„Die Mittagsfrau“ von Julia Franck hat es 2007 auf sämtliche Bestsellerlisten geschafft. Jetzt hat die Wahl-Berlinerin Barbara Albert den epischen Roman mit Mala Emde in der Hauptrolle verfilmt. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl hat mit der österreichischen Regisseurin gesprochen: über die starken Frauen vor und hinter der Kamera, die slawische Legende der „Mittagsfrau“ und die europäische Filmlandschaft.
„Die Mittagsfrau“ von Julia Franck begeisterte Presse und Publikum
Wenn von einem Roman weltweit über eine Million Exemplare verkauft werden, dann liegt es nahe, an eine Verfilmung zu denken. So war das auch bei „Die Mittagsfrau“ von Julia Franck. Erschienen 2007, Deutscher Buchpreis, die Kritik war nicht minder begeistert als das Publikum. Und doch hat es es mehr als 15 Jahre gedauert, bis es mit einer Adaption für das Kino geklappt hat. Die österreichische Regisseurin Barbara Albert hat es schließlich geschafft. „Unser Projekt begann 2014“, erzählt sie bei einem Gespräch mit dem tipBerlin. „Julia Franck, die Drehbuchautorin Meike Hauck und ich, wir waren sofort wie ein Triumvirat. Dann haben wir lange viele Produzenten abgeklappert. Eine Produzentin, Anne Walser, war über Jahre an dem Projekt dran, das hat auch so lange gedauert, weil wir zu einem Zeitpunkt begannen, als es noch nicht so toll war, mit einem reinen Frauenteam so einen teuren Film zu machen.“
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Teuer ist in diesem Fall ein relativer Begriff. Im Vergleich mit Hollywood ist „Die Mittagsfrau“ immer noch ein bescheidenes Projekt, aber für deutsche – oder europäische – Verhältnisse ist der Aufwand nicht unbeträchtlich. Das hat damit zu tun, dass Julia Franck eine epische Geschichte erzählt hat. Von Helene Würsich, die mehrere Epochen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert durchlebt: Am Ende des Ersten Weltkriegs in Bautzen ist sie noch ganz jung, in Berlin in den 1920er-Jahren weiß sie schon genau, was sie will, dann aber kommen die Nazis, und sie muss sich auf eine schweren Kompromiss einlassen, um als Jüdin zu überleben. „Die Mittagsfrau“ hat viele Themen und Motive. Wie geht man damit um?
Barbara Albert über die 1920er Jahre: „Eine Zeit der sexuellen Freiheit“
„Anhand einer Frauenfigur können wir verstehen, wie sich Gesellschaften verändern. Die 20er-Jahre sehe ich ähnlich wie heute, leider gibt es da Parallelen (auch heute zeichnen sich Gefahren wie um 1930 ab). Es war eine Zeit der Freiheit, auch der sexuellen Freiheit. Wir haben darüber diskutiert, ob und wie wir das zeigen wollten, denn wir haben das in Deutschland schon so viel gesehen. ,Babylon Berlin‘ hat da ganz viel losgetreten.“ Berlin kriegt nicht genug vom 1920er-Hype.
