Berlin verstehen

Besetzte Häuser in Berlin: Linke Geschichte von Köpi bis Rigaer Straße 94

Besetzte Häuser in Berlin tauchen immer wieder in den Nachrichten auf, die Rigaer Straße 94 im Friedrichshainer Kiez gehört zu den letzten noch umkämpften Häusern in Berlin. Mitte Oktober 2021 müssen die Bewohner des „Köpi“-Wagenplatzes an der Köpenicker Straße wegziehen – Zwangsräumung.

Regelmäßig liefern sich linke Besetzer wegen der Vorgänge Straßenschlachten mit der Polizei. Wasserwerfer und Tränengas auf der einen Seite, Barrikaden und Steine auf der anderen. Der Konflikt ist verhärtet und lodert seit Jahren und er bleibt aktuell. Die breite Öffentlichkeit ist irritiert, zwar begreifen die meisten Berliner und Berlinerinnen explodierende Mieten und den Ausverkauf der Stadt als Problem, die Methoden der Besetzerszene in der Rigaer Straße begrüßen aber nur wenige.

Doch besetzte Häuser gehören in Berlin nunmal spätestens seit den frühen 1970er-Jahren zum Stadtbild dazu und werden in aufgeheizten Debatten rund um die Frage „Wem gehört die Stadt?“ verhandelt. In Kreuzberg, wo anfangs der so genannte Häuserkampf stattfand, wurden so leerstehende und verfallende Altbauten vor dem Abriss bewahrt. Es ging um die Sicherung von Wohnraum, aber auch um den Eingriff in die Pläne des Senats, der damals ganze Wohnblocks ausradieren wollte und einen Autobahnzubringer bis zum Oranienplatz vorsah.

Maskierte Aktivisten schauen aus dem Fenster der während der Kundgebung vor dem besetzten Jugendclub Potse und Drugstore am 2. Januar 2019 in Berlin.
Maskierte Aktivisten schauen aus dem Fenster der während der Kundgebung vor dem besetzten Jugendclub Potse und Drugstore am 2. Januar 2019 in Berlin. Foto: Imago/Markus Heine

Andere Orte, wie etwa der selbstverwaltete Jugendclub Potse in Schöneberg, existierten weiter. Erst 2019 war Schluss. 2020 besetzten Aktivisten ein Gebäude auf dem Dragoner Areal in Kreuzberg und forderten neue Räumlichkeiten für die legendäre Institution. Besetzungen können auch politisches Druckmittel sein.

In der Regel geht es aber um die Schaffung und den Erhalt von Freiräumen, wofür bewusst geltendes Recht gebrochen wird. Die aus linken und autonomen Kreisen entstandene Hausbesetzerbewegung entfaltete eine neue Kraft nach dem Mauerfall. Während die West-Berliner Häuser entweder legalisiert oder geräumt wurden, erstarkte ab 1990 im Osten der Stadt eine neue Szene. In Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg besetzten Künstler, Punks und Querdenker viele Häuser, um darin zu wohnen, aber auch, um sie in Kulturorte und soziale Projekte zu verwandeln. Hier sind 12 besetzte Häuser in Berlin, die eine linke Geschichte der Stadt erzählen.


Rigaer Straße 94

Besetztes Haus in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain, Juni 2021. Foto: Imago/A. Friedrichs
Besetztes Haus in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain, Juni 2021. Foto: Imago/A. Friedrichs

Das Haus in der Rigaer Straße 94 im Friedrichshainer Nordkiez wurde 1990 besetzt. In den Geweberäumen im Parterre befindet sich die linke Kneipe Kadterschmiede. Nur dafür existieren keine Mietverträge, der Rest des Hauses, das nach der Wende der Jewish Claims Conference übertragen und später an Investoren verkauft wurde, ist ein legales Wohnprojekt. Dennoch sorgte die Rigaer 94 immer wieder für Schlagzeilen und wird heute als Trutzburg der autonomen Szene angesehen. Auch vom Verfassungsschutz. Eine größere Eskalation gab es im März 2021 an der Rigaer Straße 94.

