Siri an al-Dschazari: Mit Hito Steyerl hat eine der bedeutendsten Künstler*innen der Gegenwart den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste bekommen. Was fürs Publikum dabei rausspringt: Eine Einzelausstellung.
In der deutschen Sprache gibt es die schöne Formulierung, dass jemand „Bauklötze staunen“ kann. Vermutlich hat noch niemand konkret versucht, dieses Bild umzusetzen. Bei der Videoinstallation „HellYeahWeFuckDie“ von Hito Steyerl bekommt man eine Ahnung davon, was es künftig heißen könnte, Bauklötze zu staunen. Denn die Zukunft der hochtechnisierten Gesellschaft wird auch weiterhin im Wesentlichen aus Bauteilen bestehen, allerdings haben sie eine andere Beschaffenheit als die Holzstücke, mit denen Kleinkinder das Greifen und Handhaben lernen.
Die Bauklötze der Zukunft sind virtuelle Bilder, unsichtbare Algorithmen und künstliche Wesen. Das sind auch die Themen von Hito Steyerl, die damit zu einer der weltweit wichtigsten Gegenwartskünstlerinnen wurde.
Bei „HellYeahWeFuckDie“ sind übrigens auch die fünf Wörter im Titel schon Bauteile: Sie waren auf der Skulptur Projekte Münster, wo die Arbeit 2017 gezeigt wurde, als Raumelemente zwischen den Bildschirmen platziert, auf denen vor allem Roboteranimationen zu sehen waren. Viele Automaten versuchen, die menschliche Anatomie nachzuahmen, und so sieht man in diesen Szenen vor allem, wie Bauklotzfiguren mit vier Extremitäten sich unter „Beschuss“ im Gleichgewicht zu halten versuchen.
Zusätzlich spannend wurde diese Bewegungsstudie durch ein Video mit dem Titel Robots Today, in dem Hito Steyerl einen langen historischen Bogen schlägt: in der türkischen Stadt Cizre wurde im 12. Jahrhundert der arabische Denker al-Dschazari geboren, der sich schon damals mit Vorstellungen von Automatisierung beschäftigte. Heute ist das Telefon das geläufigste Utensil einer Durchdringung des Alltags mit raffinierten Bauklotzkombinationen. Und Steyerl sieht in der virtuellen Persönlichkeit Siri, mit der Apple sich den Konsumenten als sprechendes Gegenüber präsentiert, eine Antwort auf al-Dschazari.
In der Ausstellung, mit der die Akademie der Künste Hito Steyerls überragende Position in der Gegenwartskunst würdigt, wird „HellYeahWeFuckDie“ im Mittelpunkt stehen. Am Tag vor der Eröffnung wird Florian Ebner eine Laudatio anlässlich der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises an Steyerl halten – er war 2015 Kurator des Deutschen Pavillons bei der Biennale in Venedig, auf der Steyerl ihre Installation Factory of the Sun präsentierte. Die Preisträgerin in spe versuchte damals, in einer pointierten Kunstvariante von Motiven aus dem Blockbusterkino die Spezialeffekte aus dem Motion Capturing (Bewegungsdigitalisierung) für eine Widerstandserzählung produktiv zu machen. In den letzten Jahren war Steyerl auf fast allen Großereignissen des Kunstbetriebs mit Arbeiten vertreten, und kaum jemand hat so wie sie versucht, die gigantischen (kontrollgesellschaftlichen, militaristischen) Implikationen der entstehenden technologischen Komplexe auch durch die Form ihrer Installationen anzudeuten.
Hito Steyerl reflektiert ihre Arbeiten nicht zuletzt immer wieder in Texten. Aktuell empfiehlt sich für eine Lektüre der Band Duty Free Art, in dem sie auch über die Marktbedingungen ihrer ja durchaus aufwändigen Praxis nachdenkt. Zehn Jahre nach der ersten Berliner Ausstellung von Hito Steyerl im Neuen Berliner Kunstverein gibt es in der Stadt, in der die Künstlerin auch als Professorin an der UdK tätig ist, eine Gelegenheit, sich mit ihrem Werk wieder zu befassen. Mit dem Staunen beginnt ja bekanntlich die Philosophie, mit dem Staunen von Bauklötzen das Denken einer Zukunft, die für Hito Steyerl längst auf übermächtige Weise da ist.
Akademie der Künste Pariser Platz 4, Mitte, 21.2.–14.4., Di–So 11–19 Uhr, Eintritt 5/ erm. 3 €, bis 18 Jahre und Di 15–19 Uhr Eintritt frei