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Was macht das Stadtmuseum Berlin in Corona-Zeiten, Herr Spies?

Im November haben die Ausstellungshäuser erneut schließen müssen. Wann sie wieder öffnen können, ist ungewiss. In der Stiftung Stadtmuseum nutzt man die Zeit. An welchen Ideen man in den Häusern jetzt arbeitet, erläutert ihr Direktor Paul Spies. 

Wäre das Haus nicht geschlossen, könnten Besucher*innen in der Nikolaikirche aktuell die Ausstellung „Features“ entdecken, unter anderem mit diesem Werk von Norbert Bisky. Der Leiter vom Stadtmuseum Berlin, Paul Spies, erklärt im Interview, was die Institution in Corona-Zeiten leisten kann – und woran gerade gearbeitet wird. Foto: Christian Kielmann

Fünf Häuser gehören zur Stiftung Stadtmuseum, und alle hat Direktor Paus Spies schließen müssen,  darunter die Nikolaikirche, hinter deren Türen derzeit „Features“ hängt, eine Ausstellung mit Arbeiten etwa von Sol Calero, Norbert Bisky und Thomas Kilpper zur Stadtgeschichte. Trotzdem soll im Januar eine Etage im Humboldt-Forum dazukommen – mit der Schau „Berlin Global“ zu internationalen Verflechtungen der Stadt im 19. und 20 Jahrhundert. Wir haben uns bei Paul Spies erkundigt, welche Folgen die Pandemie für seine Museen hat.

tipBerlin Herr Spies, Sie wollen am 16. Januar „Berlin Global“ im Humboldt-Forum eröffnen. Können Sie den Termin trotz der neuen Kontaktbeschränkungen halten?

Paul Spies Wenn der Lockdown nicht länger dauert, werden wir eröffnen können. Wir liegen im aktuellen Zeitplan. Täglich haben wir Abnahmen von Einbauten und Details der Ausstellung. Wir haben ja bereits zwei Verschiebungen mitgemacht.

tipBerlin Beeinflusst die Verspätung des Humboldt-Forums die Inhalte der Ausstellung? 

Paul Spies Nein. 

Stadtmuseum in Corona-Zeiten: Interview mit Direktor Paul Spies

tipBerlin In „Berlin Global“ wird die Tür des Clubs Tresor zu sehen sein, stellvertretend für die Berliner Clubkultur. Wir wissen nicht, ob und wie diese die Pandemie übersteht.  Ihre Musealisierung kann da wie ein Menetekel wirken.

Paul Spies Ich habe mir natürlich überlegt, ob ich Zeitgenössisches zu Grabe trage, indem ich es ins Museum stelle. Doch das trifft auf unsere Ausstellung nicht zu, denn wir zeigen immer Gegenwartsbezüge – zum Beispiel, wenn es um Migration geht. Die Tresor-Tür steht für das Wertheim-Kaufhaus, in dem sie eingebaut war, und für alles, was danach kam. Wir können sie auch zum Anlass nehmen, in Veranstaltungen über die nächste Phase der Clubkultur zu diskutieren.

tipBerlin Sie haben kürzlich in einem Interview laut überlegt, ob sich im Humboldt-Forum ein Club aufbauen ließe. Wenn die Clubkultur wirtschaftlich zerbricht, überlebt sie dann in öffentlich geförderten Häusern? 

Paul Spies Das war ein Vorschlag von Dimitri Hegemann…

tipBerlin …dem Gründer des Tresors.

Clubkultur im Museum: Die Tür des alten „Tresor“ ist für das Stadtmuseum ins Humboldt-Forum gezogen. Foto: David von Becker

Im Humboldt-Forum wird man irgendwann sogar tanzen können

Paul Spies In unserer Ausstellung im Humboldt-Forum wird man tanzen können: Wir haben eine Tanz-Kugel entwickelt, die innen völlig verspiegelt ist. Man fühlt sich darin, als ob man in einem unendlichen Raum schwebt, und bekommt einen Überblick über Tanzmusik – von Foxtrot und Charleston bis Techno und House. Wenn man jüngere Menschen aus allen Stadtteilen ansprechen will, muss man eine Brücke schlagen. Und wenn Dimitri Hegemann fragt: Warum haben wir eigentlich keinen Club im Humboldt-Forum, dann sage ich: Na, darüber kann man ja sprechen.

tipBerlin Wie viele Mitarbeitende Ihrer fünf Museen  müssen Sie jetzt nach Hause schicken?

