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Kinderbücher gegen Rassismus: Wie Berliner Initiativen für Vielfältigkeit werben

Dass sie in der deutschen Gesellschaft latent nur die zweite Geige spielen sollen, merken Kinder of Color, also nichtweiße Kinder, bereits beim Lesen der meisten Kinder- und Jugendbücher: Darin kommen sie entweder gar nicht – oder nur in Form klischeebehafteter Stereotypen beziehungsweise als Randfiguren vor. Das muss sich endlich ändern. Verschiedene Berliner Initiativen sorgen dafür, vielfältigere Kinderliteratur breiter zugänglich zu machen. Weil auch und besonders Kinderbücher gegen Rassismus wirken.

Illustration aus der Diversity-Kinderbuchreihe "Nelly und die Berlinchen". Grafik: HaWandel Verlag/Mathilde Rousseau
Kinderbücher sind gegen Rassismus ein Mittel. Die lllustration aus der Diversity-Kinderbuchreihe „Nelly und die Berlinchen“ zeigt Vielfalt.. Grafik: HaWandel Verlag/Mathilde Rousseau

Patty, Mickey und Liza Sue kennen den Blick zum Himmel nur noch von einem Bild an der Wand. Die drei Kinder sind in eine große Kiste gesperrt worden. Aus Sicht der Erwachsenen haben sie zu viel gelacht und gesungen, gelärmt und getobt. „Du kommst mit der Freiheit nicht klar“, haben die Erwachsenen gesagt.

„Die Kinderkiste“, so heißt das von der im August 2019 verstorbenen afroamerikanischen Autorin Toni Morrison verfasste Buch mit Patty, Mickey und Liza Sue. Es gilt als junger Klassiker der diversen Kinderliteratur: Zu den Akteuren gehören Kinder of Color. Außerdem werden auch Unterdrückungserfahrungen und das Thema Selbstbestimmung verhandelt. 

Kinder of Colour: Häufig nur in problemorientierten Nebenrollen

Zwar ist hierzulande noch keine Studie erhoben worden, die sich die Frage nach der Repräsentation ethnischer Minderheiten in deutschsprachigen Kinderbüchern stellt. Aber der Blick in gängige Kinderbücher zeigt schnell, dass dort weitgehend weiße Menschen agieren und den Ton angeben. Figuren, die ethnischen Minderheiten entsprechen, tauchen in der Regel nur am Rande – oder nur dann auf, wenn „Anderssein“ ausdrücklich thematisiert wird. Die Berliner Initiative „i-Päd – intersektionale Pädagogik“ verwendet für die zuletzt genannte Konstellation den Begriff „problemorientiert“. Gegenüber „nicht problemorientiert“, wenn Menschen of Color selbstverständlicher Teil des Geschehens sind.

„Kinder of Color treten oft in Nebenrollen auf, in denen sie nicht aktiv zum Geschehen beitragen“, hat Tebogo Nimindé-Dundadengar in Sachen Kinderliteratur festgestellt. Sie ist eine der zwei Inhaberinnen von Tebalou, einem Berliner Online-Shop für „Vielfalt im Spielzimmer“. Nimindé-Dundadengar ist der Überzeugung, dass es zusätzlich zur selbstverständlichen Abbildung der in der Realität ja tatsächlich existierenden ethnischen Diversität in deutschen Kitas und Schulen auch Kinderbücher geben muss, in der spezifische Erfahrungen von Menschen of Color wiedergefunden und verhandelt werden können. „Authentische Geschichten, die nicht über die Lebensrealitäten der vermeintlich Anderen berichten, sondern die von Menschen geschrieben sind, die genau diese Lebensrealitäten selbst erfahren haben, sind unglaublich wichtig und leider im deutschen Kontext noch wenig anzutreffen“, sagt sie.

