Konzert

Catherine Lamb in der Gedächtniskirche: Goodbye Beethoven!

Das Festival MaerzMusik präsentiert am 20. März einen Abend mit Musik der Berliner US-Komponistin Catherine Lamb in der Gedächtniskirche: „Inter Spatia“. Catherine Lamb ist eine der spannendsten Musikerinnen der Stadt. Sie hat keine Skrupel vor neuen Harmonien und legt freimütig die Kontrolle über ihre Stücke in die Ohren ihres Publikums. Wer ist diese Frau? Unser Autor Steffen Greiner hat Catherine Lamb für tipBerlin getroffen.

Catherine Lamb in der Gedächtniskirche: Die Berliner US-Komponistin wandelt auf neuen Klangpfaden bei der MaerzMusik. Foto: Xela Herridge Meyer

Catherine Lamb in der Gedächtniskirche: Komponieren ist Mathematik

In der Literaturtheorie gibt es seit den 1970er Jahren das Konzept vom „Tod des Autors“. Autor:innen, sagt es, sind nicht allein die Schöpfer:innen ihrer Texte, halten nicht allein die Kontrolle über ihre Bedeutung. Im Grunde halten sie sie nicht einmal zusammen. Der Ort ihres Entstehens ist ein anderer. Umgekehrt, schreibt der Semiotiker Roland Barthes in seinem gleichnamigen Essay, bedeutet die Erkenntnis, dass die Instanz des Autors eine Fiktion ist, nämlich eine neue Perspektive: Die der schaffenden Rezipient:innen, deren Wahrnehmung erst zusammenbindet, was Schreibende, selbst Rezipient:innen einer Welt voller Text und Bedeutung, collagieren. Der Tod des Autors ist die Geburt des Lesers.

Catherine Lamb wiederum ist quicklebendig im Gespräch, die Sonne scheint in ihre Wohnung in Moabit hinein. „Es ist“, lacht sie, „eher der Tod des Maestro“, also: der Künstlergenies vom Schlage Beethovens, die im Sturm der Musikgeschichte mit ruhiger Hand ihre revolutionären Partituren malen. Für die Bratschistin und Komponistin, Jahrgang 1982, der beim Festival MaerzMusik ein Abend in der Gedächtniskirche gewidmet ist, ist Komponieren eine mathematische Aufgabe. Sie löst sich ab von der eurozentrischen Musikgeschichte, von C-Dur und gleichstufiger Stimmung – das Gerüst der Grundarithmetik als musikalische Befreiung. In ihren Kompositionen sind die Töne nicht durch das übliche alphabetische Schema von C – D – E – F – G (und so weiter) bezeichnet, sondern durch Frequenzen. „Es ist darum auch eine Wiedergeburt, weil viele Komponist:innen jetzt mit reiner Stimmung arbeiten und diese neuen Wege erkunden.“

„Reine Stimmung“, so will sie ihr System nicht einmal verstanden wissen, zu vorbelastet sind Begriffe wie „rein“ oder, im Englischen, „just“, also „gerecht“ – sie nennt es, ihrem System mathematischer Frequenzierungen und Spiralen in hohen Primzahlen entsprechend, „rationale Stimmung“. Reine Stimmung, das bedeutet ein Tonsystem, das statt der vertrauten Tonhöhenklassen unendlich viele kleine Abstufungen kennt: Mikrotöne und die natürliche Harmonie von Klängen. Viele globale Musiktraditionen sind ihr verbunden, vom pentatonischen Blues Nordafrikas zu indischen Musiktraditionen.