Paul Spies Wir haben natürlich Homeoffice, oder korrekt: „mobiles Arbeiten“, eingeführt und wir sparen. Dabei helfen uns Kurzarbeit und die Mitarbeitenden mit großer Kollegialität. Außerdem sind wir in der glücklichen Lage, dass wir unseren Mitarbeiterstab wegen des Humboldt-Forums erweitern. Das sind wir etwas langsamer angegangen, damit wir niemanden nach Hause schicken müssen. Ich habe noch niemanden entlassen müssen, und ich hoffe, das bleibt so.

tipBerlin Fühlen Sie sich unterstützt? Vom Museumsbund, von Politiker*innen?

Paul Spies (Überlegt zwei Momente) Von der Berliner Politik, ja. Klaus Lederer hat kritisch angemerkt, er finde die Maßnahmen des Bundes ziemlich pauschal. Da sind wir bei ihm. Trotzdem kann ich nicht anders, als solidarisch mitzumachen. Wir sind solidarisch mit den Kinos und Theatern, die schwierigere Situationen bewältigen müssen, zum Beispiel an der Garderobe oder nach dem Ende einer Vorstellung. In Museen dagegen gibt es einen kontinuierlichen Strom von Individuen, der sich gut lenken lässt. Das hat der Bund nicht richtig gesehen.

tipBerlin Das Museum Knoblauchhaus im Nikolaiviertel ist seit der Pandemie geschlossen.

Paul Spies Im Knoblauchhaus sind die Hygienemaßnahmen nicht überzeugend zu managen. Es bleibt geschlossen, solange das Corona-Virus unterwegs ist. Wir wollen aber zu Weihnachten ein Programm entwickeln, das von der Straße aus betrachtet werden kann.

Paul Spies ist Direktor der Stiftung Stadtmuseum

Paul Spies, Direktor des Stadtmuseums. Foto: Stadtmuseum Berlin/Michael Setzpfandt

Paul Spies, 60, ist Vorstand und Direktor des Stadtmuseums Berlin sowie Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum. Der Kunsthistoriker aus den Niederlanden war zuvor unter anderem Direktor der Amsterdam Museum Foundation


tipBerlin In der Nikolaikirche gehören zur Ausstellung „Features“ kleine Bildschirme. Auf ihnen lassen sich Interviews mit Künstler*innen wie Norbert Bisky und Sol Calero abrufen, die ihre Arbeiten erklären. Ist das Teil einer Digitalisierungsstrategie?

Paul Spies Im Stadtmuseum nutzen wir Kunst, um Geschichte zu zeigen. Künstler sind wunderbare Vermittler. Auch in politischen Ausstellungen weiß man: Jetzt spricht ein Künstler mit einer persönlichen Ansicht und nicht ein Wissenschaftler über Fakten. Das macht uns frei, Meinungen zuzulassen, die Ausstrahlungskraft haben und ein Besuchermagnet sind, und zugleich einen Rahmen bieten, um über Sachverhalte nachzudenken.

tipBerlin Zum Beispiel welche?

Paul Spies In dieser Ausstellung hängt ein Gemälde von Helen Verhoeven, in dem es um eine Beerdigung in der Corona-Pandemie geht. Die Künstlerin macht klar, dass Schutzmaßnahmen unmenschlich sein können. Sie kommentiert das nur mit grauer Atmosphäre, die Einsamkeit versinnbildlicht: Familien, die sonst in großer Zahl zu Beerdigungen kommen, können beim Abschied von den geliebten Menschen jetzt nicht dabei sein. Das ist ein Zeitdokument – und besser, als auf der Straße gegen die Maßnahmen zu protestieren, weil man dann leugnet, was wir brauchen: Sicherheit für ältere Menschen und all diejenigen, die das Virus in Lebensgefahr bringt.

