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Interview

Fine-Bagels-Chefin über ihr neues Backbuch und die Versprechen der Großstadt

Bevor Laurel Kratochvila mit Fine Bagels nach Friedrichshain gezogen ist, hat sie in einer Abstellkammer samt gebrauchter Ikea-Küche ihre ersten Bagels gebacken. Damals am Helmholtzplatz. Dem Kiez wurde sie untreu, dem Backen nicht. Jetzt hat sie ein begeisterndes Backbuch geschrieben, das auch eine Kulturgeschichte ist. Ein Gespräch über Herkunft und Handwerk, ihre Liebe zu Durchgangsstraßen – und zu Berlin.

Laurel Kratochvila vor ihrem Café Fine Bagels, gleichzeitig ist es die englischsprachige Buchhandlung Shakespeare & Sons. Beides betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann. Foto: Małgorzata Minta
Laurel Kratochvila vor ihrem Café Fine Bagels, gleichzeitig ist es die englischsprachige Buchhandlung Shakespeare & Sons. Beides betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann. Foto: Małgorzata Minta

Laurel Kratochvila: „Missverständnis zwischen uns und dem Helmholtzkiez“

tipBerlin Laurel Kratochvila, warum Berlin?

Laurel Kratochvila Weil Berlin von Prag aus betrachtet ja die nächste wirkliche Großstadt ist. Und wir, also mein Mann und ich, ja bereits in Prag einen englischsprachigen Buchladen hatten. Nur ist Prag für ein Mädchen aus Boston quasi ein Dorf. Man kann, sprichwörtlich gesprochen, nicht ohne Make-up aus dem Haus gehen, weil man garantiert in eine Bekannte oder einen Bekannten kracht. Deshalb die Idee, unser Geschäft nach Berlin zu transferieren. Klang supereinfach und supergut. Sollte zunächst, also 2011, aber nicht ganz so gut klappen.

tipBerlin Was war denn das Missverständnis zwischen Ihnen und Berlin?

Laurel Kratochvila Es war nicht mal ein Missverständnis zwischen uns und Berlin. Es war ein Missverständnis zwischen uns und dem Helmholtzkiez beziehungsweise dem Konzept des Kiezes an sich. Das Problem an einem Kiez ist nämlich, dass ihn keine:r verlässt und keine:r von außen hineinkommt. Zumindest war das damals rund um den Helmholtzplatz so. Das mag gut sein für ein Café, aber es ist verheerend für einen Buchladen. Deshalb habe ich ja überhaupt angefangen, Bagels zu backen. Wir mussten mit irgendetwas Geld verdienen.

tipBerlin Dabei rühmt sich Berlin doch so gerne seiner Kiezkultur.

Laurel Kratochvila Das Verrückte oder mindestens Seltsame daran ist, dass man sich diesen Kiezreflexen offensichtlich nicht entziehen kann. Auch ich habe jetzt Freundinnen, gute Freundinnen, die noch nie hier bei Books & Bagels waren. Die sagen: Du Laurel, ich mag Dich wirklich gern, aber Dein Laden ist in Friedrichshain, und ich lebe in Neukölln.

tipBerlin Also: Warum dann Friedrichshain?

Warschauer Straße als Tor zu Berlin

Laurel Kratochvila Es ging uns nicht einmal um Friedrichshain und schon gar nicht um dieses Simon-Dach-Kiez-Ding. Es ging es uns zum einen ganz konkret um die Warschauer Straße, die für uns schon immer das Tor zu Berlin war, wenn wir mit dem Auto aus Prag gekommen sind. Eine breite Durchgangsstraße, hier muss man lang, wenn man irgendwo hinkommen will. Für mich steht das, auch metaphorisch, für das Versprechen einer Großstadt.

Zum anderen war es ganz konkret dieses Ladenlokal mit der großen Fensterfront, eine Buchhandlung seit  1962. Ich habe einen Sweetspot für solche Traditionen und mag es, wenn Dinge, wenn auch ein wenig anders, und zeitgemäßer, fortgeführt werden.

