Berliner Band

Die Ärzte und Berlin: Die gemeinsame Geschichte der Band und der Stadt

Die Ärzte und Berlin: Die Geschichte der Band ist verwoben mit der Geschichte der Stadt. Bela, Farin und Rod (zuvor auch Sahnie und Hagen) gehören seit den frühen 1980er-Jahren mit ihren frechen, politischen, manchmal auch obszönen und oft recht krachigen Songs zu den wichtigsten Bands in Deutschland. Oder wie es auch heißt: Die Ärzte sind schlicht und ergreifend die beste Band der Welt. Wir nehmen euch mit auf eine Zeitreise durch die Geschichte.


Bela, Farin und Sahnie

Die Ärzte und Berlin:
Berlin 1985 – Die Ärzte (Bela B., Farin Urlaub und Sahnie v.li.) auf der Bühne. Foto: Imago/Teutopress

West-Berlin in den frühen 1980er-Jahren. Die Frontstadt steht im Mittelpunkt des Kalten Krieges, aus England schwappt die Punk-Welle an die Ufer der Spree und auch im abgelegenen Spandau erforschen die jungen Wilden mit Zottelfrisuren die Macht der drei Akkorde.

Dirk Felsenheimer alias Bela B. trommelte und sang anfangs in der wenig erfolgreichen Punkband Soylent Green, als dem Gitarristen das Instrument abhanden kommt, übernimmt Belas Kumpel Jan Vetter alias Farin Urlaub die Position. Doch mit Soylent Green will es nicht vorangehen, die Band scheitert – und Bela und Farin gründen 1982 zusammen mit dem Bassisten Sahnie Die Ärzte.


Ballhaus Spandau

Hier im Ballhaus Spandau, lernten sich Bela und Farin kennen. Foto: Lienhard Schulz/Wikimedia Commons/CC 3.0

Eigentlich begann aber alles in diesem unscheinbaren Laden, der 1971 gegründeten Rockdiscothek Ballhaus Spandau. Hier lernten sich Bela und Farin 1980 kennen. Damit kommt die erfolgreichste Punkband aus Berlin eben nicht aus Kreuzberg, dem Heimatbezirk aller Hausbesetzer und Linksradikalen, sondern aus dem eher beschaulichen Spandau.

Doch auch im fernen Westen der Stadt kann man was erleben. Wer den Geburtsort von Die Ärzte entdecken will, sollte sich unsere „Entschuldigung, ist das hier noch Berlin?“-Liste mit 12 tollen Spandau-Tipps anschauen.

  • Ballhaus Spandau Dorfstraße 5, Spandau

The Incredible Hagen

Hagen Liebing (1961–2016), Berliner Punk der ersten Stunde, Bassist bei Die Ärzte und anschließend Musikredakteur beim tipBerlin. Foto: Privat

Die Ärzte veröffentlichen erste Songs. Sie setzen auf schnelle, schnörkellose Melodien, deutschsprachige Texte und viel Humor. Nach dem Gewinn des Senatsrockwettbewerbs und ersten kleineren Konzerten stellt sich ab Mitte der 1980er-Jahre der Erfolg ein. Die zweite Platte „Im Schatten der Ärzte“ (1985) erreicht die Charts. Doch es gibt Zwist und Bela und Farin trennen sich von Sahnie.

1986 steigt Hagen Liebing alias The Incredible Hagen ein, der zuvor bei den Nirvana Devils den Bass zupfte. Er bleibt bis zur Auflösung der Band und dem letzten Konzert in Westerland auf Sylt im Sommer 1988. Anschließend studiert Liebing, gründet eine Familie, engagiert sich bei dem Fußballverein Tennis Borussia Berlin und arbeitet bis zu seinem Tod im Jahr 2016 als Musikredakteur beim tipBerlin.


Die Ärzte vs. Teresa Orlowski

Die Ärzte und Berlin:
Farin Urlaub rechts und Bela B Mitte von Die Ärzte mit Pornodarstellerin Teresa Orlowski, 1980er-Jahre. Foto: Imago/TBM/United Archives

Jede Ära hatte eine Pornodarstellerin, die aus dem Genre hinaustrat und auch im Mainstream Spuren hinterließ. So wie Linda Lovelace, Cicciolina oder Sasha Grey, die sich auch als Künstlerinnen, Musikerinnen, Aktivistinnen und Politikerinnen einen Namen machten. In Deutschland der 1980er-Jahre war es Teresa Orlowski. Als großbusige Erotikfachkraft stieg sie erst in der Rolle der Foxy Lady zur deutschen Pornoqueen auf, später gründete sie einen Verlag, Studios und produzierte eigene Sexfilme.

