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Eine Menschenrechtlerin kämpft gegen Zwangsprostitution in Berlin

Viele Frauen aus Nigeria kommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa und landen in Berliner Bordellen. Die Hilfsorganisation Great African Network for Women e.V. (GANW) setzt sich für Betroffene ein. Wir sprachen mit Menschenrechtlerin Kate Ivara Imasuen über ihren riskanten Einsatz im Kampf gegen Zwangsprostitution in Berlin und weltweit.

Kate Imasuen  setzt sich gegen Zwangsprostitution in Berlin von afrikanischen Frauen ein. Foto: Jana Vollmer
Kate Imasuen setzt sich gegen Zwangsprostitution von afrikanischen Frauen in Berlin ein. Foto: Jana Vollmer

Zwangsprostitution in Berlin: In den Fängen der Mafia

Es war während eines abendlichen Gottesdienstes, als Kate Ivara Imasuen eine schöne, tränenüberströmte Besucherin in der letzten Bankreihe bemerkte. Diese hörte nicht auf, zu weinen. Imasuen sprach sie an und die junge Frau erzählte, dass sie jeden Tag mit bis zu zwanzig Männern schlafen müsse, weil sie  50.000 Euro Schulden und einen Schwur geleistet habe, diese zurückzuzahlen, und dass es keinen Ausweg aus dieser Situation für sie gäbe. Sie lehnte Imasuens Hilfe ab, weil sie zu viel Angst hatte und kam nach diesem Abend nicht mehr wieder. Die Frau war in die Fänge der nigerianischen Mafia geraten, deren Spezialgebiet Menschenhandel ist.

„Da habe ich begriffen, dass ich etwas tun muss gegen dieses Elend“, sagt Imasuen beim Treffen in den Gemeinderäumen der Zwingli Kirche hinter dem Bahnhof Warschauer Straße. Die gebürtige Nigerianerin ist Pastorin in der Kirche und hat 2009 die Hilfsorganisation Great African Network for Women e.V. (GANW) gegründet. Sie setzt sich in und außerhalb Berlins gegen Menschenhandel ein, insbesondere gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen aus Afrika.

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Im von Armut, Korruption, Bürgerkriegen und Flüchtlingsbewegungen geprägte Westen des Kontinents, insbesondere Nigeria, gedeiht der Frauenhandel, und die nigerianische Mafia hat sich  in den letzten Jahren zu einem millionenschweren Netzwerk entwickelt, das sich in Europa immer stärker ausbreitet und auch in Deutschland sehr aktiv ist. 2021 warnte der Bundesnachrichtendienst in einem Bericht vor der Ausbreitung dieser Gruppierungen hierzulande.

Zwangsprostitution in Berlin ist Folge der Armut in den Heimatländern der Frauen

„Das Problem ist groß und nimmt auch in Berlin zu. Aber das Bewusstsein darüber in der Öffentlichkeit ist noch zu gering“, sagt Imasuen. Die Mittvierzigerin ist damit bestens vertraut: Ende der 90er Jahre zog sie nach Deutschland und arbeitete in der nigerianischen Botschaft in Bonn, wo sie auch Abschiebeverfahren von Landsfrauen beiwohnte, die von der Polizei aufgegriffen wurden. Sie hatten keine Ausweisdokumente und erzählten, dass sie in Bordelle gebracht und zur Prostitution gezwungen wurden. Diese Fälle begegneten Imasuen nach dem Umzug der Botschaft in Berlin wieder.

„Es sind junge Frauen, teilweise Minderjährige, die aus armen Verhältnissen und oftmals aus ländlichen Regionen stammen. Viele sind Analphabetinnen. Sie werden mit Jobs als Nanny oder Verkäuferin nach Europa gelockt. Auch wenn einige wenige wissen, dass sie als Prostituierte arbeiten werden, ist ihnen nicht klar, was wie erwartet“, sagt  die Menschenrechtlerin. Sie hat ein Buch geschrieben, in dem sie erklärt, unter welchen Bedingungen Menschen aus Afrika nach Europa zum Arbeiten überhaupt einreisen können und was Menschenhandel ist. „Wir verteilen diese Bücher vor Ort, denn Wissen ist Macht und wichtig für gute Entscheidungen. Die potenziellen Opfer haben meistens keine Ahnung, was es bedeutet, ins Ausland zu gehen, sie haben nicht einmal einen Pass oder waren außerhalb ihres Landes unterwegs. Sie sehen nur die Chance, ihrer Armut zu entkommen oder werden von ihren Familien dazu gedrängt.“

In der Vergangenheit wurde vor allem mit gefälschten Papieren und Visa gearbeitet. In den letzten zehn Jahren wurden die Flüchtlingsrouten durch die Sahara, Lybien und über das Mittelmeer genutzt. Die Frauen landen in italienischen Aufnahmelagern, wo sie direkt nach dem Registrierungsprozess von den Schleusern wieder eingesammelt und an ihre Arbeitsorte überall in Europa gebracht werden. Das kann der Straßenstrich sein, ein Bordell oder eine Wohnung.

Mit Zauberei in die Prostitution gezwungen

Von ihnen wird verlangt, die vermeintlichen Kosten der Überfahrt von 20.000 bis 50.000 Euro abzuarbeiten. Alles Geld landet in den Taschen der sogenannten Madames, der Zuhälterinnen. Ebenfalls Nigerianerinnen und oftmals ehemalige Prostituierte, organisieren den Menschenhandel. Ohne Papiere und ohne Sprachkenntnisse sind die Frauen ihren Madames und deren Netzwerk ausgeliefert.

