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Punkrock in der DDR: So klang der Untergrund im Osten

Wer sich für diesen Lebensstil entschied, landete nicht selten im Knast: Punk in der DDR zu sein hieß eben nicht nur, eine Frisur zu wählen. Eine neue Compilation beleuchtet den Punkrock in der DDR 1980 bis 1989.

Ein gefährlicher Lebensstil: Punk in DDR. Foto: imago images/Photo12
Ein gefährlicher Lebensstil: Punks in der DDR. Foto: imago images/Photo12

Jenseits von Nummer 200 wurde es interessant im Strafgesetzbuch der DDR. Angefangen mit dem Paragraphen 212 („Widerstand gegen staatliche Maßnahmen“), über Paragraph 214 („Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit“), Paragraph 215 („Rowdytum“), Paragraph 217 („Zusammenrottung“) oder Paragraph 219 („Ungesetzliche Verbindungsaufnahme“) bis zu Paragraph 220 („Öffentliche Herabwürdigung“) fanden sich all jene Paragraphen, die von den staatlichen Organen instrumentalisiert wurden, um die real existierende Punkszene in der Deutschen Demokratischen Republik zu kontrollieren.

Mit der DDR verschwanden vor genau 30 Jahren aber nicht nur diese Paragraphen, sondern auch die sonstigen Bedingungen, die Kreativität im Allgemeinen, Musik im Speziellen und den Punkrock im ganz Besonderen dort so besonders gemacht hatten.

Neue Compilation erweckt den Sound des DDR Punkrock wieder zum Leben

Punk zu sein in der DDR, das war mehr als nur die Entscheidung für eine außergewöhnliche Frisur oder ein Loch in der Hose. Viel mehr. Es war eine Entscheidung, die nicht selten im Gefängnis endete.

Diese Zeit wird nun wieder lebendig mit „Too Much Future– Punkrock GDR 1980-1989“, einer von dem Berliner Henryk Gericke und Maik Reichenbach aus Leipzig zusammengestellten Compilation mit Punkbands, die zu DDR-Zeiten niemals offiziell auftreten konnten und wollten. Auf drei Vinyl-Platten erschüttern Bands mit Namen wie Die Fanatischen Frisöre, DDR Terrorstaat oder Torpedo Mahlsdorf so dermaßen die modernen Anforderungen an Soundqualität, dass man noch heute gut verstehen kann, warum Volkspolizei und Staatssicherheit in Angst und Schrecken versetzt wurden – und beschlossen, die kleine, überschaubare Szene, die ihre Zentren in Ost-Berlin und Leipzig hatte, zu infiltrieren und zersetzen. „Wenn Punk im Westen ein popkulturelles Phänomen mit einem politischen Hintergrund war“, sagt Gericke, „dann war es im Osten genau umgekehrt: Da war Punk ein politisches Phänomen mit einem popkulturellen Hintergrund.“

Wie das ablief, kann man nachlesen im umfangreichen, textlastigen Booklet der Compilation, in dem Henryk Gericke mehr erzählt, als nur die Entstehung und das abrupte Ende einer Jugendkultur. Gericke, der selbst 1979 als 14-Jähriger in die Szene eintauchte und dessen Band The Leistungsleichen im elterlichen Wohnzimmer im 19. Stock mit Blick auf Todesstreifen und Westberlin probte, entwirft in seinem Text aus der Sicht von Außenseitern und Verfolgten ein Bild der DDR in ihren letzten Jahren, ein Sittengemälde eines bereits vom nahenden Untergang gezeichneten Landes.

Punk zwischen systemkonform und systemsprengend

Gericke geht es aber auch um eine Ehrenrettung. Ist es doch so, dass beim Stichwort DDR-Punk gewöhnlich stets dieselben beiden Namen fallen. Doch sowohl Feeling B, die Vorläuferband von Rammstein, als auch Die Skeptiker, die immer noch gut davon existieren, als Flaggschiff des DDR-Undergrounds auf die Bühne zu gehen, fehlen auf der Compilation. Denn Gericke und Reichenbach ziehen eine scharfe Trennlinie: Beide Bands besaßen eine offizielle Spielerlaubnis und waren dadurch Teil des organisierten Unterhaltungsbetriebs des Arbeiter- und Bauernstaates. Feeling B schätzt Gericke heute immerhin noch als „Nasreddins, die wie Till Eulenspiegel den Staat ausgetanzt haben“ . Kein gutes Haar lässt er dagegen an den Skeptikern: „Das war doch nur auf Punk gebürsteter Staatsrock.“

Tatsächlich besaßen Bands wie L‘Attentat, Schleim-Keim oder Namenlos eine ganz andere musikalische und vor allem textliche Radikalität, mit der sie dem Staat ihre Verachtung und Verzweiflung spüren ließen. Niemand, der bei einer FDJ-Veranstaltung oder in einem Kulturhaus auftrat, hätte es sich leisten können, einen Song „Stalin“ oder „DDR Terrorstaat“ zu nennen oder wie L‘Attentat in „Friedensstaat“ zu singen: „Ich wohne dort, wo die Panzer steh‘n, dort, wo man sagt, das Leben ist schön, dort, wo bald kein Vogel mehr singt, dort, wo das Wasser stinkt.“

Kreativität und Wiederstand: Punkrock in der DDR. Foto: imago images / Photo12
Kreativität und Wiederstand: Punkrock in der DDR. Foto: imago images/Photo12

Kein Wunder, dass Gericke im Booklet immer wieder auch Geschichten von Informellen Mitarbeitern erzählen muss, Geschichten von Verrat und Enttäuschung. „Die Freude am Tumult war immer damit verbunden, dass es etwas kosten konnte, im schlimmsten Fall die Freiheit“, sagt Gericke.

Aber viel öfter ist „Too Much Future“ keine traurige Geschichte, sondern eine voller wilder Kreativität, irrer Figuren und stolzer Menschen, die gegen alle Widerstände ihren eigenen Weg gegangen sind. „Wir haben uns neu erfunden, wir waren niemals nur Kopien des Westens“, sagt Gericke, der sich selbst schon Jahre vor dem Mauerfall aus der Szene verabschiedet hatte und stattdessen im Literatur- und Dissidenten-Umfeld mit Bärbel Bohley oder Bert Papenfuß aktiv wurde.

Mit der Compilation sieht Gericke – nach Ausstellung, Buch und Film, die bereits in früheren Jahren entstanden sind – seine Arbeit als Historiker des DDR-Undergrounds abgeschlossen. Nun will er sich wieder seinen anderen Projekten als Schriftsteller, Galerist, Labelmacher, DJ Nic Sleazy und Manager der 8mm-Bar widmen. Punk war ihm schließlich immer mehr als nur Mode und Musik, nämlich: „Ein Transitraum, in dem man ausprobieren kann, was man kann und nicht kann – um zu sehen, wohin es geht.“

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