Das Treffen mit Barbara Albert findet am Rand der Hasenheide statt. Seit mehr als zehn Jahren lebt sie in Kreuzberg. In den nächsten Tagen will sie mit ihrem Sohn ein wenig die Familiengeschichte erkunden, mit dem Auto nach Siebenbürgen und in den Banat fahren. Ungarn und Rumänien. Vorher aber will sie schon einmal über ihren Film sprechen. Das heißt, zuerst einmal über das Buch. „Ich war extrem begeistert und fand es auch sehr visuell. Ich hatte wahnsinnig starke Bilder vor mir. Auch wenn die teilweise sehr bedrückend waren. Ich fand dieses Thema der unterschiedlichen Erfahrungen mit Sexualität wichtig, auch die Geschichte einer Frau, die in eine Depression verfällt und aus dieser Depression heraus bestimmte Dinge macht. Und natürlich die Frage: Warum lässt sie der Mutterinstinkt im Stich? Das hat uns am meisten interessiert. Mein Sohn wurde 2007 geboren, er war, als ich das Buch gelesen habe, in dem Alter von Peter, dem Sohn von Helene, der Hauptfigur. Wir haben uns sehr auf die Perspektive der Frau konzentriert. Sie muss in den Nazi-Jahren ihre Identität verleugnen – was macht das mit ihr?“
Barbara Albert über die Mittagsfrau-Darstellerin: „Malas Gesicht hat etwas Zeitloses“
Als Julia Franck damals diesen epischen Roman schrieb, verband sie eine deutsche Geschichte mit einer slawischen Geisterlegende. „Die Mittagsfrau“ ist eine gefährliche Erscheinung, man muss sich vor ihr hüten. Und ein bisschen schlägt das auch auf die Helene durch, wie Mala Emde sie deutet. Zu Beginn des Jahres war die aus Hessen stammende Schauspielerin in der Titelgeschichte des tipBerlin über 25 Menschen für das Jahr 2023 vertreten gewesen. Das hatte mit dem übernatürlichen Thriller „Aus meiner Haut“ zu tun, aber auch schon mit der Neugierde auf „Die Mittagsfrau“. Barbara Albert erklärt, warum sie sich für Mala Emde entschieden hat: „Die Besetzung hat oft auch ganz banal mit Physiognomie zu tun. Malas Gesicht hat etwas Zeitloses, ich kann mir viele Altersstufen vorstellen. Kann sie einen Film tragen? Da kannte ich sie nur aus ‚Und morgen die ganze Welt‘, und das genügte mir.“
Mala Emde ergänzte dann das „Triumvirat“, von dem Barbara Albert ironisch spricht, und machte es zu einem Frauenquartett. „Wir haben mit dem Drehbuch noch einmal alles überprüft und uns gefragt: Haben wir alle Szenen, die diese Figur braucht? Eine Szene, in der Helene mit ihrem ersten Geliebten Karl nackt durch die Straße läuft, haben wir dazugeschrieben, denn die Figur braucht noch einmal so einen Ausbruch, so eine Energie, bevor die NS-Zeit kommt. Überall, wo sie zu mädchenhaft ist, haben wir uns etwas einfallen lassen, um anders die Jugend herzustellen. Beim Drehen ist Mala sehr präzise, das mag ich so gern, denn ich bin am Set nicht so für das Improvisieren.“
Barbara Albert will „Grautöne in das übliche NS-Schwarzweiß bringen“
1999 wurde Barbara Albert in Österreich und dann schnell über ihre Heimat hinaus mit „Nordrand“ bekannt, einer Geschichte, in der sich ein neues Europa erkennen ließ, ein junger, von Migration geprägter Kontinent, mit Wien als einer wichtigen Drehscheibe. Später nutzte sie ihre künstlerische Freiheit auch für persönliche Vergangenheitsbewältigung. Dieser Aspekt spielt bei „Die Mittagsfrau“ nun wieder eine Rolle. Denn Helene überlebt die NS-Jahre nur aufgrund einer Zweckehe. „Ich war sehr froh über Max von der Groebens Darstellung der Figur des Wilhelm. Diese Figur hat für mich viel von der Geschichte meines Großvaters, zu der ich ganz viel recherchiert habe und 2012 den Film ‚Die Lebenden‘ zum Thema der ‚Täter-Familie‘ gedreht habe. Max trifft diese Figur wahnsinnig gut, das Beleidigte, Gekränkte des Mannes genauso wie die Härte. Wir wollten ein paar Grautöne in das übliche NS-Schwarzweiß bringen.“
