30 Jahre Mainzer Straße

Hausbesetzer in Ost-Berlin: 12 Fotos von der Räumung der Mainzer Straße

Am 14. November 1990 brach in Friedrichshain die Hölle los. In der Mainzer Straße kam es zu heftigen Kämpfen zwischen Hausbesetzern und der Polizei. In den Wirren zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung wurden dort im Frühling jenes Jahres mehr als ein Dutzend leerstehende Altbauten besetzt, im Herbst beschloss der Senat, der Sache ein Ende zu setzen.

Zum 30. Jahrestag der Räumung der Mainzer Straße sprachen wir in einem ausführlichen Interview mit Polizisten und Besetzern über die turbulenten Ereignisse, die das Selbstverständnis der linksradikalen Szene in Berlin bis in die Gegenwart prägen.

Zusätzlich zu dem Gespräch erinnern wir mit dieser Fotogalerie an den „Besetzer-Herbst 1990“, als in Ost-Berlin für einen Augenblick alles möglich erschien und zugleich die Gewalt auf der Straße ein enormes Ausmaß annahm.


Großaufgebot der Polizeikräfte

Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990. Großaufgebot der Polizeikräfte im Einsatz gegen Hausbesetzer. Foto: Imago/Werner Schulze
Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990. Großaufgebot der Polizeikräfte im Einsatz gegen Hausbesetzer. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Großeinsatz der Polizei. Die ursprünglich zum Abriss bestimmten Häuser an der Mainzer Straße wurden einige Monate nach dem Mauerfall besetzt. Es folgte ein kurzer Sommer der Anarchie.


Polizisten beziehen Stellung

Polizisten beziehen Stellung vor einem besetzten Haus. Foto: Imago/Werner Schulze
Polizisten beziehen Stellung vor einem besetzten Haus. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Am 14. November 1990 sollten insgesamt 13 Häuser an der Mainzer Straße geräumt werden. Es kam zu einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Stadt.


Abgeführt

Ein Hausbesetzer wird von der Polizei abgeführt. Foto: Imago/Werner Schulze
Ein Hausbesetzer wird von der Polizei abgeführt. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Schon am Tag zuvor, dem 13. November 1990, zuvor kam es zu Demonstrationen mit großer Polizeipräsenz. In diesen Tagen wurden auch Häuser in der Pfarrkirche- und Cotheniusstraße geräumt. Die Stimmung in der Stadt war aufgeheizt.


Transparente am besetzten Haus

Besetztes Haus in der Mainzer Straße in Friedrichshain. Foto: Imago/Werner Schulze
Besetztes Haus in der Mainzer Straße in Friedrichshain. Foto: Imago/Werner Schulze

Der damalige Bürgermeister von Friedrichshain, Helios Mendiburu, erschien in den Mittagsstunden in der Mainzer Straße, um zwischen der Polizei und den Besetzern zu verhandeln und eine friedliche Lösung zu finden. Die Vermittlungen führten zu keinem Ergebnis.


Verhaftung im Hinterhof

Polizisten fesseln einen Hausbesetzer. Foto: Imago/Werner Schulze
Polizisten fesseln einen Hausbesetzer. Foto: Imago/Werner Schulze

Am Vortag kam es zu kleineren Ausschreitungen und Demonstrationen und auch zu zahlreichen Verhaftungen. Um 17 Uhr des 13. November 1990 wurde in einem Antiquariat in der Mainzer Straße eine Pressekonferenz abgehalten.


Straße im Ausnahmezustand

Räumung der Mainzer Straße. Foto: Imago/Werner Schulze
Räumung der Mainzer Straße. Foto: Imago/Werner Schulze

Für den 14. November 1990 wurde eine Großdemonstration anberaumt. Flugblätter wurden im ganzen Kiez verteilt und Barrikaden gebaut. Der Besetzerrat stellte Forderungen, darunter eine politische Lösung für den Konflikt und eine Nichträumungsgarantie.


Überall Pflastersteine

Polizisten auf der mit Plastersteinen übersäten Mainzer Straße. Foto: Imago/Werner Schulze
Polizisten auf der mit Plastersteinen übersäten Mainzer Straße. Foto: Imago/Werner Schulze

Auch auf der Frankfurter Allee, der Hauptverkehrsader im Friedrichshainer Kiez, kam es zu Spontandemonstrationen. Steine flogen und die Polizei setzte dort Räumfahrzeuge und Wasserwerfer ein.