Paul Spies vom Stadtmuseum: Digitale Angebote auch älteren Menschen in der Corona-Pandemie zugänglich machen

tipBerlin Ihr Museum macht viele digitale Angebote. Doch ältere Menschen haben damit oft Schwierigkeiten. 

Paul Spies In der Tat. Ich hoffe, dass mehr Menschen anderen zur Seite stehen, wenn es darum geht, solche Formate abzurufen. In manchen Altersheimen gibt es beispielsweise Computerräume und Assistierende, die den Nutzenden zur Seite stehen. Wir versuchen, unsere digitalen Angebote so einfach wie möglich zu gestalten. Dafür bietet sich gerade Oral History, erzählte Geschichte an, die man in der Pandemie zuhause hören kann.

tipBerlin In der Stiftung Stadtmuseum hat ein neuer kaufmännischer Direktor angefangen, Lars Bahners – keine leichte Aufgabe jetzt. Wie hoch sind Ihre pandemiebedingten Verluste bei Besuchenden und Einnahmen? 

Paul Spies Da müssen wir das Ephraim-Palais rausrechnen: Das ist in diesem Jahr ohnehin geschlossen. Die Elektrik, die noch aus der DDR stammt, wird erneuert. Mit allen Museen haben wir 250.000 Besuchende im Jahr, ohne das Ephraim-Palais rund 180.000. Mit der neuen Schließzeit im November kommen wir wohl auf 35 Prozent unserer Besuchenden. Für die Einnahmen ist das nicht von sehr großer Bedeutung. Wir verlangen nur sieben Euro Eintritt und bieten viele Ermäßigungen und eintrittsfreie Tage an. Im Durchschnitt nehmen wir nicht mehr als vier Euro pro Eintritt ein.

tipBerlin Wenn Sie wirklich im Dezember wieder öffnen können, haben viele Menschen wenig Zeit, Tourist*innen werden über Silvester fehlen. Was bedeutet das für Sie?  

Paul Spies Zunächst das Gefühl, weniger Leute zu erreichen, und wenn bis zu 40.000 Besuchende weniger kommen, fühle ich mich tatsächlich weniger nützlich. Der zweite Eindruck ist: Diese Pandemie konfrontiert die Museen mit anderen Werten. Ihre künftige Aufgabe heißt: raus aus den vier Mauern, in die Stadt hinein. Seit der Pandemie sind unsere Mitarbeitenden viel mehr mit digitalen Produkten beschäftigt, und sie machen es gern. Da greife ich gern mit beiden Händen zu und führe es weiter. Zum alten Business werden wir nicht zurückkehren.


Digitale Angebote des Stadtmuseums

Auf den Internetseiten der Stiftung Stadtmuseum finden sich zahlreiche digitale Angebote, teils zum Mitmachen, unter anderem:

  • 1000x Berlin: Großes, thematisch gegliedertes Fotoalbum mit teils unbekannten Fotografien aus 100 Jahren Berliner Alltagskultur: von –1920 bis heute
  • Museum Knoblauchhaus: digitaler Erkundungsgang durch das zurzeit geschlossene Biedermeierhaus im Nikolaiviertel
  • The Sound of Berlin: Musik-Box mit Stücken von Cornelia Froboess bis Ellen Alien

Mehr tolle Geschichten aus dem Heft

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Mehr Texte über das Stadtmuseum

Am 1. Oktober 1920 entstand Groß-Berlin, mit der Eingemeindung der umliegenden Ortschaften entstand so quasi über Nacht die drittgrößte Metropole der Welt. Das Stadtmuseum Berlin widmet sich mit der Ausstellung „Chaos & Aufbruch“ den Umwälzungen von vor 100 Jahren.

Auch die Bezirke feiern dieses Jubiläum mit Ausstellungen, die teilweise bis weit ins Jahr 2021 zu sehen sind. Berlin war zwar lange Zeit nicht als kulinarische Hauptstadt bekannt, aber Berliner*innen haben schon immer gut und gerne gegessen, wie diese historischen Fotos aus den Untiefen des Archivs der Stiftung Stadtmuseum beweisen.

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