  • Rigaer Straße 94, Friedrichshain

Liebigstraße 14

Plakate und Transparente fordern den Erhalt des linken Wohn- und Kulturprojekts Liebig14, Foto vom Januar 2011.
Plakate und Transparente fordern den Erhalt des linken Wohn- und Kulturprojekts Liebig14, Foto vom Januar 2011. Foto: imago/IPON

Auch die Liebigstraße 14 wurde 1990 besetzt. Zwar haben sich Teile der Hausgemeinschaft anfangs mit der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain geeinigt und es wurden Mietverträge unterzeichnet, dennoch eskalierte nach dem Verkauf des Gebäudes an die Lila GbR im Jahr 1999 die Situation. Den Bewohner*innen des Wohnprojekts wurde 2007 fristlos gekündigt, daraufhin folgten Demonstration, Gerichtsverfahren und 2011 schließlich die Räumung. Nachdem die Eigentümer das Haus sanierten und neu vermieteten, kam es zu zahlreichen Aktionen gegen die neuen Mieter, die wiederum vom „Terror aus der linksextremen Szene“ sprachen.

  • Liebigstraße 14, Friedrichshain

Liebigstraße 34

Besetztes Haus in der Liebigstraße 34 in Friedrichshain, Juni 2010.
Besetztes Haus in der Liebigstraße 34 in Friedrichshain, Juni 2010. Foto: Imago/Bernd Friedel

Die Liebigstraße 34 ist bis 2020 besetzt – immer wieder kommt es in den Jahren davor zu teils heftigen Polizeieinsätzen und Protesten. Für den 9. Oktober wird die endgültige Räumung angesetzt, die linke Szene aus ganz Deutschland formiert sich in Berlin. Polizei und Senat sind wegen „Liebig34“ in Alarmbereitschaft, es werden Kitas und Geschäfte geschlossen, weil alle fürchten, dass zum Ende von „Liebig34“ Chaostage ausbrechen. Das Kollektiv bezeichnet sich selbst als „anarcha-queer-feministisches Hausprojekt Liebig 34“. In einem Interview im Juni 2020 sagte eine Bewohnerin: „Unsere Strategie ist, wenigstens nicht sang- und klanglos unterzugehen. Was wir schon länger machen, ist Druck auf unseren Vermieter, also den Eigentümer, auszuüben.“ Die Räumung löst gemischte Gefühle aus – Liebig34 und die Folgen: wie viel Hass verträgt die Stadt?

  • Liebigstraße 34, Friedrichshain

Brunnenstraße 183

Besetztes Haus mit Umsonst-Laden in der Brunnenstraße 183 in Mitte, November 2008.
Besetztes Haus mit Umsonst-Laden in der Brunnenstraße 183 in Mitte, November 2008. Foto: Imago/PEMAX

Das Haus in der Brunnenstraße 183 in Mitte wurde in den frühen 1990er-Jahren besetzt. Zwar wurde die Besetzung legalisiert und die Gemeinschaft bekam Mietverträge, diese wurden von dem neuen Eigentümer, der das Haus 2006 kaufte, jedoch angezweifelt. Dieser bekam nach langen Gerichtsverfahren recht und kündigte den Bewohner:innen. Heute ist die Fassade komplett schwarz gestrichen und in riesigen goldenen Lettern prangt der Schriftzug „Studio 183“ darauf. Bis zur Räumung 2009 stand dort noch: „Wir bleiben alle!“

  • Brunnenstraße 183, Mitte

Köpi

Die Köpi in der Köpenicker Straße 137 in Mitte an der Grenze zu Kreuzberg, Aufnahme von 2007.
Die Köpi in der Köpenicker Straße 137 in Mitte an der Grenze zu Kreuzberg, Aufnahme von 2007. Foto: Imago/PEMAX

Die „Köpi“ in der Köpenicker Straße 137, genau an der Grenze von Kreuzberg und Mitte und unweit des Spreeufers, gehört zu den bekanntesten besetzten Häusern in Berlin. Das gewaltige Haus ist schon lange ein Dorn im Auge des Senats und der Eigentümer. Nach einer ersten Legalisierung kam es zu Kündigungen, Räumungsklagen, Besitzerwechseln und Zwangsversteigerungen. Das alles hat nichts daran verändert, dass die „Köpi“ vorerst weiterhin existiert und neben Frei- und Wohnraum auch ein wichtiger Veranstaltungsort für Bands, Künstler und Aktivisten aus dem linken Spektrum bleibt. Im Herbst 2021 allerdings ist der Köpi-Wagenplatz an der Köpenicker Straße 133-136 Ziel eines Polizeieinsatzes: die Stadt hat für den 14. Oktober die Räumung angesetzt.