Aber es ist nicht nur die gewalttätige Kontrolle durch die Madames, die die Zwangsprostituierten von einer Flucht abhält. Vor ihrer Abreise bringt man sie zu einem Voodoo-Priester, der sie mit dem Juju-Zauber belegt, erklärt Imasuen: „Der Sinn dieser furchterregenden Rituale besteht darin, die Loyalität gegenüber den Menschenhändlern sicherzustellen. Man schlachtet zum Beispiel ein Huhn und gibt das Herz den Mädchen zu essen und erzählt, dass der Juju-Geist sie oder ihre Familien töten wird, wenn sie zur Polizei gehen. Diese Erfahrung verschwindet nicht mehr aus ihren Seelen und Gedanken.“

Anders als in den Rotlichtvierteln in Hannover und Düsseldorf sehe man die Nigerianerinnen in Berlin nicht auf der Straße anschaffen. Sie sind hier nahezu unsichtbar in Wohnungen und Bordellen untergebracht. „Wir gehen in Etablissements, aber auch Frauenhäuser und Asylheime. Wir klären auf und bieten Hilfe beim Ausstieg an“, sagt Imasuen. GANW begleitet die Frauen durch geistliche sowie psychologische Betreuung und unterstützt sie beim Asylantrag. Die Hilferufe erreichen Imasuen aus Berlin, aber auch aus anderen Städten überall auf der Welt. Zuletzt erhielt Imasuen eine SMS mit der Bitte um Unterstützung aus Libyen. „Dann gucken wir, welche Netzwerke wir vor Ort aktivieren können. In Deutschland machen wir auch Workshops über die Voodoo-Praxis für NGOs.“ 

Zwangsprostitution? Sexarbeiterin wie hier auf der Kurfürstenstraße in Berlin sieht man ihre Situation nicht an. Foto: Imago/Rolf Kremming
Zwangsprostitution in Berlin? Sexarbeiterin wie hier auf der Kurfürstenstraße in Berlin sieht man ihre Situation nicht an. Foto: Imago/Rolf Kremming

Zwangsprostitution in Berlin: Die Frauen brauchen mehr Unterstützung

Zuerst gilt es den Juju-Fluch aufzuheben. „Unsere Organisation fußt auf christlichen Glaubenssätzen und das Gebet ist für uns ein elementares Werkzeug. Aber wir sind für alle Frauen offen und drängen nichts auf. Es geht darum, so viele wie nur möglich zu erreichen“, sagt Imasuen. Im nächsten Schritt fordern sie von den Madames, ihre Sklavinnen gehen zu lassen. Falls die Zuhälterinnen sich weigern, erstatten sie Anzeige. Vorausgesetzt, die betroffene Frau ist zu dieser Prozedur bereit.

Nach Imasuens Einschätzung wären mehr ausländische Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung bereit, der Polizei ihre Geschichte zu erzählen, wenn man ihnen Anreize wie eine Aufenthaltsgenehmigung und einen finanziellen Anreiz bieten würde. „Aber leider wurden einige Frauen, die sich in der Vergangenheit bei der Polizei gemeldet hatten, schließlich abgeschoben. Auf die Betroffenen wirkt das abschreckend und ihr Schweigen kommt den Kriminellen zugute.“

Die Verbrecher würden sich hier zu sicher fühlen, so Imasuen. Berlin sei eine sexuell lockere Stadt, käuflicher Sex gehöre dazu und sei ein Versprechen auf neue Erfahrungen. „Der Markt in Europa wächst, die Gesetzgebungen sind liberal und die Kriminellen sind immer auf der Suche, um eine steigende Nachfrage mit neuen Frauen zu befriedigen.“ Am liebsten wäre ihr, dass Zwangsprostitution laut und sichtbar in der Gesellschaft thematisiert wird.

Die Ursachen von Zwangsprostitution vor Ort bekämpfen

Eine weitere Strategie ist die Prävention. In Nigeria arbeitet GANW mit der Nationalen Agentur für das Verbot des Menschenhandels (NAPTIP) zusammen. Außerdem haben sie mit anderen Hilfsorganisationen ein Qualifizierungszentrum in Südnigeria eröffnet. Dort werden Mädchen und Frauen ausgebildet, damit sie Arbeit finden können. Ebenso gehören Aufklärung in Schulen, Veranstaltungen, Seminare und Konferenzen zur Arbeit vor Ort.

Für Imasuen ist diese Tätigkeit nicht ungefährlich. „Ich spreche es aus, ich gehe zu den Gemeinden, wahrscheinlich wissen einige Menschenhändler, was ich tue. In Berlin habe ich mehrmals informelle Drohungen von mutmaßlichen Menschenhändlern erhalten, mich zu verprügeln. Deshalb versuche ich manchmal, meine Kontakte nicht preiszugeben, und wenn ich in Afrika unterwegs bin, halte ich mich zurück und gehe nur zu meinen Terminen und Konferenzen.“

Das hält sie allerdings nicht davon ab, weiterzumachen. Und es gibt viel zu tun: Veranstaltungen in Berlin, Konferenzen in London und ein geplantes Projekt in Libyen. Sie könne nicht ertragen, dass Menschen, teilweise noch Kinder, missbraucht werden, sagt Imasuen. „Es ist jedes Mal ein großes Glück, wenn man jemanden aus der Not befreien kann.“

  • Great Africa Network for Women e.V weitere Informationen und Hilfe gibt es hier

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