Nachdem die Leipziger Buchmesse im Frühjahr wegen Corona abgesagt wurde, mussten sich auch die Veranstalter in Frankfurt ein völlig neues Konzept überlegen. Bei der Frankfurter Buchmesse 2020 gibt es statt der klassischen Ausstellung in diesem Jahr eine Special Edition, neu ist auch ein umfangreiches Digitalangebot. So lässt sich die Buchmesse auch von Zuhause aus besuchen.
Viele Berliner Verlage sind dabei und haben frische Bücher im Gepäck: Hier sind 12 druckfrische Romane, Sachbücher und auch was für die kleinen Leser. Aus Berlin und für Frankfurt!
Aufbau Verlag: Helden
Es gibt eine gewisse „Englishness“ in der Sprache und Wortwahl, eine lakonische Eleganz, die das Erzählte geradezu beiläufig erscheinen lässt. Das ist nur wenigen gegeben, Stephen Fry aber auf jeden Fall. Dieses Talent nutzt er, um seine lebenslange Sinnsuche im Altertum zu kleinen Kostbarkeiten gerinnen zu lassen. Wie nebenbei am Küchentisch erzählt er die großen Geschichten der Antike, ohne dass sie sich dadurch irgendwie abnutzen würden.
„Helden“ ist nach „Mythen“ der zweite Band dieses Projekts. In diesem Jahr sind die Sagen von Herakles, Orpheus, Bellerophon und vielen weiteren im Aufbau Verlag erschienen – und Matthias Frings hat für seine Übertragung ins Deutsche sogar die Lakonie gerettet.
- Helden von Stephen Fry, Aufbau Verlag, 461 Seiten, 26,00 €
Aviva Verlag: A taste of honey
First things first: „A Taste of Honey“ ist auf der Hotlist 2020, der Bestenliste unabhängiger Verlage. Kein Wunder, denn Autorin Shelagh Delaney ist eine Ikone der Popkultur, die schon von Jeanette Winterson, Morrissey, und den Mitgliedern der Band The Smiths gefeiert wurde. Im Deutschen auch unter dem Titel „Bitterer Honig“ bekannt, handelt es sich bei dem Werk eigentlich um ein Theaterstück aus dem Jahr 1958.
In dem gleichnamigen Buch vom berliner Verlag Aviva erscheinen nun Shelagh Delaneys Stücke und Erzählungen gesammelt in der vollständigen Neu- beziehungsweise Erstübersetzung von Tobias Schwartz.
- A taste of honey von Shelagh Delaney, Aviva Verlag, 400 Seiten, 22,00 €
Berlin Verlag: Botschafter des Lebens
Die Berliner Autorin Caroline Ring ist studierte Biologin, sie arbeitete im Naturkundemuseum und später als freie Journalistin. In ihrem Sachbuchdebüt begibt sie sich auf eine botanische Entdeckungsreise durch unsere Städte. Die urbanen Bäume, geschunden von den Umweltbelastungen und doch Symbole des Lebens, stehen dabei im Mittelpunkt. Ring berichtet von seltenen und exotischen Stadtbäumen, von unscheinbaren und wildwachsenden Exemplaren und von berühmten und mächtigen Stämmen, die in Gedichten verewigt wurden. Wer inspiriert ist: 12 besondere Bäume in Berlin: Der Härteste, der Dickste, der Älteste…
- Botschafter des Lebens von Caroline Ring, Berlin Verlag, 256 Seiten, 22,00 €
Elfenbeinverlag: Die Harfenjule
Das Werk des legendären Berliner Schriftstellers Klabund (1890–1928) wird seit Jahren vom Elfenbein Verlag liebevoll gepflegt. Nach den Veröffentlichungen seiner Dramen, Kurzprosatexte und natürlich der berühmten Romane wie „Bracke“ und „Borgia“ erscheint nun die Lyrik.
In „Die Harfenjule“ setzt der unerschöpfliche Schreiber, den die Nazis als „Asphaltliteraten“ diffamierten, dem Berliner Milljöh ein dichterisches Denkmal. Und Berlinern tut Klabund ooch. Ein schöner Band mit aufschlussreichem Nachwort und ein literarischer Türöffner in das Berlin der 1920er-Jahre.
