Endlich erscheint am 8. Oktober das lang erwartete neue Album „Geheimnis“ der Indieband Isolation Berlin. Quasi zeitgleich bringt Frontman Tobias Bamborschke seinen neuen Gedichtband „Schmetterling im Winter“ heraus. Wir sprachen mit dem Sänger und Gitarristen über seinen Umzug nach Kreuzberg, früheres Musikmachen auf U-Bahnhöfen, seinen fiktiven Manager „Herr Gerd Müller“, die Angst vor dem Alter, keinen Bock auf Koks, einen Jahrhundertkater, neue Zufriedenheit und Hildegard Knef.
Isolation Berlin: Tobias Bamborschke hat früher auch auf U-Bahnhöfen gespielt
tipBerlin Tobias, warum treffen wir uns denn in Kreuzberg? Du wohnst doch in Prenzlauer Berg.
Tobias Bamborschke Ich bin vor gut einem Monat nach Kreuzberg umgezogen.
tipBerlin Hast du nicht mal gesagt, du würdest nie aus dem Prenzlauer Berg wegziehen?
Tobias Bamborschke Ich habe vor allem gesagt: weil ich es mir nicht leisten kann. Ein Freund von mir ist aber dann aus einer ziemlich günstigen Wohnung in Kreuzberg ausgezogen.
tipBerlin Die WG-Gemeinschaftswohn-Zeiten sind also vorbei. Was ist das jetzt für ein Gefühl?
Tobias Bamborschke Toll! Ich wohne ja das erste Mal in meinem Leben alleine. Jedes Mal, wenn ich den Schlüssel in die Tür stecke, habe ich einen Glücksgefühlsschwall. Ich habe ja seit über zehn Jahren in derselben Wohnung gewohnt.
tipBerlin Noch vor der Gründung von Isolation Berlin im Jahr 2012!
Tobias Bamborschke Mit Max, dem Gitarristen, hatte ich mir damals diese Wohnung gesucht. Wir hatten die Band aber schon in Planung. Wir sind da eingezogen und wussten: Wir wollten zusammen Musik machen.
tipBerlin Ihr beide, Max Bauer und du, habt anfangs auf der Straße gespielt, auch in U-Bahnhöfen…
Tobias Bamborschke Im Winter im U-Bahnhof Rosenthaler Platz. Das war unfassbar schrecklich! Wir wollten irgendwo auftreten. Ich habe damals auch einen fiktiven Manager erfunden, „Herr Gerd Müller“, mit dem habe ich Clubs angeschrieben. Wir haben nie eine Antwort bekommen. Am Brandenburger Tor bewarfen uns kleine Jungen mit Ein-Cent-Münzen.
Tobias Bamborschke: „Ich entziehe mich bewusst dem Druck“
tipBerlin Isolation Berlin wurden mit dem Debüt „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ 2016 die Lieblinge der Musikpresse. Wie groß ist der Druck jetzt, beim dritten Album?
Tobias Bamborschke Im Schreibprozess haben einige in der Band den Druck sehr gespürt. Ich nicht. Ich entziehe mich dem bewusst. Ich hatte viele Ideen. Für mich ist dann aber der Druck da: Wie schaffen wir es, das alles umzusetzen? Das ist ja nicht: Tobias Bamborschke und seine Musiker. Das ist eine Band!
tipBerlin Du hattest dich, schon bevor die Pandemie begann, zum Schreiben zurückgezogen. Wie weiß man, wann die Zeit dafür reif ist?
Tobias Bamborschke Schwer zu sagen. Ich ziehe mich oft zurück, wenn es mir nicht gut geht. Wenn ich merke, ich brauche Zeit für mich. Dann führt das meistens zu einem Schreibprozess. Ich habe damals zurückgeblickt auf die letzten zwei Jahre und dachte: Irgendwie musst du was ändern, damit du wieder produktiv wird.
tipBerlin Was hast du dann geändert?
Tobias Bamborschke Ich habe komplett die Sozialen Netzwerke gestrichen, aufgehört auszugehen, überhaupt keinen Alkohol mehr getrunken. Und versucht, die Qualität von dem, was ich konsumiere, zu erhöhen. Ich habe viel gelesen. Viele Gedichte. Und Dostojewski, Edgar Allan Poe, Charles Dickens. Ich lese auch gern Märchen, weil das für mich die Ursubstanz der menschlichen Existenz ist. Märchen sind bodenständig, aber gleichzeitig spirituell.
tipBerlin Ich habe den Eindruck, im neuen Album steckt weniger klar verortetes Berlin drin als auf den ersten beiden Alben.
Tobias Bamborschke Ich lebe seit 20 Jahren in Berlin, bin mit 13 aus Köln hergezogen, ich war nie lange weg. Ich schreibe über Dinge, die mich beschäftigen. Deshalb kann ich schwer beantworten, ob da jetzt weniger Berlin drin ist oder nicht.
Volkslieder, Chansons und auf die Fresse
tipBerlin Das Album beginnt mit einem überraschend unwiderhakeligen Liebeslied zur Akustikgitarre: „Am Ende zählst nur du“.
Tobias Bamborschke Ich bin ein großer Freund von Volksliedern. Das Lied strahlt eine kindliche Geborgenheit aus. Man muss heraustreten aus dieser Geborgenheit, um zu wachsen, zu reifen. Die Platte endet mit dem Alter, dem Ausgestoßensein, dem Verlust sozialer Kontakte.
tipBerlin Das letzte Stück „Entfant perdu“ ist das Lied eines Musikers, der die Zeit mit seiner Gitarre nicht mehr zurückdrehen kann, sein gefeiertes Debüt ist Jahre her.
