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„Capital B“: Doku über Establishment, Gegenkultur und Ausverkauf

„Capital B“, so heißt eine neue Dokureihe von Florian Opitz, die auf Arte und in den ARD- und Arte-Mediatheken läuft. „Wem gehört die Stadt?“, so lautet der Untertitel. Die fünf Folgen erzählen Berlins Geschichte seit der Wende – und blicken auf die Konfrontation mit einem unerbittlichen Kapitalismus und eine Stadtplanung, die auf Investoreninteressen ausgerichtet ist. Bert Rebhandl hat „Capital B“ für den tipBerlin gesehen.

Polizei-Aufmarsch in der Frankfurter Allee, Berlin-Friedrichshain, 12. November 1990. Der Doku-Fünfteiler „Capital B – Wem gehört die Stadt?“ nimmt auch dieses Kapitel in den Blick. © Harald Hauswald/OSTKREUZOSTKREUZ – Agentur der Fotografen GmbH

„Capital B“: Wechselspiel zwischen Parteipolitik und Zivilgesellschaft

Zu den kleinen Ritualen im Leben in Berlin gehört es, dass man immer mal wieder die Frage gestellt bekommt: Seit wann bist du in der Stadt? Dann kommt entweder, mit leichter Entrüstung in der Stimme oder unüberhörbarem Stolz: Ich bin hier geboren, Mann! Oder eben eine Jahreszahl: 1987. Oder 2000. Oder 2017. Je nachdem gibt es dafür auch ein bisschen unterschiedlichen Respekt, wer 1987 schon hier war, weiß eben noch, was das hieß damals: geteilte Stadt. Im Alltag kann man sich davon nichts kaufen, dass man schon (fast) ewig hier ist. Aber es macht natürlich einen Unterschied an Erfahrungen aus, die man mit dieser Stadt gemacht haben kann.

Für alle, also für die Alteingesessenen wie für die später Dazugekommenen, gibt es nun einen Fünfteiler im Fernsehen, der sich hervorragend für eine Vertaktung der Perspektiven eignet: „Capital B“ von Florian Opitz. „Wem gehört Berlin?“ So lautet der Untertitel.

Zu sehen gibt es in den fünf Folgen eine Geschichte Berlins seit der Wende. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Wechselspiel zwischen Parteipolitik und Zivilgesellschaft, wobei auf dieser Seite noch einmal die Clubkultur besonderes Gewicht bekommt. (Mit „Exzess“ findet ihr übrigens eine Doku über Clubkultur in der ARD-Mediathek.) Eine ironische Pointe gibt es dabei auch insofern, als Berlin seit kurzem wieder die Regierungskoalition hat, die bald nach der Wiedervereinigung auch das Kommando übernahm: Schwarz-Rot, große Koalition.

Die finanzielle Bauchlandung bestimmte nach 2000 für viele Jahre den Haushalt

Anfang der 1990er-Jahre hieß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Er stellte sich für „Capital B“ auch für ein Interview zur Verfügung, und rückblickend räumt er immerhin ein, dass einige der damaligen Vorstellungen für die Stadt nicht so gut waren: „Das war vielleicht zu ehrgeizig, kann ja sein“. Er meint damit den Größenwahn, mit dem die Lokalpolitik damals Berlin auf Weltstadtniveau katapultieren wollte. Die finanzielle Bauchlandung bestimmte nach 2000 für viele Jahre den Haushalt.

Das Tolle an „Capital B“ ist, dass und wie es die Zeitgeschichte strukturiert. Je nachdem, wie alt man ist, hat man viele der erzählten Geschehnisse ja miterlebt, man war vielleicht mal im Tresor, im Tacheles, man kann sich vielleicht noch erinnern, wie der Potsdamer Platz als Brache aussah, man weiß noch, dass es im Stadtzentrum einmal einen Palast der Republik gab, oder man hatte möglicherweise sogar noch für ein paar Jährchen eine billige Wohnung mit Kohleofen in Friedrichshain, und wenn all das nicht zutrifft, dann hat man eventuell wenigstens in der Bar 25 einmal einen großartigen Rausch gehabt.