„In einer mehrheitsweißen Gesellschaft ein PoC-Kind zu sein“, erklärt auch Chima Ugwuoke vom Berliner Landesverband der Sozialistischen Jugendorganisation Die Falken, „bedeutet besondere Unterdrückungserfahrungen“. Denn wenn „Machtverhältnisse nicht thematisiert werden, denken Kinder oft, dass sie selbst schuld oder unzulänglich sind. Je früher wir mit Kindern darüber sprechen, dass das Machtverhältnisse sind, desto besser können sie es von sich trennen und überhaupt als ungerecht erkennen.“ Bücher können bei diesen Gesprächen ein gutes Hilfsmittel sein. Geeignete Bücher müssen Eltern und Bezugspersonen von Kindern aber erst einmal finden.

Audream: Mobile Bibliothek für antirassistische Literatur

Schon 2016 initiierte Ugwuoke „Audream“, eine in Anlehnung an die Schwarze Poetin Audre Lorde benannte mobile Bibliothek für antirassistische Literatur und Schwarze feministische Perspektiven. Die Nachfrage nach Kinder- und Jugendbüchern sei von Anfang an hoch gewesen, sagt sie. Viele der Bücher, die sie geeignet findet – Bücher, die nicht-weiße Kinder in Hauptrollen und nicht in stereotypen Rollen zeigen – seien zu selten aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt worden oder nur in kleinen Auflagen erschienen.

Das Buch "Das Wort, das Bauchschmerzen macht" von Nancy C. Della ist 2014 erschienen. Foto:  edition assemblage

Bis zur Corona-Krise organisierte Ugwuoke unter dem Titel „Das bin (ja) Ich“ Lesungen für Kinder, bei denen die verfügbaren Bücher vorgestellt werden. Eine der Lesungen hatte das Machtverhältnis Rassismus explizit zum Thema: Es wurde „Das Wort, das Bauchschmerzen macht“ von Nancy J. Della gelesen. Die Autorin erzählt darin von einem Schwarzen Jungen in der Vorschule. Beim Vorlesen eines nicht eindeutig benannten, aber als „Pippi Langstrumpf“ wiedererkennbaren Kinderbuchs, spricht die Lehrerin das in früheren Versionen des Astrid-Lindgren-Klassikers vorkommende N-Wort aus. Die weißen Kinder in der Klasse begreifen es daraufhin als vermeintlich akzeptable Bezeichnung für den Jungen, können seine durch das N-Wort verletzten Gefühle nicht verstehen.

Was einmal mehr zeigt, wie wichtig vielfältige Kinderliteratur auch für „Mehrheitskinder“ ist: Sie rückt die Perspektiven zurecht und hilft, die Illusion von weißer Maßgeblichkeit zu überwinden.


Infos + Adressen

  • i-Päd – intersektionale Pädagogik Auf der Webseite findet sich u.a. die Intersektionalen Kinderbuchliste;
  • tebalou – Vielfalt im Spielzimmer Online-Shop für diverse Bücher und Spielzeug;
  • Audream – Mobile antirassistische Bibliothek Das Audream-Team verleiht aus seinem Bestand diverse Bücher in Bücherkisten und organisiert – normalerweise – regelmäßig Lesungen;
  • Archiv des Vereins Each One Teach One e.V. Präsenzbibliothek des Weddinger Black-Empowerment-Vereins Each One Teach One (EOTO) mit afrikanischer und afrodiasporischer Literatur, darunter knapp 200 Kinderbüchern. Keine Ausleihe, nur Vor-Ort-Lesen. Togostraße 76, Wedding;

Text: Mathis Raabe


Mehr über Anti-Rassismus in Berlin

In Berlin gibt es zahlreiche Initiativen, Projekte und Orte, um sich mit den Perspektiven Schwarzer Menschen auf die Mehrheitsgesellschaft zu beschäftigen: Hier sind unsere Vorschläge. Auch in Berlin gibt es seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd, der bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis ums Leben kam, „Black Lives Matter“-Demonstrationen: So tretet ihr gegen Rassimus ein. Und guckt womöglich auch Filme jetzt mit etwas anderen Augen. Unserem Redakteur Jacek Slaski ging das beim „Otto-Film“ jedenfalls so.

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