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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug aus der Schweiz nach Berlin: Abschied vom Zehn-Franken-Döner

Unsere Autorin hat der Schweiz den Rücken zugekehrt, um nach Berlin zu ziehen. Aus einer der gemächlichsten und höflichsten Gegenden der Erde mitten in die ruppige und hektische Stadt also – eine gewaltige Umstellung. Was sind die größten Unterschiede? Und ist jetzt alles besser? Über ihre Umzugserfahrungen schreibt sie hier.

Wer denkt der Prenzlauer Berg sei spießig, hat noch nicht in der Schweiz gewohnt. Foto: Imago/Pop-Eye

Von der Schweiz nach Berlin: Wer Großstadt will, muss auswandern

2021, kurz nach meinem Abitur, habe ich einen Entschluss gefasst: Ich habe mich endgültig von der Schweiz verabschiedet und bin nach Berlin gezogen. Das Land der Zehn-Franken-Döner hat mir Hunger auf ein anderes Leben gemacht. Ende September bezog ich endlich meine erste eigene Wohnung im Prenzlauer Berg.

Da saß ich dann, mit meinem Mitbewohner, den ich nur über „WG-gesucht“ kannte, bis zum Hals in Umzugskartons. Es wurde Zeit, ein bisschen Großstadtluft zu schnuppern.

Die große Frage: Ab wann ist man Berlinerin?

Ganz neu bin ich in Berlin nicht: Ich bin hier geboren, Familie habe ich auch noch hier und kenne die Stadt von etlichen Besuchen. Ich wusste also, was mich erwartet. Aber in der Schweiz konnte ich auf die Frage, woher ich komme, immer ganz lässig antworten: „aus Berlin“. Hier angekommen geht das leider nicht mehr. Wer so lange in der Schweiz gewohnt hat, scheint sich nach einer unausgesprochenen Regel nicht mehr als Berlinerin bezeichnen zu dürfen. Ich muss also stattdessen sagen, dass ich in der Schweiz gewohnt habe – und darf mir dann die entsprechenden Klischees anhören.

Ganz unberechtigt sind die nicht, 13 Jahre Schweiz können einen doch ganz schön verweichlichen. In der Schweiz entschuldigt man sich, wenn man angerempelt wird, auch wenn man nicht selbst schuld ist. So rücksichtsvoll kennt man die Berliner:innen nicht. Zumindest das ewige Entschuldigen habe ich mir hier sehr schnell abgewöhnt. Es ist ein kleiner Schritt auf dem langen Weg, die Berlin-Berechtigung zurückzubekommen – falls es so etwas gibt und das überhaupt möglich ist. Zwar wohne ich im Prenzlauer Berg sehr behütet, denn die allgegenwärtigen Hafermilch-Latte-schlürfenden Prenzelberg-Mamis sind eher konfrontationsscheu. Sobald ich aber meinen Kiez verlasse, wird der Umgangston schnell schroffer: Diese Berliner Beleidigungen gehören noch zu den netteren.

Aber ich kann es verstehen, bei so vielen Menschen jeden Tag ist man schnell genervt. In der Schweiz waren alle in einer gemächlichen Geschwindigkeit unterwegs. Ob im Auto oder zu Fuß, bloß keinen Stress. Den spart man sich in der Eidgenossenschaft für die Berge auf, dort rennen die Familien in einem Tempo nach oben, dass ich schon nur vom Zuschauen Muskelkater bekomme. In Berlin ist alles zackiger, da bleibt man am besten nicht auf der Straße stehen, sonst wird man gnadenlos umgerannt – zu Stoßzeiten sogar im Prenzlauer Berg. Mir gefällt das, die Schweiz war mir in der Hinsicht immer ein bisschen zu langsam.

Umzug aus der Schweiz nach Berlin: Berge sind überbewertet

Für Naturliebhaber:innen ist die Schweiz das perfekte Land. Ich als Wandermuffel hatte dort aber absolut nichts verloren. Ich muss zugeben, es ist schön, die schneebedeckten Gipfel der Alpen zu sehen. Das heißt aber nicht, dass ich einen dieser Berge auch besteigen möchte, das überlasse ich lieber den wanderenthusiastischen Schweizer:innen. In Berlin kann man dafür so viele andere Sachen machen, bei denen die Wanderschuhe schön im Schrank bleiben können. Und wenn ich Grün will, gehe ich einfach in einen der vielen Parks in Prenzlauer Berg und mache es mir dort gemütlich. In der deutschen Hauptstadt hat man halt beides – Natur und Stadt. Nur als Berge will ich die Erhebungen in Berlin nicht sehen, dafür sind sie zu klein.