Tobias Bamborschke Zwischen diesen Polen spielt das ganze Album, mit Stationen des Lebens. Da habe ich auch meine eigene Angst vor dem Alter verarbeitet: dass es irgendwann vorbei ist; keiner mich mehr hören will.
tipBerlin Die erste Albumhälfte fühlt sich lauter, übersteuerter, kraftvoller an. „Private Probleme“ ist so ein Beispiel. Man erfährt aber nicht, um welche Probleme es geht.
Tobias Bamborschke Manche wollen von mir ganz intime, private Dinge wissen. Auf der Bühne: gern! Aber sonst: nein! Auch in Interviews wurde es mir teilweise zu privat. Ob ich eine Freundin habe? „Private Probleme“ meint dann: „Ich habe private Probleme, lasst mich alle in Ruhe!“ Auch diese Erwartung, Iso B wäre immer so tiefgründig. Diese Erwartung zu brechen, das hat mir Spaß gemacht.
tipBerlin In „Entfant terrible“ singst du: „Sollten wir uns gleich auf Toilette sehn/Nein danke, ich nehme kein Kokain/Den Scheiß, den könnt ihr schön alleine ziehn.“
Tobias Bamborschke Wieder diese Erwartungen, die ich nicht erfüllen will. Ich will kein Koks nehmen! Da wird auch einiges rein-interpretiert in die Songs. Manche denken, ich würde die ganze Zeit nur ballern. Nein. Es ist so viel Arbeit, Texte zu schreiben! Man fällt nicht aus einer Kneipe in die andere, schreibt dann auf dem Bierdeckel ein paar Zeilen, und es ist Gold. So ist das Leben ja nicht.
tipBerlin Aber auf jeder Platte gibt’s mindestens einmal im Text auf die Fresse. Muss man Angst haben, wenn man dich zufällig trifft?
Tobias Bamborschke Ich habe tatsächlich noch nie jemandem auf die Fresse gehauen. Aber das ist ja auch ein Spiel mit der Aggression, die ich in der Musik rauslassen kann. Tatsächlich bin ich ein sehr friedliebender Mensch.
tipBerlin In der zweiten Hälfte sind die Songs ruhiger, auch elaborierter arrangiert. Am Ende neigt sich die Platte immer mehr dem Chanson zu, bis hin zu „Entfant perdu“.
Tobias Bamborschke Chanson ist auch ein großer Einfluss, ja. Hildegard Knef. Aber auch Charles Aznavour. Und Ingrid Caven ist meine große Heldin.
Tobias Bamboschke und die Gedichte: Not, Verletztlichkeit, Jahrhundertkater
tipBerlin Zeitgleich erscheint nun auch dein zweiter Gedichtband „Schmetterling im Winter“, nach deinem Lyrikdebüt „Mir platzt der Kotzkragen“ von 2017. War diese Gleichzeitigkeit von Album und Buch so beabsichtigt?
Tobias Bamborschke Eigentlich sollte die Platte früher kommen, das hat sich durch Corona verschoben. Es passt aber. Die Gedichte vertiefen teilweise Themen der Platte, die Albumtexte entstanden ja in derselben Zeit. Deshalb macht es Sinn, dass beides gleichzeitig rauskommt.
tipBerlin Einige Gedichte drehen sich um Not, Verletzlichkeit: „Ich schreibe eine Mail an meinen Doktor/ Ich brauche dringend Hilfe.”
Tobias Bamborschke Notsituationen sind immer Situationen, die existenzielle Wichtigkeit für einen haben. Ich finde Kunst, Gedichte, Texte schön, die das auch beinhalten. Deshalb nutze ich jede Situation, um etwas daraus zu schaffen. Irgendwie hat es dann auch einen Sinn für mich, dass ich da durchgehen musste, weil ich daraus etwas Positives ziehen konnte.
„Wenn man einsam ist, gibt es keinen schlimmeren Ort als Berlin“
tipBerlin Und dann gibt es lustigen Dada-Blödsinn wie „Der Jahrhundertkater (Stark gekürzte Fassung)“. Ein Auszug: „oggott achduscheiße/oh fuck ich kotzgleich…“
Tobias Bamborschke Natürlich ist Dada ein Einfluss. Aber mehr kann man ja nicht den Einfluss eines wirklich schrecklichen Katers zusammenfassen, der in Todessehnsucht, in Depressionen ausartet. Gleichzeitig liebe ich aber auch die Frechheit zu sagen: Das ist ein Gedicht. Es macht auch viel Spaß, das vorzutragen.
tipBerlin Macht Berlin dich eigentlich noch wütend?
Tobias Bamborschke Ich weiß gar nicht, ob mich Berlin früher wütend gemacht hatte, ich habe es auch als inspirierend empfunden. Aber ich bin nicht mehr einsam, das war ich damals. Mittlerweile habe ich Menschen, die mir nahe sind, die mir helfen. Dadurch empfinde ich die Stadt nicht mehr als erdrückend, weil ich in Berlin einen Platz gefunden habe. Eine große, anonyme Stadt kann total befreiend sein, wenn man einen Platz gefunden hat. Aber wenn man einsam ist, verzweifelt, gibt es kaum einen schlimmeren Ort als Berlin.
- Isolation Berlin „Geheimnis (Staatsakt/Bertus, VÖ 8.10.)
- Tobias Bamborschke „Schmetterling im Winter. Gedichte, Gedanken und Spelunken“, KiWi, 128 S., 14 €, VÖ 7.10.
- Die schöne Lesung auf Radioeins mit Tobias Bamborschke und Isolation Berlin Buch- und Albumpremiere, Fr 8.10., 19–21 Uhr
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