  • Köpenicker Straße 133-136 (Wagenplatz) und 137 (Gebäude), Mitte

Linienstraße 206

Das Wohnhaus in der Linienstraße 206/ Ecke Kleine Rosenthaler Straße in Mitte, Aufnahmen von 2011.
Das Wohnhaus in der Linienstraße 206/ Ecke Kleine Rosenthaler Straße in Mitte, Aufnahmen von 2011. Foto: Imago/Hohlfeld

In der Linienstraße stehen mittlerweile luxussanierte Altbauten neben teuren Neubauten. Boutiquen, Restaurants und Galerien dominieren die Szenerie und man spürt den neuen Wind, der durch die von Touristen und Hipstern bevölkerte Mitte unweit des Rosenthaler Platzes weht. Wie ein Relikt aus alten Zeiten stand dort lange das 1990 besetzte Haus an der Ecke Kleine Rosenthaler Straße. Die graue und zerschlissene Fassade, mit Transparenten und Schriftzügen übersät, passte nicht mehr ins luxuriöse Ambiente des Berliner Stadtzentrums. Die Spekulationsgeschichte des Hauses liest sich wie ein Gentrifizierungskrimi. 2016, kurz vor der Räumung, sagte ein Bewohner, allein dass es das Haus in dieser Gegend noch gebe, sei politisch.

  • Linienstraße 206, Mitte

Tacheles

Kunst- und Kulturhaus Tacheles in Mitte im Jahr 1995. Foto: Imago/SMID
Kunst- und Kulturhaus Tacheles in Mitte im Jahr 1995. Foto: Imago/SMID

Kreuzberg hat das Künstlerhaus Bethanien, Mitte hatte das Tacheles. Während sich die Besetzer des alten Krankenhauses am Mariannenplatz durchsetzen konnten und im Herzen von Kreuzberg 36 einen wichtigen Ort für das Kreuzberger Kulturleben schufen, und auch noch Platz für die Besetzer aus dem geräumten Wohnprojekt Yorck 59 blieb, musste das Künstlerhaus Tacheles nach Jahrzehnten aufgeben.

Das alte Kaufhaus wurde Anfang 1990 besetzt. Zeitweilig gab es dort Ateliers, Ausstellungsräume, Kino, Theater, Kneipe und das riesige Freigelände, auf dem zeitweilig ausrangierte Militärfahrzeuge und sogar ein sowjetischer Kampfjet herum standen. Es war ein utopischer Traum, der lange hielt. Die Mitte veränderte sich, das Tacheles wurde zur Touristenattraktion, aber es blieb. Bis 2012. Seit der Räumung werden auf dem Grundstück massive Bauarbeiten durchgeführt.

  • Oranienburger Straße 54, Mitte

Mainzer Straße

Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain am 14. November 1990.
Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain am 14. November 1990. Foto: Imago/Werner Schulze

Wenn man heute von Hausbesetzungen in Friedrichshain spricht, dann denkt man vor allem an die Rigaer- und die Liebigstraße. Direkt nach der Wende war aber vor allem die im Südkiez gelegene Mainzer Straße das Synonym für den Häuserkampf in Ost-Berlin. Unweit des Boxhagener Platzes wurden zahlreiche Häuser besetzt, die meisten davon aber sehr schnell wieder geräumt. Wenn man heute in der Gegend unterwegs ist, stößt man aber auch dort noch auf Spuren der Besetzer. Wir haben mit Beteiligten von damals über die Mainzer Straße und den „Kiezkrieg ’90“ gesprochen.

  • Mainzer Straße, Friedrichshain

Marchstraße 23

Besetztes Haus in der Marchstraße in Charlottenburg, April 1991.
Besetztes Haus in der Marchstraße in Charlottenburg, April 1991. Foto: Imago/Ulli Winkler

Die meisten Hausbesetzungen in Berlin gab es in Kreuzberg, Mitte und Friedrichshain. Aber nicht nur! In der Marchstraße in Charlottenburg, unweit der TU Berlin und des Einsteinufers, existierte von 1989 bis 1996 ein linksalternatives Wohnprojekt. Lange sprach man vom letzten besetzten Haus im Westen. Ob das so stimmt, ist eine andere Frage. Die Besetzung war jedenfalls die Folge des Unistreiks von 1988 und das „Interdisziplinäre Projekt Marchstraße/Einsteinufer“ war die Manifestation der Kritik am Senat, dem man vorwarf, die Häuser „kaputtzubesitzen“. Dagegen hat man schon in Kreuzberger Tagen die Häuser lieber „instandbesetzt“.