Während man das Leben lebt, macht man sich über viele Zusammenhänge nicht immer Gedanken, hat man auch gar keine Zeit dazu. „Capital B“ macht sich diese Gedanken, und verschafft einem einen sehr spannenden Überblick und eine plausible politische Alternative. Die lautet nicht Rot oder Grün oder Links oder Schwarz oder AfD oder Die Linke oder FDP. Die Alternative lautet eher: altes Establishment oder Gegenkultur.

„Die Stadt hatte im Grunde nie eine Regierung, die sich wirklich für Berlin interessiert hat“

In den 90er Jahren übernahmen ein paar Seilschaften aus West-Berlin das Rathaus, während sich der urbane Untergrund in Zwischennutzungen austoben konnte. Das lief erstaunlich lange nebeneinander her, oben gab es die Skandale, vor allem um die Bankgesellschaft Berlin, unten waren die Freiräume groß genug, um nicht wirklich in Bedrängnis zu geraten. Aber schon die Räumungen in der Mainzer Straße 1990 setzten ein Zeichen. In „Capital B“ tritt nahezu das gesamte handelnde Personal von damals bis heute auf und schaut auf die 35 Jahre zurück. Dabei wird deutlich: Die Stadt hatte im Grunde nie eine Regierung, die sich wirklich für Berlin interessiert hat.

Landowsky äußert sich mit der ganzen Selbstgefälligkeit eines konsequent Uneinsichtigen

Opitz hat es geschafft, selbst eine so gründlich diskreditierte Figur wie Klaus Rüdiger Landowsky noch einmal vor die Kamera zu bekommen. Zur Erinnerung: Das ist der Mann, der maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Berlin mit einem gigantischen Schuldenberg in das neue Jahrtausend startete. Landowsky äußert sich mit der ganzen Selbstgefälligkeit eines konsequent Uneinsichtigen.

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ spielt bei “Capital B“ ebenfalls eine Rolle. Foto: Ma Raab, Port au Prince, Fruitmarket

Die Interviews sind so geschnitten, dass sie sich gegenseitig kommentieren. Auf Landowsky antwortet dann eben Diepgen, aber auch Wolfgang Wieland, seinerzeit Politiker der Alternativen Liste und später der Grünen. Seine Kritik an Diepgen und Landowsky ist sachlich vorgetragen, lässt er aber deutlich erkennen, dass der Rechtsstaat in diesem Fall nicht eben in Hochform war. Neben den Gesprächspassagen zeigt „Capital B“ eine Fülle von Bild- und Tonmaterial, man kriegt ein wirklich gutes Gefühl dafür, was Berlin ausgemacht hat im Lauf der Jahre. Das ist alles zügig geschnitten, aber nie hektisch, es ist immer genug Zeit, sich alles zu vergegenwärtigen.

2008 brachte dann die große eigentliche Wende, denn nun war Berlin endgültig auf den Schirm des internationalen Spekulationskapitals geraten, und seither ist die Stadt, die ja noch kaum so richtig zusammengefunden hatte, aus dem Lot. Sie ist zur Beute von Kräften geworden, die von der Politik nicht wirklich gezähmt werden. Immerhin aber gibt es inzwischen zahlreiche Initiativen, die sich darum bemühen, die Stadt „mitzugestalten von unten“, wie Sandy Kaltenborn das formuliert, einer der wichtigsten Interview-Partner in „Capital B“. Er hat die Mietergemeinschaft Kotti & Co. mitbegründet und ist eine der Schlüsselfiguren im Kampf gegen eine einseitig auf Investoreninteressen ausgerichtete Stadtplanung.

Berlin ist nun wieder Frontstadt, allerdings nicht in einem Krieg, sondern in einer Konfrontation, die auf der ganzen Welt geführt wird: gegen einen entfesselten Kapitalismus. Der Mythos, Berlin wäre etwas Besonderes, ist fast aufgebraucht. Er kann nun aber neue Nahrung bekommen, wenn es gelingt, hier besonders gute Politik zu machen. Danach sieht es im Moment zwar nicht unbedingt aus, aber „Capital B“ schärft auf jeden Fall den Blick dafür, wo Geschichte sich zu wiederholen droht. Denn die Stadt hat schon genug warnende Beispiele erlebt.

  • „Capital B – Wem gehört Berlin?“ 3. und 4. Oktober jeweils 20.15 auf Arte oder alle fünf Folgen in den Mediatheken der ARD und von Arte

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