Mit „Hell“ veröffentlichen Die Ärzte ein neues Album und bleiben sich thematisch und musikalisch mehr als treu. Satte Riffs, hohes Tempo, starke Texte. Die beste Band der Welt hat ein mehr als ordentliches Werk im Corona-Jahr 2020 vorgelegt. Eine Besprechung von Martin Schwarz.
„Hell“ – diese englisch-deutsche Doppelbedeutung gab es im deutschen Kulturgut schon einmal: Vor rund zehn Jahren nannte Tim Fehlbaum seinen sehenswerten dystopischen Thriller „Hell“. Dabei ging um eine Welt, in der eine zu helle Sonne alles verbrannt hat. Ein genialer Titel für eine Die-Ärzte-Platte, fasst er doch die beiden vorherrschenden Tendenzen der Altmeister zusammen, zwischen Licht und Dunkelheit, aber auch Farin Urlaubs ewige Vorliebe zu Sonne und Strand hier, und Bela Bs Hang zu dunklen (Vampir-)Mächten.
Die Ärzte: Einsicht, dass man ohne einander doch nicht kann
Das machte ja auch immer schon den besonderen Reiz aus bei der West-Berliner Kombo: das Yin und Yang der beiden Masterminds Bela und Farin (sorry, Rod). Der alkohol- und drogenabstinente Vegetarier Urlaub hier, der gerne mal abfeiernde Gruftie Felsenheimer dort. Und seien wir ehrlich: Bis heute durchhalten konnten Die Ärzte seit 1982 nur, weil es zur Trennung Ende der 80er kam und nach der Wiedervereinigung 1993 die Einsicht folgte, dass man ohne einander doch nicht kann. Seither rauft man sich nun alle paar Jahre mal wieder zusammen, um eine neue Platte zu produzieren, auf Tour zu gehen. Und das war es dann wieder für eine lange Zeit, dazwischen macht jeder seins. Das letzte Album „auch“ ist 2012 erschienen.
Die Ärzte bleiben sich mit „Hell“ mehr als treu
Thematisch bleiben sich Die Ärzte auch in „Hell“ mehr als treu. Ein Selbstbeweihräucherungsintro wie bei „13“ oder „Geräusch“ („EVJMF“), eine Sommer-Palmen-Sonnenschein-Hommage von Farin („Das letzte Lied des Sommers“), Betrachtungen übers Künstlerdasein („Clown aus dem Hospiz“, „Plan B“), das Feiern des Unspektakulären wie im „Lied des Scheiterns“ („Achtung: Bielefeld“), die ewige Sehnsucht nah dem puren Punk („Morgens Pauken“), Bashing von rechten Dumpfbacken inklusive Provokationen wie in „Schrei nach Freiheit“ („Woodburger“), Widerstandsaufforderung wie in „Nicht allein“ („Wer verliert, hat schon verloren“), dazu viel Selbstironie, mehr oder weniger bewusst schräge Reime – und enormen Spaß an der Musik.
Satte Gitarrenriffs, ansteckende Beats
Und auch musikalisch wird – mal abgesehen von einigen Electrosounds – auf „Hell“ mit seinen 18 Songs der Die-Ärzte-Sound nicht eben neu erfunden: satte Gitarrenriffs, ansteckende Beats, der obligatorische Rod-Song, der immer eine neue Klangfarbe mitbringt („Polyester“). Und wie schon bei den Vorgängeralben wird sich die Qualität einzelner Songs erst nach mehrmaligem Hören erschließen.
So wie einst bei „Junge“ mutet die Wahl der Single-Auskopplungen „Morgens Pauken“ und „True Romance“ (mit einem Gruß an das erste verfilmte Drehbuch von Quentin Tarantino) etwas merkwürdig an, scheinen doch die Songs „Das letzte Lied des Sommers“ oder „Ich am Strand“ beim ersten Hören viel hitverdächtiger zu sein. Mit „Junge“ lagen sie damals goldrichtig.
Fazit: „Hell“ ist Fanfutter par excellence, nicht immer leicht zugänglich, aber kraftvoll. Und für das konsequente Aussprechen der Popmusikerin Beyoncé auf der zweiten Silbe gibt es einen Extraknutscher.
Mehr Musik, mehr Die Ärzte und mehr Berlin
Die Ärzte und Berlin: Die Geschichte der besten Band der Welt. 12 Dinge, die man über David Bowie in Berlin wissen sollte und 12 Dinge, die man über Nick Cave in Berlin wissen sollte. Außerdem haben wir eine Liste mit den 12 wichtigsten Berliner Bands zusammengestellt. Da sind Die Ärzte natürlich dabei! Und wenn sie unterwegs sind: Die Ärzte auf Tour – was ihr wissen müsst.