Seit 2013 unterrichtet Barbara Albert auch Filmregie an der Filmuniversität Babelsberg. Ihre eigene Arbeit fließt dort immer mit ein. Allerdings verändert sich die Landschaft gerade erheblich. „Der Wunsch, Kino zu machen, den gibt es noch, aber wir müssen heute an der Filmuniversität auch für andere Bereiche ausbilden, z.B Web-Serien. Mich selbst zieht es doch immer zum Epischen. Es geht aber immer um die Frage: Wie kann ich Leute erreichen, wen möchte ich erreichen? Das Kinoerlebnis bleibt das tollste Erlebnis, man muss aber anderes können, wenn man davon leben will. Ich habe als Script Supervisor gearbeitet oder als Regieassistentin. Es gibt wahnsinnig viel Bedarf an Content im Moment, aber was willst du wirklich erzählen? Das muss ich, genauso wie die Studierenden, und manchmal auch gemeinsam, herausfinden.“
„Nach dreizehn Jahren ist Berlin auch meine Heimat“
Mit „Die Mittagsfrau“ steht nun einiges auf dem Spiel, auch für das deutsche Kino insgesamt. „Ich habe das Gefühl, dass der deutsche Film nach außen hin nicht so die Strahlkraft hat, die er eigentlich haben könnte“, sagt Barbara Albert, die sich zugleich darüber freut, dass die Filmuniversität immer internationaler wird. Sie nennt ein aktuelles Beispiel. „Die Ukrainerin Maryna Vroda hat bei uns studiert, sie hat seit 2014 um ihren Film gekämpft und jetzt gerade wurde sie in Locarno für ihren Film ‚Stepne‘ als ‚Best Director‘ ausgezeichnet. Das hat mich ungemein gefreut.“
Das Leben einer Filmschaffenden ist spannend und eröffnet viele Möglichkeiten. Manchmal leidet darunter ein bisschen der Alltag. Was kriegt Barbara Albert überhaupt von Berlin mit, wenn sie berufsbedingt doch viel unterwegs sein muss – unter anderem in Bulgarien hat sie während Corona die Serie „Funeral for a Dog“ gedreht, und „Die Mittagsfrau“ war eine „Reiseproduktion“ von Luxemburg bis Stettin? „Leider bin ich oft unterwegs, sodass ich Berlin gar nicht immer so erleben kann, wie ich gern würde. Ich laufe sehr gern auf dem Tempelhofer Feld meine Runden, das Flugfeld ist wirklich eine Oase. Diese Weite gibt es nirgendwo sonst. Ich bin die Tochter zweier Biologen und stehe total auf die Pflanzen dort in ihrer ganzen Vielfalt. Berlin ist wirklich einzigartig. Mein Partner wollte nach drei Jahren Wien zurück nach Berlin, es war ein Experiment für mich. Ich habe drei Monate gebraucht, um die Distanziertheit nicht misszuverstehen. Dann habe ich gelernt, auch die Direktheit zu schätzen – in Österreich sagt man alles über Umwege. Nach dreizehn Jahren ist Berlin auch meine Heimat, ich fühle mich hier europäisch.“
- Die Mittagsfrau Deutschland 2023; 136 Min.; R: Barbara Albert; D: Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn; Kinostart: 28.9.
Auch eine starke Frau, nur ein bisschen übernatürlicher: „The Nun 2“ besprechen wir hier. Ein schrecklich guter Film: Die Iran-Doku „Sieben Winter in Teheran“ nimmt die Todesstrafe in den Blick. Und im Interview mit Regisseurin Steffi Niederzoll lest ihr, warum der Film über die Todesstrafe so wichtig ist. Wie wird man anständig alt? Maren Kroymann macht es vor in „Enkel für Fortgeschrittene“. Roadtrip mit dem Tod: Charly Hübner über „Sophia, der Tod und ich“, Wacken und Buckow. Unsere Autorin ist begeistert: „Past Lives“ – hier ist die Filmkritik. Was läuft sonst? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik. Euch fehlt der Überblick über die Berliner Filmfestivals? Die besten Festivals übers Jahr verteilt haben wir hier zusammengetragen. Und wenn die Filmfestspiele laufen, erfahrt ihr in unserer Berlinale-Rubrik alles darüber.