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Porträt

„Das ist nicht mehr Kunst“: Die Regisseurin Karen Breece

Verstörende Begegnungen: Zeigen, was ist: Die Dokumentarregisseurin Karen Breece arbeitet am Berliner Ensemble mit Obdachlosen und hat das traditionsreiche Haus damit nachhaltig verändert. Nun hat sie die Motivation von Neonazis erforscht

Karen Breece, Foto: Saskia Pavek

Als die Dokumentarregisseurin Karen Breece im vergangenen Jahr am Berliner Ensemble ein Stück über Armut inszenierte, „Auf der Straße“, standen Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und Heimkinder auf der Bühne. Sie berichteten von ihrem Leben, man schämte sich beim Zusehen dafür, dass man meistens achtlos an Bettlern und Obdachlosen vorbeigeht. Das waren keine „Fälle“, keine „Opfer“, sondern starke, eigenwillige, empfindliche Persönlichkeiten. Die Inszenierung rückt keine Sekunde in die Nähe des theaterüblichen Elendspornos. Sie täuscht keine falsche Nähe, kein umstandsloses Einfühlungsangebot vor, Breece arbeitet hier entschieden nicht im Betroffenheits-Business.

Eine Folge der Inszenierung war, dass sich mit der Regisseurin das ganze Theater auf die Obdachlosen eingelassen hat. Einer von ihnen arbeitet jetzt in der Technikabteilung. Das Haus ist für sie zum sozialen Ort geworden. Sie sitzen selbstverständlich in der Kantine, auch wenn sie nicht spielen. Es ist kein Problem, wenn sie die Kostümabteilung bitten, ihre Wäsche zu waschen. Das Theater hat mehrere tausend Euro Spenden für den Berliner Kältebus gesammelt, der Obdachlose im Winter vorm Erfrieren rettet. „Am Anfang gab es Hemmschwellen. Im Lauf der Proben ist eine Annährung zwischen den Obdachlosen und dem Theater entstanden. Es ist ein Füreinanderdasein“, erzählt die Regisseurin. Im kommenden Winter stellt das Berliner Ensemble zwei kleine, einfache Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose in seinen Hof. Ohne großen Presserummel, einfach so, weil es richtig ist, Menschen in Not zu helfen. „Nichts davon wäre ohne die Arbeit von Karen Breece entstanden“, sagt Oliver Reese, der Intendant.

Doch Karen Breeces Recherchen für ihre neue BE-Inszenierung „Mütter und Söhne“ waren vielleicht die schwierigsten ihrer bisherigen Arbeit. Breece wollte verstehen, was in den Familien geschieht, wenn sich die pubertierenden Söhne radikalisieren und zu Neonazis werden. Sie hat Nazi-Aussteiger getroffen und Mütter von aktiven Neonazis. Sie hat verletzte, traumatisierte Menschen mit zerstörten Biografien kennengelernt.

„Die Mütter kämpfen um ihre Söhne, die sie lieben und die schreckliche Dinge tun. Sie sind innerlich zerrissen. Mit den Müttern zu sprechen war erst möglich, als sie gemerkt haben, dass ich das nicht ausbeuten will“, erzählt die Regisseurin. „Oft fangen die Gespräche stockend an, bis der Damm bricht. Eine der Mütter hat gar nicht mehr aufgehört zu reden. In der Radikalisierungsphase koppeln sich die Kinder völlig von ihrer Familie ab. Sie tragen die Aggression und Verrohung ins Familienleben, in die Wohnungen. Eine Mutter erzählt, wie ihr Sohn bei einem Streit über seine laute Rechtsrock-Musik mit einer großen Schere auf sie eingestochen hat.“ Viele der Mütter konnten sich nicht mit ihren Kindern aussöhnen.

In „Mütter und Söhne“ lässt Karen Breece Nazis und ihre Mütter erzählen. Foto: JR Berliner Ensemble

Angefangen hat Breece mit ihren Recherchen knapp ein Jahr vor der Premiere. Die Regisseurin hat mit Sozialpsychologen und Sozialarbeitern gesprochen, mit Rechtsextremismus-Experten, Polizisten und Beratungsstellen für Eltern. Judy Korn, die Mitbegründerin des Violence Prevention Network, hat ihr Einblicke in die Arbeit mit Aussteigern gegeben, mit ehemaligen Neonazis, aber auch mit Nazis, die noch radikalisiert sind und Hilfe brauchen: „Oft ist das gesamte Umfeld rechtsradikal. Oft sind es nicht die Aussteiger selbst, die um Hilfe bitten, sondern die Eltern oder die Freundin. Sie sehen die Zerstörung, die ein Neonazi, der Mensch, den sie lieben, sich selbst und anderen antut.“ Es war nicht leicht, mit den Nazi-Aussteigern in Kontakt zu kommen. Die Aussteiger-Hilfsorganisation Exit Deutschland hat die Regisseurin unterstützt. „Sie machen seit vielen Jahren hervorragende Arbeit. Ich finde es unverantwortlich, dass die Bundesregierung ihnen die Gelder kürzt“, sagt Breece.

Bei ihren Recherchen hat sie mehrere ehemalige, in der Szene bekannte Nazi-Aktivsten kennengelernt. Einer der Aussteiger radikalisierte sich als 14-Jähriger und war anderthalb Jahrzehnte aktiver Nazikader. Ein anderer Ex-Nazi saß wegen eines Gewaltdelikts im Gefängnis. „Ehrlich gesagt, er war mir sympathisch“, sagt die Regisseurin. „Natürlich geht man mit einer gewissen Ambivalenz in so ein Gespräch. Die Begegnungen waren auch verstörend. Sie haben zum Teil fürchterliche Dinge gemacht und jetzt versuchen sie, sich davon zu befreien und etwas wiedergutzumachen. Ich will das aus all den Perspektiven erzählen, die ich dafür wichtig finde. Ich kommentiere nicht, ich zeige, was ist.“

Diesmal stehen die Betroffenen nicht auf der Bühne, fünf Schauspieler (Laura Balzer, Nico Holinics, Bettina Hoppe, Corinna Kirchhoff, Oliver Kraushaar) sprechen und spielen ihre Texte. Zwei der Ex-Nazis kamen zu Workshops mit dem Ensemble ins Theater. „Die Situation von Aussteigern, die sich jetzt in der Präventionsarbeit gegen rechts engagieren, ist lebensgefährlich. Sie leben verdeckt und müssen Angst vor den alten Kameraden haben“, sagt Karen Breece. „Viele der Mütter sind wirklich traumatisiert und wollen nicht reden, schon gar nicht öffentlich. Es hätte etwas Anmaßendes, das auszustellen. Das ist nicht mehr Kunst. Das ist eine Grenze, die ich nicht überschreiten will. Man muss diese Frauen schützen.“

Aus diesen Recherchen hätte ein spannender Theaterabend entstehen können. Leider findet Breece in ihrer Inszenierung weder eine tragfähige szenische Form, noch entstehen in dieser etwas zufällig montierten Stimmencollage Figuren oder auch nur Szenen, die über schauspielerisch routiniertes Psychologisieren und Klischees hinausgehen würden.

Berliner Ensemble – Neues Haus Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte

Termine: Mütter und Söhne

Termine: Auf der Straße

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