In Indien hatte die Komponistin Catherine Lamb ein Erweckungserlebnis

Auch Lamb hatte einen musikalischen Erweckungsmoment in Indien, in Puna, wo sie mit Anfang 20 Musik studierte. Zuvor war sie ein Klassik-Nerd in der Stadt einer Punk-Revolution: Als Jugendliche ging sie auch auf Konzerte in ihrer Heimatstadt Olympia im US-Bundesstaat Washington, der Geburtsstätte der Riot-Grrrl-Bewegung in den frühen 1990ern, von Bands wie Sleater-Kinney und Bikini Kill. Ihre eigene musikalische Befreiung aber gab es erst außerhalb dieses Klangkosmos. „Ich war sowieso schon verwirrt über das Konzept von Harmonie und begriff dann, dass es andere Wege in die Tonalität gab. Es bedeutete, aus einem System auszusteigen und zu erkennen, dass es nicht das einzige war“, sagt sie. „Es bedeutet Freiheit.“ Zentral für sie ist das Konzept „Shruti“ – „das Gehörte“: „Für mich bedeutet es, den Klang zu bewegen, bis er den Raum aktiviert.“

Raum – mit dieser Kategorie wird der Tod des Maestros und die Wiedergeburt der Klangschreiberin noch greifbarer. Denn: Was sie natürlich in ihr kompositorisches Werk nicht einpreisen kann, ist, wie der Raumklang ihre Stücke verändert. Das ist spannend, findet sie, diese „Multiplizität, wo unerwartete Resonanzen entstehen“, wie sie sagt, „durch bestimmte Ausrichtungen, vor allem, wenn man nur zwei Personen hat, die spielen, wenn deren Klangspektren sich aufeinander ausrichten, wenn sie einander genau zuhören.“ Im Idealfall entsteht ein neuer, ein psychoaktiver Klang durch Verdichtung des Identischen. „Dann hat man das Gefühl, etwas wird lauter, dabei wird es nur intensiver.“ Übertriebene Töne nennt sie das, letztlich eine Frage der Berechnung gleichermaßen wie des Glücks. Happy little accidents.

Catherine Lamb in der Gedächtniskirche: Aktives Hören vorausgesetzt

So sind die langen, langsam im Schweben sich verschiebenden und verdichtenden Klangwelten Catherine Lambs eben auch Ergebnis eines Kontrollverlusts. „Ich interessiere mich für die verschiedenen Rollen zwischen dem Interpreten, dem Hörer und dem Komponisten. Ich mag die Verwobenheit. Auch wenn ich die Komposition geschrieben habe, die Struktur, die Formel, gebe ich mein Stück weg, und es ist nicht mehr meins“, sagt sie.

Catherina Lambs Musik feiert nämlich vor allem die Geburt der Hörerin: Nicht die Komponistin experimentiert mit Klang, sondern das Hirn, das Ohr der Hörenden; die körperlichen und psychologischen Resonanzen sind es, die die Musik erst schaffen. Gleich eine neue Ära der Musikgeschichte beginnt für sie mit dem aktiven Hören, zu dem ihre Musik auffordert. Sie entdeckte diese Technik nach einem Studium von Akustik-Theorie und dem dadurch geschärften Bewusstsein für Obertöne der Harmonien. „Ich ging gerade durch einen Park, als es klick machte und alles Harmonie wurde“, sagt sie: der Stromgenerator, ein Flugzeug über ihr. „Ich hatte vorher nicht realisiert, dass diese Harmonizität überall ist. Das war eine große Verschiebung.“

Vielleicht eben auch eine Bewusstseinsverschiebung, die sich nachhören lässt, jeweils ganz eigen mit den jeweilig eigenen Ohren, bei „Inter Spatia“, dem Stück für drei mikrotonale Tubas und vier Posaunen, das die
MaerzMusik am 20. März präsentiert. Ein konstantes Wandern vom Zentrum zur Peripherie, ein Zirkulieren von Grenzen und Formen, bis sich alles zu einem großen Ganzen verdichtet, das nicht totalitär ist, sondern vibriert, den Fokus nimmt und verschiebt. Wie Catherine Lambs in alle Richtungen im besten Sinne ausuferndes, neugieriges Musiktheoriegebäude.

  • Konzert „Inter Spatia“ mit Musik von Catherine Lamb, im Rahmen des Festivals MaerzMusik: Gedächtniskirche Breitscheidplatz, Charlottenburg, So 20.3., 21-24 Uhr, 20, erm. 15 €

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