• Stadtleben
  • Immer umziehen: Wie viele Wohnungen braucht ein Mensch im Leben?

Wohnen

Immer umziehen: Wie viele Wohnungen braucht ein Mensch im Leben?

Neulich las ich irgendwo im Internet, dass ein Mensch über die Dauer seines Lebens durchschnittlich in elf Wohnungen oder Häusern gelebt hat. Das heißt, man wird geboren und zieht dann noch zehnmal um, dann stirbt man. Man lebt mit den Eltern, später vielleicht allein oder in einer WG, im Studentenwohnheim, mit dem Partner oder der Partnerin, mit den Kindern und nicht selten am Ende allein. So könnte eine genormte bundesdeutsche Biografie aussehen. Vielleicht aber auch ganz anders, man haust in Kommunen, Jurten, besetzten Häusern oder auf Hausbooten. Ganz egal, denn am Ende hatte man im Schnitt elf Orte im Leben, die man sein Zuhause nennen konnte.

Im Schnitt leben wir von Geburt bis zum Tod in elf Wohnungen, Umzüge sind da unvermeidlich. Foto: Imago/Joko
Im Schnitt leben wir von Geburt bis zum Tod in elf Wohnungen, Umzüge sind da unvermeidlich. Foto: Imago/Joko

Häufiges Umziehen: Die Gründe haben sich immer wieder verändert

Lebt man etwa 80 Jahre, zieht man demnach ungefähr alle sieben Jahre um. Schnell durchgezählt, komme ich selbst bislang auf sieben Wohnungen. Mein Geburtshaus in Danzig, dann drei Wohnungen in Kreuzberg, zwei in Friedrichshain und jetzt wieder eine in Kreuzberg. Sieben mal sieben ergibt 49, ich bin 45. Verdammt, das passt. Richtig rumgekommen bin ich zwar nicht, aber mit sieben Adressen in 45 Jahren liege ich ziemlich genau im statistischen Mittelfeld.

Früher lebten die Menschen wohl in weniger Wohnungen bzw. Häusern. Man lebte nicht nur kürzer, sondern war auch weniger beweglich und trennte sich seltener. So richtig früher. Seit der Industrialisierung ist die Anzahl der Umzüge je Menschenleben gestiegen. Man denke nur an die Berliner Wohnsituation vor 100 oder 150 Jahren. Es gab Schlafleute, die nur den halben Tag eine Wohnung bewohnten, und herumziehende Tagelöhner, die in dunklen Kammern im vierten Hinterhof oder ranzigen Pensionen vegetierten.

Man kam aus der Provinz in die große Stadt und suchte nach dem Glück. Von Haus zu Haus, von Zimmer zu Zimmer. Die Wirtschaftslage war prekär, die Armut allerorts und genauso instabil war die Wohnsituation. Mobilität war keine Entscheidung des Lebensstils, sondern pure Notwendigkeit. Die beiden Weltkriege taten ihr Übriges. Flucht, Vertreibung und Zerstörung wirkten sich drastisch auf die Lebensumstände aus. Oft war man zum Nomadentum gezwungen. Wer an nur einem Ort blieb, lebte entweder in der Villa oder im letzten Loch.

Umzugspartys, Kartons schleppen, eine Robbe mieten

Die Mobilität hielt auch nach dem Krieg an, da aber aus anderen, friedlicheren Gründen. In den späten 1960er-Jahren lockerten sich die Sitten, man experimentierte mit Lebensentwürfen, die Liebesbeziehungen hielten kürzer und wechselten öfter, man zog mehr herum. Kommunen, Wohngemeinschaften, besetzte Häuser, Studentenbuden, Scheidungen, Trennungen und der Ruf der großen, weiten Welt, all das war in den 1970er- und 80er-Jahren normal geworden. Und als meine Freunde und ich in den mittleren 1990er-Jahren Abitur machten, zogen auch wir so schnell bei den Eltern aus, wie es nur ging. Manche fanden Unterschlupf in WGs, die meisten aber in eigenen Wohnungen. Und wir blieben beweglich. Umzugspartys, Kartons schleppen, eine Robbe mieten, das gehörte dazu. So kamen bei einigen schnell fünf oder sechs Wohnungen in wenigen Jahren zusammen.

Die Mieten waren ja legendär niedrig und der Markt entspannt. Ich erinnere mich daran, dass Leute ihre Wohnungen kündigten, weil sie sich überlegt haben, mal eine Weile in einem anderen Kiez zu leben. Oder man gab eine Wohnung auf, um ein paar Monate zu reisen. Heute undenkbar. Airbnb, Untermiete, Wohnen auf Zeit, wer einmal einen Mietvertrag hat, gibt ihn nicht so schnell auf.

Vermutlich geht die Zahl der Umzüge gerade wieder runter

Vermutlich geht die Zahl der Umzüge gerade wieder runter. Werden wir unbeweglicher? Wenn ja, ist es eine natürlich Reaktion auf den überhitzten Markt. Aber muss man unbedingt alle sieben Jahre die Adresse wechseln? Und auf der anderen Seite bietet das Berliner Umland ungeahnte Optionen. Die Landlust macht sich breit und ein Umzug aus Neukölln, Schöneberg oder Mitte nach Eberswalde, Oranienburg oder Königs Wusterhausen ist alles andere als eine Seltenheit. Wer einmal aber sein Heim auch sein Eigen nennen kann, ob Wohnung oder Haus, bleibt dann länger, vielleicht für immer, wenn keine Trennung dazwischen kommt. Eigentum verpflichtet.

Ob elf Wohnungen in einem Leben gut oder schlecht sind, ob diese Zahl überhaupt bewertet werden muss, weiß ich gar nicht. Es kann ja auch schön sein, in seinem Leben nur in einem einzigen Haus zu leben und genauso in 86 verschiedenen. Doch im Schnitt sind es heute eben elf, vier habe ich also noch vor mir. Statistisch gesehen.

Und in wie vielen Wohnungen habt ihr bisher gelebt?


Architektur in Berlin

Berlins Welterbevorschlag „Architektur und Städtebau der Nachkriegsmoderne“ will das Hansaviertel gemeinsam mit der Karl-Marx-Allee würdigen. Deren Geschichte zeigen wir hier. Für die Interbau 57 entstanden jenseits des Hansaviertels Gebäude wie Le Corbusiers „Wohnmaschine“ und das heutige Haus der Kulturen der Welt, die wir in unserem Artikel über die Architektur West-Berlins vorstellen. Das Hansaviertel ist eine der 12 Berliner Großwohnsiedlungen, über die ihr hier mehr erfahrt. Und wenn euch die Schlichtheit ohne Schnörkel und Stuck reizt: Die wichtigsten Architekten der Moderne in Berlin stellen wir hier vor. Alles, was ihr über die Bauten der Stadt wissen müsst, lest ihr in unserem Architektur-Guide von Bauhaus bis Baller, von Top bis Flop.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad