Ein Mann ohne Namen lebt in einem Land ohne Namen. Das ist die Ausgangssituation in dem Film „Vom Gießen des Zitronenbaums“ von Elia Suleiman. Der Regisseur spielt selbst den namenlosen Mann, er hat also einen bürgerlichen Namen, künstlerisch aber macht er sich anonym
Suleiman spielt einen Slapstick-Helden, der kaum einmal ein Wort sagt. Stattdessen wird er zu einem Zeugen radikaler Absurdität. Wo immer er hinkommt, nimmt er vor allem seltsame Vorgänge wahr. Er reist nach Paris, später nach New York. Er möchte einen Film über sein Land machen, das Land ohne Namen, oder genauer gesagt: das Land, das einen Namen trägt, den es nicht verwenden darf. Elia Suleiman kommt aus Palästina.
Geboren als Sohn christlicher Palästinenser in Jerusalem, ist Suleiman heute der wichtigste Filmemacher eines Volks, das seit Jahrzehnten um einen eigenen Staat kämpft. Zum Teil wurde dieser Kampf mit Waffengewalt und Terrorismus geführt, aber auch mit den Mitteln der Kunst. Suleiman erzählt seit seinem Film „Divine Intervention“ (1997) sehr häufig von Gewalt, aber seine Mittel sind eindeutig die der Kunst. Im Gespräch mit dem tip erläutert er, was Palästina für ihn bedeutet: „Die ganze Reise meines Lebens läuft darauf hinaus, einen progressiven Begriff von Palästina zu finden, also zu zeigen, was es für mich bedeutet. Meine Filme sind meine Reise der Identifikation, und inzwischen weiß ich, andere Menschen sind schon da, wo ich hinwill. Das sind die jungen Leute am Ende des Films.“
Der Künstler auf Distanz
Da sitzt der Filmemacher in einer Bar in Haifa, und sieht zu, wie junge Leute tanzen. Es ist eine Szene, die in jeder Bar auf der Welt spielen könnte, in der sich Menschen nicht um die Grenzen von Staaten und Geschlechtern kümmern. Sie zeigt aber eben auch den Künstler auf Distanz. Er ist selbst nicht Teil dieser Party. „Palästina bedeutet in diesem Sinn: sich nicht mit den geopolitischen Grenzen zu identifizieren, sondern sich zu verbinden mit dem Rest der Gerechtigkeit suchenden Anliegen auf der Welt. Diese jungen Leute sind pazifistisch, sie sind Aktivisten, sie feiern, sie drücken sich kulturell aus, sie kehren den Ideologien in der Region den Rücken. Sie wollen universelle Widerstandskämpfer sein. Pazifistische Kämpfer.“
Elia Suleiman erzählt also eine Geschichte, die vom Konkreten ins Utopische geht. Am Anfang geht es um einen Zitronenbaum, dessen Früchte man sich eigentlich gut teilen könnte, aber schon da gibt es Grenzen der Großzügigkeit und territoriale Pedanterie. In den Szenen in Frankreich und in Amerika zeigt der 59-Jährige dann sein Talent als Komiker. Inmitten der Geschehnisse aber bleibt er immer der Mann mit dem traurigen Gesicht. „Ich bin selber sehr viel fragiler geworden, man sieht auf der Leinwand meine Einsamkeit, meine Angst, man sieht mich wirklich, wie ich bin. Dieser ES (so nennt Suleiman die Kunstfigur, die er spielt, Anm. d. Red.) ist genauso verloren, wie ich es im richtigen Leben bin. Ich beobachte nicht länger die Wirklichkeit, die Wirklichkeit hat mich aufgesogen, ich muss sie verwandeln. Dieser unbeholfene, narzisstische, alte Mann – na ja, alt, da möchte ich noch nicht das letzte Urteil sprechen –, dieser Mann hat bis zu einem gewissen Grad mit mir zu tun. Im richtigen Leben bin ich noch lächerlicher. Aber man spürt, er ist am Zerbrechen.“
Diese ganze Verschmutzung
Suleimans Kino ist also auf Widersprüche gebaut: Ausgelassenheit und Starrheit, Ekstase und Trübsinn, Entfesselung und Komposition. Er spricht von einem meditativen Prozess, aus dem diese Filme entstehen: „So arbeite ich. Ich bin daheim, und ich beginne zu tagträumen. In diesen Tagträumen finden sich nicht nur Beobachtungen der Außenwelt wieder, sondern tief innen in mir finde ich da diese ganze Verschmutzung, diese Heuchelei. Ich bin diese Person, die sich der Wahrheit verschließt. Wenn man tief genug kommt, erreicht man diese spirituelle, kosmische Verbundenheit.“
Viele Szenen in „Vom Gießen des Zitronenbaums“ erzählen sehr konkret vom Leben in Israel, unter der Besatzung, mit den Gruppen, die Anspruch auf ein Land erheben. Es zeigt sich aber auch gerade in der Komik etwas, was darüber hinausgeht. Etwas jenseits von Politik und Geschichte, jenseits von seinen eigenen Lebenserfahrungen: „Ich habe seit einiger Zeit, nachdem ich einige Filme gemacht habe, einen neuen Ehrgeiz: Ich will Bilder machen, die keinerlei Bedeutung oder Metaphorik haben. Ich möchte sie vollkommen für das poetische Potenzial öffnen. Ich möchte ein absolut bedeutungsloses Bild schaffen, also offen für jegliche Interpretation. Ein Haiku. Ein Bild, das einfach ist, was es ist.“
Das Gespräch ist schon fast zu Ende, da kommt Elia Suleiman auf Berlin zu sprechen. Er war zuletzt wieder häufiger hier, weil er die Postproduktion seines Films hier gemacht hat. „Berlin ist wirklich die Stadt auf der Welt, in der ich mich am wohlsten fühle. Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange so bleiben, denn man kann nichts vor der Globalisierung beschützen. Aber sie ist noch nicht vollständig da. Das erinnert mich an New York, wie ich es früher kannte. Heute ist Berlin die letzte Stadt, die noch steht. Die übermächtige Enttäuschung, die auch hier bevorsteht, ist schrecklich.“
Vom Gießen des Zitronenbaums F/D/CAN/TK/PAL 2019, 97 Min., R: Elia Suleiman, D: Elia Suleiman, Gael García Bernal, Ali Suliman, Start: 16.1.