- Die Harfenjule von Klabund, Elfenbein Verlag, 120 Seiten, 19,00 €
Galiani Verlag: Die Tsantsa-Memoiren
Ein literarisches Abenteuer durch zwei Jahrhunderte – mit einem überaus ungewöhnlichen Erzähler. Wir befinden uns in der Zeit um 1780; im Schreibzimmer eines Beamten der Spanischen Krone in Caracas beginnt ein Schrumpfkopf sein Bewusstsein zu entwickeln. Doch seine ersten Versuche zu sprechen sorgen bei seinem Eigentümer prompt für einen Herzinfarkt.
In den folgenden Jahrzehnten wird er immer wieder an neue Besitzer weitergegeben und landet so auch in Rom, Paris, London, Bukarest und Berlin. Dort wird er Zeuge großer historischer Begebenheiten, aber auch alltäglicher Kleinigkeiten und findet nach und nach immer mehr über seine eigene Vergangenheit heraus.
Die Tsantsa-Memoiren von Jan Koneffke, Galiani Berlin Verlag, 560 Seiten, 24,00 €
Jovis Verlag: Hasenheide 13
Ein historisches Buch, das zugleich in die Zukunft weist. 2022 zieht die private Sammlung Wemhöner an die illustre Adresse zwischen Kreuzberg und Neukölln, dann werden in den Räumen des alten Ballsaals an der Hasenheide 13 zeitgenössische Werke von Künstlern wie Marina Abramovic, Georg Baselitz und Jorinde Voigt zu sehen sein.
Vorab hat sich Lothar Uebel mit der Geschichte des Hauses beschäftigt. In seinem Buch erzählt er von dem Ort, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts unter verschiedenen Namen zu den großen Amüsiertempeln der Stadt gehörte. Gefeiert, getanzt und getrunken wurde in im Primus Palast und im Cheetah, im Sector und im Joe an der Hasenheide und zuletzt im Pleasure Dome. Ein kenntnisreicher Ausflug in die Vergangenheit des Berliner Nachtlebens.
- Hasenheide 13 von Lothar Uebel, Sammlung Wemhöner, 208 Seiten, 24,00 €
Korbinian Verlag: Taxi
Frau Kaplan hat in einem Krieg ihren Sohn verloren – und die Wirklichkeit ergibt seitdem schlicht keinen Sinn mehr. Ihre Reaktion darauf wirkt erst einmal irre: Sie engagiert einen Schauspieler als Sohn – das ungelebte Leben bringt sie als Fake zurück, sie will erzählen, um das Schicksal zu ändern. Und der Sohn-Darsteller verschmilzt zunehmend mit seiner Rolle.
Cemile Sahin hat ihren literarischen Stil an US-Serien geschärft: „Taxi“ ist episodenhaft, hart geschnitten, vielstimmig und kein bisschen linear. Die Hauptfiguren selbst arbeiten an einem neuen Drehbuch für die Wirklichkeit. Cemile Sahin rast über die Metaebene, aber erzählt dabei doch konkret: vom menschlichen Leid, Politik und dem Versuch, etwas Deutungshoheit übers Leben zu gewinnen
- Taxi von Cemile Sahin, Korbinian Verlag, 220 Seiten, 20,00 €
Matthes & Seitz: Inniger Schiffbruch
Frank Witzel, Jahrgang 1955, erhielt 2015 den Deutschen Buchpreis für „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ – ein überbordendes Werk über Pop und Politik in Westdeutschland. Dieser alten BRD widmet er sich nun aus einem anderen Blickwinkel. „Inniger Schiffbruch“ ist ein autobiografischer Roman, der psychoanalytisch-assoziativ große Erinnerungsarbeit leistet. Witzel erforscht Gewohnheiten, scheinbar nichtige Aufzeichnungen und den Nachlass der Eltern, um auf die großen Brüche und seelischen Schäden der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu stoßen.