Polizei im Steinhagel

Polizisten schützen sich mit Schilden vor Steinwürfen. Foto: Imago/Werner Schulze
Polizisten schützen sich mit Schilden vor Steinwürfen. Foto: Imago/Werner Schulze

Die Situation eskalierte. Als klar wurde, dass die Räumung unausweichlich ist und es zu keiner Einigung zwischen der Polizei und den Besetzern kommen wird, brachen die Ausschreitungen aus.


Hausbesetzer-Paar

Hausbesetzer-Paar steht auf der Straße während der Räumung besetzter Hauser in der Mainzer Straße. Foto: Imago/Werner Schulze
Hausbesetzer-Paar steht auf der Straße während der Räumung besetzter Hauser in der Mainzer Straße. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Neben dem Tumult und der Gewalt gab es auch Momente der Stille. Die Besetzer wollten ein anderes Leben und die Hoffnung darauf, im gerade erst frei gewordenen Berlin ohne Mauer und SED-Diktatur, paarte sich mit dem linksradikalen Ethos, der gut ein Jahrzehnt zuvor in Kreuzberg entstand.


Auto vor besetztem Haus

Unrat auf einem Auto vor besetzten Häusern in der Mainzer Straße. Foto: Imago/Werner Schulze
Unrat auf einem Auto vor besetzten Häusern in der Mainzer Straße. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Die Besetzungen in Ost-Berlin hatten einen anderen Spirit als die Kreuzberger Häuserkämpfe. Im Rückblick lassen sich die Bewegungen durchaus vergleichen. Der Kampf um Wohnraum, linke Ideen und eine radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen bilden die Gemeinsamkeiten, und bis heute gehören besetzte und ehemals besetzte Häuser zum Stadtbild dazu.

Doch es gab kulturelle Unterschiede zwischen den Ost- und West-Besetzungen. Was an den unterschiedlichen Biografien und Erfahrungen der Besetzer liegt. Der Autor Lutz Seiler beschreibt in seinem Roman „Stern 111“ die Besetzer-Zeit in Ost-Berlin der frühen 1990er-Jahre. Diese Zeit war anders geprägt als der von den 68ern, Punk und der Studentenbewegung befeuerte Häuserkampf in West-Berlin der späten 1970er und 1980er-Jahre, der den Mythos Kreuzberg festigte.


Bulldozer im Einsatz

Bulldozer der Polizei zieht einen als Barrikade verwendeten Container von der Straße. Foto: Imago/Werner Schulze
Bulldozer der Polizei zieht einen als Barrikade verwendeten Container von der Straße. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Bis in die späten Nachtstunden standen insgesamt gut 1500 Polizisten etwa 500 bis 600 Autonomen entgegen. Die Pflastersteine der Mainzer Straße wurden abgetragen und als Wurfgeschosse benutzt, Barrikaden gebaut, und es kam zum Einsatz von schwerem Räumgerät. Die Bilanz der Nacht waren mehr als 400 Verhaftungen und 70 verletzte Polizisten. Auf dem Senefelderplatz protestierten etwa 10.000 Menschen gegen die Räumung.


Barrikade vor besetzten Häusern

Barrikade vor besetzten Häusern. Foto: Imago/Werner Schulze
Barrikade vor besetzten Häusern. Foto: Imago Images/Werner Schulze

Die Exzesse vom 14. November 1990 hatten politische Folgen. Die Senatorinnen Anne Klein, Michaele Schreyer und Sybille Volkholz traten zurück. Woraufhin die Grünen-Politikerin Renate Künast die damals in Berlin regierende rot-grüne Koalition für gescheitert erklärte.

Die militante Strategie der Besetzer konnte sich nicht durchsetzen, dennoch wurden in den folgenden Jahren mehrere besetzte Häuser auf politischem Wege und durch den Abschluss von Mietverträgen erhalten. Bis 1998 ließ der CDU-Senat nahezu alle besetzten Häuser in Friedrichshain räumen. Die maroden Altbauten in der Mainzer Straße wurden mit Finanzmitteln in Millionenhöhe vom Senat saniert.

Friedrichshain gehört heute zu den beliebtesten und teuersten Bezirken in Berlin und ist nahezu komplett gentrifiziert. Im sogenannten Nordkiez existiert rund um die Rigaer- und Liebigstraße weiterhin eine Keimzelle der linksradikalen Besetzer-Szene.

Das linke Songwriter-Punk-Einmann-Projekt Quetschenpaua widmete der Räumung der Häuser in der Mainzer Straße einen Song, das „Mainzerstraßenlied“.


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