Das ist wie mit dieser Splitterbrötchenbäckerei in der Stargarder Straße, die irgendwann schließen sollte. Ich habe kein besonderes Verhältnis zur Ostschrippe und es waren nicht mal besonders gute Splitterbrötchen, aber  mich hat es im Herz berührt, so einen Ort mit all seiner Geschichte verschwinden zu sehen.

tipBerlin Interessant daran ist, dass gerade Menschen wie Ihnen, die von außen und mit einer Idee nach Berlin kommen und, wie man so schön sagt, etwas los machen, selbst gerne vorgeworfen wird, für solche Veränderungsprozesse und damit das Verschwinden des Bekannten und Verlässlichen zu stehen. Was entgegnen Sie?

Laurel Kratochvila Nun, als amerikanische Jüdin mit osteuropäischen Wurzeln würde ich tatsächlich sagen, dass mir ein Deutscher oder eine Deutsche nicht erzählen sollte, wie das mit dem Verschwinden ist. Wir wissen das, denke ich, sehr gut.

tipBerlin Gerade haben Sie ein großartiges, allumfängliches Buch veröffentlicht. Ist „Neues Backen“ also ein jüdisches Backbuch?

„Das Backhandwerk in Polen ist einfach großartig“

Laurel Kratochvila Das ist es. Nicht nur, weil ich Jüdin bin, sondern weil das Backen in Europa lange Zeit eben jüdisches Backen war. Leute fragen mich, warum die Backtradition Polens, neben kulinarischen Schwergewichten wie Italien und Frankreich im Buch so eine große Rolle spielt. Nun, das Backhandwerk in Polen ist, gerade auf dem Land, einfach großartig. Und das ist so, weil bis zum Zweiten Weltkrieg zehn Prozent der polnischen Bevölkerung Juden und Jüdinnen  waren – gleichzeitig war aber jeder zweite Bäcker Jude.

tipBerlin Aus Berlin porträtieren Sie in „Neues Backen“ zwei Bäckereien: die für ihre portugiesischen Pasteis de Nata bekannte Bekarei aus der Dunckerstraße und das Domberger Brot-Werk. Warum diese Auswahl?

Laurel Kratochvila Die Bekarei war die erste neue, gute Bäckerei, die ich in Berlin kennengelernt habe. Und für eine gewisse Zeit war ich selbst in so einem Kiezritual gefangen und wirklich jeden Morgen in der Bekarei, sie haben mich damals tatsächlich gerettet. Florian Domberger macht einfach sehr, sehr gutes Brot.

Darüber hinaus hat mich seine Geschichte fasziniert. Einerseits der Traditionalist aus Augsburg mit dem tiefen Wissen um bayerische Brotkultur, andererseits der Weltenbürger, der in Hongkong oder Singapur gelebt hat. Einerseits ein radikaler Handwerker, andererseits jemand, der sich sehr für die Prozesse und die Prozessoptimierung interessiert. Klar hätte ich auch eine andere der neuen Bäckereien nehmen können, Albatross etwa. Ich mag ihre Sachen sehr. Aber das wäre halt eine dieser typischen Hipster-Bäckereien, wie es sie in Kopenhagen oder Rotterdam exakt genauso gibt. Bis hin zu den Frisuren.

Abbildung aus dem Buch „Neues Backen“ von Laurel Kratochvila. Foto: Małgorzata Minta

tipBerlin Ihre liebste Ecke in Berlin?

Laurel Kratochvila Oh, I am a conservative girl (lacht). Also immer noch der Schillerkiez und das Tempelhofer Feld. Gerade entdecke ich aber auch den Westen neu, zumal die Kantstraße schon immer ein Ort war, an dem ich gerne zum Essen war, im Aroma oder im Heno Heno.

tipBerlin Noch einmal, warum  Berlin?

Berlin bietet Nischen, auch für Fine Bagels

Laurel Kratochvila Weil es mir diese Stadt ermöglicht hat, in einer Abstellkammer hinter einem Buchladen und mit einer gebrauchten Ikea-Küche für 300 Euro ein Business zu starten. Weil es in Berlin für gute Ideen immer noch Nischen und Möglichkeiten gibt. Zugegeben, ich bin 2011 in die Stadt gekommen und weiß, dass alles, gerade die Mieten, teurer wird. Aber ich hoffe sehr, dass sich Berlin diese Freiräume erhält.

  • Fine Bagels Warschauer Str.  74, Friedrichshain, online
Bild: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München
  • Neues Backen von Laurel Kratochvila ist ein so grundsätzliches wie kurzweiliges Backbuch und eine Hommage an das Handwerk und seine Protagonist:innen, erschienen bei Prestel/Random House, 272 Seiten, 99 Rezepte, 32 Euro

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