  • Marchstraße 23, Charlottenburg

KuKuCK, Kunst- und Kultur-Centrum Kreuzberg

Das Kukuck, Kunst- und Kulturzentrum Kreuzberg, befand sich in der Anhalter Straße 7 in Kreuzberg, Aufnahme vom März 1984.
Das KuKuCK, Kunst- und Kultur-Centrum Kreuzberg, befand sich in der Anhalter Straße 7 in Kreuzberg, Aufnahme vom März 1984. Foto: Imago/Peter Homann

Während einige besetzte Häuser in Kreuzberg ihre Existenz bis in die Gegenwart sichern konnten, ist das KuKuCK nahezu vergessen. Das als Kunst- und Kultur-Centrum Kreuzberg getaufte Haus in der Anhalter Straße 7 wurde 1981 besetzt. Es gab einen Besetzerrat, man organisierte im Kollektiv Kulturveranstaltungen und politische Debatten und probierte die alternativen Lebens- und Organisationsformen aus, für die Kreuzberg später berühmt wurde. Dazu trugen auch die Leute hinter dem KuKuCK bei. Geräumt wurde im Juli 1984, trotz einer großen Solidaritätswelle und Protestkundgebungen. Heute gehört das Gebäude zu einem Hotelkomplex.

  • Anhalter Straße 7, Kreuzberg

Tommy-Weisbecker-Haus

Tommy-Weisbecker-Haus in der Wilhelmstraße in Kreuzberg, Aufnahme von 2019.
Tommy-Weisbecker-Haus in der Wilhelmstraße in Kreuzberg, Aufnahme von 2019. Foto: Imago/Schöning

Selbstorganisiert, gemeinnützig und engagiert. Das Tommy-Weisbecker-Haus gehört seit 1973 zu den wichtigsten Institutionen der linken Szene. Nach der Besetzung des Schöneberger Drugstore, des ältesten selbstverwalteten Jugendzentrums in Berlin, forderte man vom Senat das leerstehende Haus in der Wilhelmstraße 9 für ein neues Projekt, das als Anlaufstelle für Jugendliche dienen sollte. Die Besetzer setzten sich durch, benannten das Projekt nach dem Mitglied der linksmilitanten Bewegung 2. Juni Thomas Weisbecker, der 1972 von der Polizei erschossen wurde. Nach vielen Querelen konnte in den 1980ern eine Renovierung des Hauses durchgeführt werden. Zu dem Projekt gehört seit 1990 auch die Kneipe Linie 1 und ein Veranstaltungsort für Konzerte. Im „Tommy-Haus“ spielten schon weltberühmte Bands wie Rage Against the Machine und Queens of the Stone Age.

  • Wilhelmstraße 9, Kreuzberg

Georg-von-Rauch-Haus

Georg-von-Rauch-Haus am Mariannenplatz in Kreuzberg, Aufnahme von 2011.
Georg-von-Rauch-Haus am Mariannenplatz in Kreuzberg, Aufnahme von 2011. Foto: Imago/PEMAX

Das ehemalige Schwesternwohnheim des Bethainen-Krankenhauses in Kreuzberg wurde bereits 1971 besetzt. Die Ton Steine Scherben verewigten das Haus und den Namensgeber, den in der linken Szene aktiven Stadtguerillero Georg von Rauch, der 1971 von der Polizei erschossen wurde, in ihrem Rauch-Haus-Song. Die Besetzer gründeten den Trägerverein „Jugendzentrum Kreuzberg e.V.“ und handelten schon früh legale Nutzung- und Mietverträge mit dem Senat aus. Diese wurden zwar immer wieder geändert, das Haus existiert aber bis in die Gegenwart und wird 2021 den 50. Geburtstag feiern.

  • Mariannenplatz, Kreuzberg

Wer mehr über besetzte Häuser in Berlin und ihre Geschichte erfahren will, sollte sich Berlin besetzt, die illustrierte Karte zu Hausbesetzungen in Berlin, ansehen.


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