Die Filmemacher nehmen sich in ihrem Doku-Essay neue Arbeitsformen vor, die unser Erleben und Verhalten transformieren
Die Filmemacher*innen Leslie Franke und Herdolor Lorenz stehen für ein Graswurzelkino, das sich für Botschaften und Inhalte interessiert, aber nicht für die ästhetische Form. Dokumentarfilme wie „Der marktgerechte Patient“ (2018) oder „Water Makes Money“ (2011) können im besten Fall kritische Diskussionen anstoßen, wenn sie auf jene neoliberalen Dynamiken blicken, in denen Grundversorgungsleistungen unserer Kommunen neue Warenform annehmen. Die skeptische Einordnung dieser Entwicklung liefern in den Filmen Einzelpersonen, Vertreter von NGOs, von kleinen Initiativen oder Stiftungen. Aber die Analysen reichen nur so weit, wie die jeweiligen Gesprächspartner es anbieten, die Filmemacher schaffen kaum Mehrwert.
Ihr jüngster Film greift weiter aus als zuletzt „Der marktgerechte Patient“. Franke und Lorenz wollen sich die neuen Arbeitsformen selbst vornehmen, die unser Erleben und Verhalten transformieren. Das Verschwinden der unbefristeten Arbeitsverhältnisse zugunsten der Gig-Ökonomie, in der jeder sein eigener Unternehmer wird, gesteuert von Algorithmen, mit denen die Dialektik von Kontrolle und vermeintlicher Freiheit gesteuert wird, sind eines ihrer Hauptthemen. Die Heilmittel, die sie in Aussicht stellen, sind bewährt: solidarische Selbstorganisation, die Gründung von Betriebsräten, Bewusstwerdung.
Dazwischen: der Kult der Selbstoptimierung, die Lohndumpingspiralen der Textilproduktion in Äthiopien, die Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer auf unseren Straßen, eine unausgegorene Kritik der europäischen Freizügigkeit und die G20-Proteste von Hamburg – ein letztlich unfokussiertes Themengeflecht, in dem die interessantere Diskussion über die Ideen der Gemeindeökonomie und die Prinzipien von gemeinwirtschaftlichem Handeln fast untergeht.
Der marktgerechte Mensch D 2020, 99 Min., R: Leslie Franke und Herdolor Lorenz, Start: 16.1.
