Da ist sie wieder, die Diskussion über den Einfluss von Medien auf Kinder und Jugendliche. Entfacht hat sie diesmal „Squid Game“. Mobbing, Gewalt, Todeswünsche, katalysiert durch neun Folgen des Netflix-Hits. Die Polizeigewerkschaft GdP prognostizierte ein mögliches Horrorclown-Revival in roten Overalls, Schule und Kitas alarmieren Eltern wegen des Gefahrenpotentials der Serie, sogar das Thüringer Bildungsministerium warnte, dass Kinder Teile nachspielen könnten. Vereinzelt ist das bereits geschehen, auch hierzulande. Grund zur Panik ist das aber nicht, so präsent das Thema derzeit auch sein mag. Vielmehr zeigt die Furcht vor „Squid Game“, wie naiv Bildungsbeauftragte und Eltern 2021 noch sind.
„Squid Game“ wird keine Serienkiller hervorbringen
„Squid Game“ wählt keinen wirklich neuen Ansatz, was die Reaktionen umso überraschender macht. Eine Gruppe hochverschuldeter Menschen tritt in kleinen Wettbewerben gegeneinander an, um nach dem „Winner takes it all“-Prinzip am Ende eine Stange Geld mit nach Haus zu nehmen. Verlierer:innen werden getötet. Bisschen „Tribute von Panem“, bisschen „Purge“, bisschen „Battle Royale“. Die Serie schwankt dabei zwischen platter Kapitalismuskritik und noch platterem Gewaltporno. Die Wettbewerbe, koreanische Kinderspiele, sind dabei leicht nachzuahmen. So leicht, dass sie sich ohne großes Regellesen auf Schulhöfe übertragen lassen.
Die Netflix-Serie dominiert in vielen Ländern die „Most Viewed“-Listen, ein popkulturelles Phänomen. Dass viele Kinder und Jugendliche sie gesehen haben, ist naheliegend, auch, dass sie Teile nachspielen. Und wie in der Serie dargestellt, sterben Verlierer:innen. Toll mag das nicht wirken, zur posttraumatischen Belastungsstörung dürfte das aber nicht führen. Serienkiller:innen werden die Spiele ebenso wenig hervorbringen. Die Angst davor zeigt mal wieder, wie wenig Erwachsene jungen Menschen zutrauen.
Sie spielen gelegentlich Krieg, sie fechten mit Stöckern, sie kabbeln sich, sie schießen sich bei Fortnite über den Haufen. Sie hören aggressiven Rap, sie hören Metal. Sie schauen Actionfilme, sie schauen Horrorfilme. Sie eifern auch mal nach, sie kopieren, was sie auf der Mattscheibe sehen. Sie sind gelegentlich aggressiv, sie sind gelegentlich streitlustig, sie sind gelegentlich schadenfroh. Sie sind eben Kinder. Auch der putzige Kinderschokoladenjunge hat sehr wahrscheinlich irgendwann mal seine Finger zur Pistole geformt.
Standardisierte Überreaktionen
Für die allermeisten sind das Spiele, mehr nicht. Stirbt jemand, steigt er oder sie nächste Runde wieder ein. Was der reale Tod bedeutet, ist Kindern außerdem früher bewusst, als sich Eltern wünschen mögen, zwischen drei und sechs Jahren entwickeln sie bereits erste Vorstellungen. Größere Probleme wie Mobbing und Gewaltlust gibt es natürlich. Alleinige Auslöser dafür sind aber nicht Shows wie „Squid Game“, die Gründe sind weitaus komplexer. Das gilt auch für psychische Erkrankungen.
Erziehungsberechtigte sehnen sich hier nach einfachen Antworten. In den 1950er-Jahren war Elvis Presley eine Bedrohung, in den 1970er-Jahren war es Metal, in den 2000er-Jahren dann die bösen, bösen „Killerspiele“. Sogar die Belletristik galt lange Zeit als schlechter Einfluss. Und zwischen diesen vermeintlichen Übeltäter:innen gibt es viele weitere erdachte Betonklötze, die Kinder und Jugendliche in die tiefschwarzen Abgründe menschlicher Verderbtheit ziehen.
Sie selbst sind aber nicht gefährlich, obgleich sie auch bestimmte Veranlagungen unterstützen könnten. Klar wird das etwa durch eine umfassende Metaanlyse, die feststellte, dass Videospiele, wenn überhaupt, dann nur minimalen Einfluss auf die Psyche haben. Eine von vielen Untersuchungen, zu vielen unterschiedlichen Medien.
Das bedeutet aber nicht, dass Eltern sich zurücklehnen und ihre Kinder frei drehen lassen können. Es hat schon seinen Grund, dass Kontrollinstanzen wie die Bundesbehörde für jugendgefährdende Medien existieren. Manche Bilder können mitunter verstörend wirken, auch die in „Squid Game“. Da hilft aber nur Aufklärung, nicht die empörte Dämonisierung. Denn die führt einfach zu noch mehr Interesse.
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