- Inniger Schiffbruch von Frank Witzel, Matthes & Seitz Verlag, 360 Seiten, 25,00 €
Querverlag: Zugzwänge
Deutschlands erster lesbisch-schwuler Verlag veröffentlicht einen Sammelband über die Erfahrungen von geflüchteten LGBT-Individuen und zeigt die Bedrängnisse auf, denen sie ausgesetzt sind. Von der Unterbringung in Einrichtungen, in denen sie Peinigern preisgegeben sind, bis hin zur Anzweiflung ihrer sexuellen Orientierung in Anhörungen – eine Bestandsaufnahme mit Berichten, die bezeugen, dass es sich bei dem Thema um eine politische Herausforderung handelt, die nicht nur ordinärem rechten Hass geschuldet ist.
Zu Wort kommen auch Schriftsteller*innen, die ihre Fluchterfahrungen fiktional verarbeiten, sowie Individuen, die autobiografische Auskunft über ihre Situation geben.
- Zugzwänge von Vojin Saša Vukadinović (Hrsg.), Querverlag, 272 Seiten, 18,00 €
Reprodukt Verlag: Die Vunderwollen
Bei dem im Wedding beheimateten Verlag Reprodukt erscheinen seit Jahren schon die schönsten Comics und illustrierten Bücher für Kinder. So etwa Camille Jourdys märchenhafte Comic-Erzählung „Die Vunderwollen“, in der die kleine Jo eine abenteuerliche Wanderung durch einen Wald unternimmt. In Sachen Skurrilität, schrägen Figuren und der Liebe zu sonderbaren Wendungen und absurden Begebenheiten steht der Band Lewis Carrols „Alice im Wunderland“ in nichts nach.
- Die Vunderwollen von Camile Jourdy, Reprodukt Verlag, 160 Seiten, 24,00 €
Tropen Verlag: Liebe, Körper, Wut und Nazis
Vier Menschen einer Generation, vier Themen, die unsere Zeit prägen – Liebe, Körper, Wut und Nazis und die Frage: Kann man sich zu nahe kommen? Jennifer Beck, Fabian Ebeling, Steffen Greiner und Mads Pankow wagen einen Selbstversuch mit aufrichtigen Antworten auf Fragen, die so persönlich sind, dass man sie nicht mal seinen engsten Freunden stellen möchte. Sie berühren Themen, die keiner gern anfasst – und zeigen, dass Verständigung nicht gleich Verständnis heißt.
- Liebe, Körper, Wut und Nazis von Jennifer beck, Fabian Ebeling, Steffen Greiner und Mads Pankow, Tropen Verlag, 208 Seiten, 20,00 €
Verbrecher Verlag: Erinnern stören
In diesem Jahr feiern Deutschland 30 Jahre Wiedervereinigung, und der Verbrecher Verlag möchte „Erinnern stören“. So heißt der von Lydia Lierke und Massimo Perinelli herausgegebene Band, der versammelt, was im Jubiläum des nationalen Jubels nicht untergehen sollte: der jüdische oder migrantische Blick, die Perspektiven jener Menschen, die im schwarzrotgoldenen Wir nicht mitgemeint sind. Rund 40 Autor*innen erinnern sich an die große deutsch-deutsche Party als Zäsur – und als Beginn neuer Kämpfe um Teilhabe und gegen Rassismus.
- Erinnern Stören von Lydia Lierke und Massimo Perinelli, Verbrecher Verlag, 540 Seiten, 20,00 €
Texte: Stefanie Kaiser, Jacek Slaski, Christopher Wasmuth
Mehr zu Literatur aus Berlin
Nicht nur die Frankfurter Buchmesse 2020 hat neue Konzepte. Mit Ulrich Schreiber sprachen wir über Corona, Cancel Culture und das Internationale Literaturfestival Berlin. Zwischen 1904 und 1908 beleuchtete ein journalistisches Großprojekt die Stadt von allen Seiten. Thomas Böhm bringt es neu heraus. Mit ihm sprachen wir über die „Großstadt-Dokumente“ und Berlin vor mehr als 100 Jahren. Noch mehr Lesestoff gefällig? Hier sind 100 Berlin-Romane, die man gelesen haben sollte. Wo ihr sie sicher findet? In den 12 schönsten und entspanntesten Bibliotheken Berlins.