Im Prenzlauer Berg gibt es viele Fahrradwege, aufpassen muss man trotzdem, aber mir macht es Spaß durch den schönen Bezirk zu radeln. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Fahrradfahren ist hier eh sehr viel angenehmer. Mit meinem Hollandrad komme ich in Berlin ohne Probleme zurecht. In der Schweiz zischen alle mit teuren Hochglanz-Mountainbikes durch die Gegend. Und während ich mich in der Alpenregion abmühe, mit meinen drei Gängen einen Berg zu erklimmen, überholen einen alte Leute gemütlich auf ihrem E-Bike. Da lobe ich mir doch das flache Berlin.

Was man hier aber schnell lernt: Niemals sein Fahrrad über Nacht irgendwo stehen lassen, oder es ist morgens nicht mehr da. Am besten kauft man sich das dickste Schloss, das man finden kann, und schließt sein Fahrrad irgendwo fest. In der Schweiz war das anders: Da konnte ich mein Fahrrad über Nacht am Bahnhof mit einem kleinen Schloss stehenlassen. Die Zeiten sind vorbei.

Keine Überraschung: Berlin ist dreckiger als die Schweiz

Die Schweiz ist ein echtes Paradies für Wasserratten, ich bin in der Hinsicht sehr verwöhnt: Ich musste fünf Minuten laufen und war an einem wunderschönen Fluss, in dem ich gemütlich baden konnte. An den richtigen Stellen konnte man sogar komplett ungestört sein. Wenn mich das Ferienfieber gepackt hat, habe ich mich in den Zug gesetzt und bin zwei Stunden später im italienischsprachigen Teil des Landes angekommen. Noch eine Stunde weiter und ich konnte mich sogar in Italien ans Meer legen. Die heißen Sommer habe ich in glasklaren Gewässern verbracht.

Zugegeben: Auch wenn man in der Schweiz verwöhnt wurde, sieht in Berlin der Wannsee ganz einladend aus. Foto: Imago/Stefan Zeitz

Den Luxus hat man in Berlin nicht. Bisher hatte ich noch nicht das Bedürfnis, in der Spree zu baden. Und ich bezweifle, dass sich das in absehbarer Zukunft ändern wird. Auch die Schwimmbäder sind so voll, da bringt das lauwarme Wasser auch nicht viel Abkühlung mit sich. Ausserdem ist das Mittelmeer viel zu weit weg, die Nord- und Ostsee reizen mich nur mäßig, auch wenn mir viel von den Vorzügen der Nordsee erzählt wird. Zum Glück gibt es in Berlin auch viele Badeseen in denen man sich im Sommer abkühlen kann. Aber auch da gibt es Probleme: Sie sind oft sehr voll, zu weit weg und nicht die saubersten. Mal sehen, wie ich den Sommer hier durchstehen soll.

Nicht nur die Gewässer, auch Berlin selbst ist einfach ein bisschen dreckiger als die Schweiz. In der Schweiz kann man überall barfuß herumlaufen, selbst am Bahnhof. Zugegeben, nicht jede Ecke ist so sauber, dass man davon essen könnte, aber echt viele. Wenn mir in Berlin ein Falafelbällchen auf den Boden fällt, schmeiße ich es weg. In der Schweiz berufen sich alle auf die Drei-Sekunden-Regel und essen es trotzdem. In Berlin ist das ein bisschen anders, es ist hier und da ein bisschen dreckiger als anderswo und riecht auch mal nicht so gut. Einfach Ausblenden und nicht zu tief einatmen. Wem das nicht gefällt, der ist in Berlin falsch.

Der Prenzlauer Berg kommt schon an die Sauberkeit der Schweiz heran. Außer Laub im Herbst liegt hier auch nichts auf dem Boden. Foto: Imago/ Christian Thiel

Die öffentlichen Verkehrsmittel sind gewöhnungsbedürftig

Woran ich mich nicht gewöhnen kann, ist die Zugsituation. Wieso kann die Bahn nicht einfach dann fahren, wenn sie soll? Wenn ich noch einmal „Es kommt heute leider zu Verspätungen wegen eines Polizeieinsatzes“ höre, wenn ich in die Ringbahn steigen will, raste ich aus.

In der Alpenrepublik fahren die Züge eher zu früh als zu spät ab, Verspätungen ab zwei Minuten werden in der Regel angekündigt. Da kann sich Berlin noch eine Scheibe abschneiden. Kein Wunder, dass hier niemand zu der verabredeten Zeit da ist. Die schweizerische Pünktlichkeit muss ich mir auch noch abgewöhnen, wenn ich nicht immer 20 Minuten in der Kälte auf alle warten möchte.

