel viel weniger durchmischt, es gibt kaum türkische oder arabische Nachbarn. Die jungen Akademiker, die in den 1990er-Jahren hingezogen sind, haben Familien gegründet und sind einfach dageblieben. Neue Eigentumswohnungen sind entstanden, etwa rund um das Ostkreuz, dort wohnen heute gut betuchte Friedrichshainer mit vorwiegend deutschen Pässen und deutschen Vorfahren. Damit gleicht Friedrichshain mittlerweile eher Prenzlauer Berg.

Es gibt schlicht und ergreifend viel weniger Ausländer in Friedrichshain, außer einigen Vietnamesen und Russen, den obligatorischen Techno-Spaniern und US-Künstlern, die wegen dem Berlin-Lifestyle hierhergezogen sind. Doch Türken, die im Westteil der Stadt dazu gehören, mögen ein Restaurant oder einen Imbiss am Boxhagener Platz betreiben, aber sie wohnen dort nicht, ihre Kinder gehen dort nicht in die Schule und man sieht sie nicht in den Supermärkten.

Die Selbstverständlichkeit, mit der ältere türkische Männer in ihren Kreuzberger Cafés Karten spielen oder die türkischen Mamas, die mit ihren Kindern über den Markt schlendern, gibt es in Friedrichshain nicht.

Andere Mythen und ein anderes Selbstverständnis

Beide Bezirke liegen in der Mitte der Stadt, die Wohnungen sind in beiden begehrt, die Kultur und Gastronomie, das Nachtleben und der kreative Umgang mit öffentlichen Räumen, blühen ebenfalls hier wie dort und doch haben sowohl Friedrichshain wie auch Kreuzberg eine andere Geschichte, andere Wurzeln, andere Mythen und ein anderes Selbstverständnis. Wer dort lang genug lebt, merkt das.

Der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain ist einer der Gründe, warum es hier schöner ist als im Görli. Foto: Imago Images/POP-Eye

Ich habe nicht gedacht, dass der Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg viel ändern wird. Kreuzberg kannte ich in und auswendig und doch fehlt mir heute das „Ostige“ von Friedrichshain, die großen Alleen, die Zuckerbäckerbauten. Ich mag den Volkspark Friedrichshain lieber als den Görlitzer Park und der Trubel auf der Oranienstraße ist charmant aber irgendwie auch nicht viel besser als die Revaler Straße.

Kreuzberg und Friedrichshain können unheimlich anstrengend sein, man kann beide Bezirke hassen und man kann beide lieben. Sie werden sich ähnlicher. Aber sie werden niemals gleich.


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