So wie Orlowski hatten auch Die Ärzte, wegen der Songs „Geschwisterliebe“ und „Claudia hat ’nen Schäferhund“, in denen Inzest beziehungsweise Zoophilie thematisiert werden, Ärger mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Wegen dieser Gemeinsamkeit kam es zur Zusammenarbeit. 1989 trat Orlowski in dem Musikvideo zu dem Die-Ärzte-Hit „Bitte bitte“ auf.


Richy Guitar

Farin Urlaub spielte 1985 in Michael Laux‘ Indiefilm „Richy Guitar“. Foto: Imago/IFTN/United Archives

Der unabhängige Filmemacher Michael Laux landete 1985 seinen größten Coup: „Richy Guitar“. Für Fans von Die Ärzte und West-Berlin-Freaks ist der Film vor allem durch die Besetzung interessant. Farin Urlaub spielt einen erfolglosen Gitarristen, der sich in Berlin durchschlägt, Bela B. und Sahnie tauchen auf und irgendwann auch Popstar Nena höchstpersönlich.

Der an Originalschauplätzen in Berlin gedrehte Musikstreifen sorgte für Aufsehen in der Szene, avancierte zum Kult, wird von Bela und Farin aber als „Jugendsünde“ bezeichnet.


Nach uns die Sintflut

Die Ärzte und Berlin:
Bela B und Farin Urlaub bei einem Auftritt in der Unterhaltungsshow „Die Spielbude“, 1988. Foto: Imago/Frank Hempel/United Archives

1988 erschien „Das ist nicht die ganze Wahrheit …“, das vierte Studioalbum – und markierte zwischenzeitlich das Aus für Die Ärzte. Die Indizierungsverfahren machten der Band zu schaffen, zudem kamen interne Streitigkeiten und eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Situation.

Am 9. Juli 1988 spielten Die Ärzte ein legendäres Abschiedskonzert in Westerland auf Sylt. Es war der letzte komplette Gig in der Besetzung Bela, Farin und Hagen. Bis 1993 gingen die Musiker eigene Wege und wirkten in anderen Musikprojekten, etwa King Kong oder Depp Jones, konnten aber nicht an die Erfolge früherer Jahre anknüpfen.


Aktion Arschloch

Internet-Aufruf gegen Rassismus. Foto: Die Ärzte

1993 entschieden Bela und Farin, Die Ärzte wieder aufleben zu lassen. Statt Hagen Liebing, der offiziell nur als Bassist angestellt und kein ordentliches Bandmitglied war, stieß der Bassist Rodrigo González dazu, der zuvor bei Deep Jones Gitarre spielte.

Als erste Single in der neuen Besetzung und erste Veröffentlichung nach dem Mauerfall erschien „Schrei nach Liebe“, ein Song, in dem Die Ärzte sich klar gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stellten und damit auf die rechtsradikalen Auswüchse in den frühen 1990er-Jahren reagierten. Vor allem die rassistisch motivierten Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda.

Im August 2015 rief der Musiklehrer Gerhard Torges, unter dem Eindruck des Übergriffs auf ein Flüchtlingsheim im sächsischen Heidenau, mit der antirassistischen Initiative „Aktion Arschloch“ zur Verbreitung des Songs im Internet auf – was dazu führte, dass „Schrei nach Liebe“ im September des Jahres die Spitzenposition in den deutschen Charts erreichte.


SO36

Legendärer Berliner Punkclub, den Die Ärzte schon mal vor dem Ruin retteten. Foto: Imago/Steinach

Die Ärzte waren seit ihren Anfängen mit der Berliner Punkszene verbunden, deren zentraler Veranstaltungsort und sagenumwobenes Symbol seit jeher das SO36 in der Oranienstraße in Kreuzberg ist. Normalerweise spielen sie längst in riesigen Freilichtbühnen oder großen Konzerthallen, doch im Jahr 2000 gaben Die Ärzte eine Reihe geheimer Konzerte im SO36. Unter anderem auch eines gemeinsam mit den Toten Hosen, neben Die Ärzte wohl eine der berühmtesten deutschen Punkband überhaupt.

Bereits 1996 gaben sie ein Benefizkonzert für die legendäre Punkinstitution und im Sommer 2020 lasen Bela und Farin im SO36 aus den „Didi und Stulle“-Comics des Berliner Entertainers und Comiczeichners Fil. Mit der Soli-Lesung sammelten sie Spenden für die wegen Corona angeschlagene Berliner Clubszene.