Die Tram fährt nur durch den Osten Berlins und war für mich ein guter Weg, die Stadt ein bisschen besser kennenzulernen. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Auch anders als in der Schweiz: Hat man es mal in eine Bahn geschafft, sind die Chancen hoch, dass man angebettelt wird. In der Schweiz ist das nicht so, denn Obdachlose sind dort im Alltag nicht sichtbar. In Berlin sieht man viel mehr Elend. Man sieht, wie Menschen auf der Straße leben müssen – und das jeden Tag. Wenn Obdachlose in der Bahn mit einem Bündel Zeitschriften in der Hand ihre Lebensgeschichte erzählen und danach ganz nett allen eine gute Reise wünschen, hört kaum jemand zu oder schaut überhaupt hin. In Berlin ist das Alltag, in der Schweiz undenkbar. Ich bin selbst noch nicht so abgestumpft, aber kann auch nicht jedes Mal Kleingeld spenden. In Berlin gibt es zum Glück einige Möglichkeiten, um Obdachlosen zu helfen.

Weltstadt? In manchen Dingen ist die Schweiz viel weiter als Berlin

Was in Berlin echt nervt: Dass man noch so viel bar zahlen muss. In der Schweiz haben alle Twint, eine App die wie PayPal funktioniert, nur viel weiter verbreitet ist. Damit kann man Freund:innen Geld überweisen, Bestellungen machen, aber auch ganz normal mit dem Handy im Laden zahlen – und das überall. Ich hatte vor meinem Umzug nach Berlin nie Bargeld dabei, jetzt komme ich kaum mehr ohne zurecht. Vor allem hat man noch diese nervigen Ein-Cent-Stücke, die man nicht loszuwerden scheint. In der Schweiz ist die Fünf-Rappen-Münze die kleinste Einheit und selbst diese Münzen sind lästig. Nun ist das ganze Portemonnaie voller Kleingeld, aber das auch auszugeben, ist natürlich nicht gern gesehen. Über Cent-Stücke freut sich niemand, aber selbst Kartenzahlung ist in Berlin nicht überall an der Tagesordnung.

In der Schweiz ist das Zahlen mit dem Handy fast überall möglich. In Berlin ist selbst Kartenzahlung nicht überall Standard. Foto: Imago/Westend61
In der Schweiz ist das Zahlen mit dem Handy fast überall möglich. In Berlin ist selbst Kartenzahlung nicht überall Standard. Foto: Imago/Westend61

Dass die Digitalisierung in Berlin noch nicht so sehr angekommen ist, kann einen da schon erstaunen. In der Schweiz saßen wir schon in der Schule alle vor dem Computer: „Papierloser Unterricht“ war das Ziel, lange vor der Pandemie. Kaum jemand hatte mehr ein Heft dabei, dafür kannten sich alle genau mit Google-Anwendungen aus.

Man könnte erwarten, dass nach dem Umzug in eine Weltstadt wenigstens die Bürgerämter online funktionieren würden, wenn wir in der Schweiz schon in der Schule digital lernen. Aber weit gefehlt: Terminbuchungen sind übers Internet nur schwer möglich, sich umzumelden ist ein richtiger Kraftakt. Und wann es klappen wird, meinen Führerschein umschreiben zu lassen? Schwer zu sagen.

In der Schweiz ist die Bürokratie zwar auch noch nicht digitalisiert. Aber man kriegt wenigstens Termine. Dass das in einem sonst so langsamen Land besser geht als in Berlin, ist schon überraschend.

In machen Dingen ist Berlin ungeschlagen: Spätis

Die Supermärkte in der Schweiz schließen ungefähr um acht Uhr. Danach muss man an der Tankstelle einkaufen. Das ist teuer und auch dort gehen schon um zehn Uhr die Lichter aus. Mal schnell ein Wegbier vor dem Club? Ne. Mal schnell Klopapier kaufen, weil es der Mitbewohner vergessen hat? Tja, hätte man früher dran denken müssen. Spätis sind echte Lebensretter und gehören zur Kiezkultur.

Zum Glück gibt es Spätis, wo bekomme ich sonst nachts noch ein Bier her? Foto: Imago/Seeliger

Die Schweiz mag objektive Vorzüge haben, aber das Lebensgefühl in Berlin ist ein anderes. Dabei bin ich mitten in der Pandemie umgezogen und konnte deshalb das Nachtleben in Berlin noch nicht vollständig miterleben. Die Stadt hat aber auch ausserhalb der Clubszene so viel zu bieten, dass mir hier trotzdem nicht langweilig werden könnte. Zurück in die Schweiz zu ziehen ist deshalb keine Option für mich, mir gefällt es hier. Mein großes Ziel: Mir irgendwann meinen Status als Berlinerin zurückverdienen.

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Alles, was ihr über den Prenzlauer Berg wissen müsst, lest ihr hier. Ob der Umzug aus der Schweiz oder vom Wedding nach Prenzlauer Berg: Manche Vorurteile stimmen einfach. Damit sich Zugezogene nicht schon beim ersten Gespräch als solche outen: 12 Dinge, an die sich Zugezogene in Berlin gewöhnen müssen. Ansonsten überzeugt die Stadt mit diesen 12 Dingen, die Zugezogene an Berlin sofort lieben lernen, im Handumdrehen.

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