Die vielen Leben des Bela B

Die Ärzte und Berlin:
Bela B, Sänger und Schlagzeuger von Die Ärzte, in der Berliner Parkbühne Wuhlheide. Foto: Imago/POP-EYE/Morlok

Es gibt ein Leben jenseits von Die Ärzte, sowohl für Farin, aber vor allem für Bela B. Während der blonde Gitarrist seinem Namen gerecht wurde und um die Welt reiste, Fotobücher veröffentlichte, sich für Greenpeace und Amnesty International engagierte und hin und wieder mit seiner zweiten Band Farin Urlaub Racing Team musizierte, hat sich Bela B gleich mehrere Standbeine aufgebaut.

Als Eigentümer des Comic-Verlags „Extrem Erfolgreich Enterprises“ hat er Horrorcomics herausgegeben, er spielte in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen, trat als Autor und Sprecher von Hörbüchern und Hörspielen in Erscheinung und veröffentlichte 2019 mit „Scharnow“ einen Roman. Auch musikalisch war er aktiv, Belas eigene Diskografie umfasst vier Soloalben und mehrere Dutzend Singles.


Die besten Fans der Welt

Enthusiastische Fans von Die Ärzte bei einem Konzert in Berlin. Foto: Imago/Ducks

Eine wirklich prägende Band erkennt man an ihren Fans. Und da kann man Die Ärzte wenig vormachen, sie sind live extrem erfolgreich, spielen vor zigtausenden Zuschauern und ihre Konzerte sind sehnsüchtig erwartete Ereignisse.

Das Besondere aber ist die Zusammensetzung des Publikums. Während die Fans der ersten Stunde heute älter als 50 sein dürften, wachsen Jahr um Jahr, Platte um Platte, neue Zuschauergenerationen nach. Zum Teenager-Leben in Deutschland gehört oft auch eine Die-Ärzte-Phase dazu, und manchmal bleibt man auch länger dabei. Damit sind Die Ärzte eine Band für jeden.


Die beste Band der Welt

Mit Punk-Haltung, viel Humor, klarer politischer Linie und gigantischem Erfolg, haben Die Ärzte in den vergangenen 40 Jahren deutsche Musikgeschichte geschrieben. Zwar füllen sie nicht so wie die Berliner Kollegen von Rammstein ganze Stadien in den USA und Südamerika, aber man kennt das Trio auch in anderen Ländern.

Ende Oktober 2020 erschien nach „auch“ (2012) mit „Hell“ erstmals wieder ein Studioalbum von Die Ärzte. 18 neue Songs verteilen sich hier auf 61 Minuten, ein ziemlich punkmäßiger Drei-Minuten-Schnitt. Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Die Ärzte sind sich treu geblieben.

Als Vorgeschmack auf das neue Album erschien bereits August 2020 vorab der Song „Morgens pauken“ mit dem markigen Refrain: „Alles ist Punk, einfach alles ist Punk, wirklich alles ist Punk“. Die Goldenen Zitronen sangen mal „Für immer Punk möchte ich sein“, das gilt bei allem Erfolg und Popstar-Allüren auch für Bela, Farin und Rod.


Die Berlin-Tour 2022 führt die Ärzte auch in kleine Clubs

Dass Die Ärzte eine Live-Band sind, wissen die zig Menschen, die sie schon live gesehen, in jedem Fall. Nur während der Pandemie waren große Auftritte leider nicht möglich. 2022 war für Bela, Farin und Rod wieder ein Live-Jahr: Ihre Club-Tour führte zu kleineren Locations wie SO36 und Schokoladen, sie waren aber auch für riesige Open-Air-Konzerte gebucht. Nicht alle der Konzerte konnten wie geplant stattfinden, aber die Fans feierten ihre Idole natürlich trotzdem. Live geht es immer weiter: Was ihr zur aktuellen Tour von Die Ärzte wissen müsst, lest ihr hier.


Mehr Musik und Berlin

Die Stadt hat ihn geprägt: Wir zeigen euch David Bowies Zeit in Berlin. Sie waren von unschätzbarer Bedeutung für deutschsprachige Rockmusik: Ton Steine Scherben – ihre Berlin-Geschichte erzählen wir hier. Ihr interessiert euch für Musikgeschichte? Dann besucht unbedingt mal die Pilgerstätten für Musikfans in Berlin. Auf dem Laufenden bleiben: Unsere Konzerte der Woche in Berlin. Immer neue Texte über Musik findet ihr hier.

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