Geschichte

100 Jahre Nofretete in Berlin – umstritten, geliebt, einzigartig

Was die Mona Lisa für Paris und die Sonnenblumen für Amsterdam sind, ist die Büste der Nofretete für Berlin. Wohl kein anderes Kunstwerk, das hier dauerhaft ausgestellt wird, ist so berühmt. Die 50 Zentimeter hohe Büste wurde 1912 von einer deutschen Ausgrabungsexpedition gefunden und wird seit 1924 öffentlich präsentiert. Seit 100 Jahren also! Die einzigartige Skulptur wird geliebt, ihr Verbleib in Berlin ist aber auch heftig umstritten. Zum Jubiläum blicken wir in 12 Fotos auf die wechselvolle Geschichte der Nofretete in Berlin.


Europäische Archäologen bei Ausgrabungen in Ägypten

Englische Archäologen bei einer Ausgrabung in Ägypten. Foto: Imago/Cola Images
Englische Archäologen bei einer Ausgrabung in Ägypten. Foto: Imago/Cola Images

Im 17. Jahrhundert begannen gelehrte Europäer verstärkt damit, sich mit dem antiken Ägypten zu beschäftigen. Daraus entwickelte sich nach und nach die Ägyptologie, die zum bedeutenden Betätigungsfeld von Archäologen wurde. Zahlreiche Expeditionen vor allem aus den Kolonialmächten England und später auch Frankreich führten ins Land der Pharaonen. Im 19. Jahrhundert lösten spektakuläre Funde die Ägyptomanie aus, die noch bis in die 1920er-Jahre andauerte. Die schöne Cleopatra, der goldene König Tut, die geheimnisvollen Pyramiden und die mystischen Hieroglyphen wurden zum beliebten Sujet der Eliten. Man feierte ägyptische Bälle, sammelte altägyptische Artefakte, und in den historischen Museen wurden die ägyptischen Sammlungen zu Publikumsmagneten.


Kaiser Wilhelm II. und der Wettlauf der Kolonialmächte

Kaiser Wilhelm II. von Preußen wollte Frankreich und England die Ausgrabungen in Ägypten nicht überlassen. Foto: Archiv
Kaiser Wilhelm II. von Preußen wollte Frankreich und England die Ausgrabungen in Ägypten nicht überlassen. Foto: Archiv

Auch fürs Kaiserreich wollte Wilhelm II. von Preußen ein Stück vom ägyptischen Kuchen abhaben. Man könne die archäologischen Unternehmungen schließlich nicht den Erzrivalen England und Frankreich überlassen. lautete die Devise des Monarchen, der Deutschland ebenfalls gerne als bedeutende Kolonialmacht gesehen hätte. So wurde 1906 das Kaiserliche Deutsche Institut für ägyptische Altertumskunde in Kairo gegründet und 1911 begann die erste große Grabung der Deutschen Orient-Gesellschaft. Leiter der Kampagne war der in Berlin geborene Ägyptologe und Architekt Ludwig Borchardt.


James Simon: Einer der bedeutendsten Kunstmäzene seiner Zeit

James Simon. Mit seinem Namen dauerhaft verbunden ist die Porträtplastik der Nofretete, die er dem Ägyptischen Museum in Berlin übereignete. Foto: Archiv
James Simon. Mit seinem Namen dauerhaft verbunden ist die Porträtplastik der Nofretete, die er dem Ägyptischen Museum in Berlin übereignete. Foto: Archiv

Finanzier der Grabungskampagne von 1911 war der Berliner Baumwollhändler James Simon, ein reicher Mäzen und Förderer von Kunst und Wissenschaft, nach dem heute die James-Simon-Galerie, das Besucherzentrum der Berliner Museumsinsel, benannt ist. Simon erhielt die Grabungskonzession und sicherte sich vertraglich die Eigentumsrechte an dem deutschen Anteil der gefundenen Artefakte zu, der andere Teil ging an Ägypten.


Die Büste der Nofretete kommt in Deutschland an

Dieses Foto wurde bereits in Deutschland erstellt, es zeigt den Schaden, den die Cobra seit ihrer Entdeckung im Jahr 1912 erlitten hat. Foto: Wikimedia Commons/Deutsche Orient Gesellschaft/Homa Nasab/CC 4.0
Dieses Foto wurde bereits in Deutschland erstellt, es zeigt den Schaden, den die Kobra seit ihrer Entdeckung im Jahr 1912 erlitten hat. Foto: Wikimedia Commons/Deutsche Orient Gesellschaft/Homa Nasab/CC 4.0

In den Jahren 1912/1913 ging die Grabungskampagne der Deutschen Orient-Gesellschaft in die dritte Phase. Bei Ausgrabungen in Tell el-Amarna stießen die Forscher in den Überresten eines Hauses auf die weitgehend unversehrte Büste der Nofretete. Ludwig Borchart beschrieb den sensationellen Fund mit folgenden Worten: „Dann wurde die bunte Büste erst herausgehoben und wir hatten das lebensvollste ägyptische Kunstwerk in Händen.“ Über die tatsächliche Teilung der Artefakte und die Frage, weshalb die Büste nach Deutschland ging, statt in Ägypten zu bleiben, existieren verschiedene, teilweise widersprüchliche Versionen.


Hoher Besuch im Museum Dahlem

Der zypriotische Vizepräsident Fazıl Küçük und Gattin besuchen West-Berlin und die Nofretete. Foto: Wikimedia Commons/Bundesarchiv, B 145 Bild-F014916-0034 /Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0
Der zypriotische Vizepräsident Fazıl Küçük und Gattin besuchen West-Berlin und die Nofretete, 1957. Foto: Wikimedia Commons/Bundesarchiv, B 145 Bild-F014916-0034 /Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0

1913 gelangte die Nofretete bereits nach Berlin. Sie wurde zunächst in Simons privater Residenz in Tiergarten deponiert und vorerst nicht öffentlich ausgestellt. 1920 schenkte er das einzigartige Kunstwerk dem preußischen Staat. Es dauerte noch vier Jahre, bis sie erstmals auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt wurde. 1924 war es so weit, als die „Tell el-Amarna-Ausstellung“ eröffnete. Den Krieg überdauerte die Büste in einem Tresor der Reichsbank am Gendarmenmarkt und in einem Bergstollen in Thüringen und wurde nach Kriegsende nach Wiesbaden gebracht. Erst 1956 erfolgte der Rücktransport nach West-Berlin, wo die Nofretete im Museumszentrum Dahlem eine neue Heimat fand.


Nofretete Superstar

Die Büste der Nofretete im Ägyptischen Museum in Charlottenburg, 1979. Foto: Wikimedia Commons/Rüdiger Stehn/CC 2.0
Die Büste der Nofretete im Ägyptischen Museum in Charlottenburg, 1979. Foto: Wikimedia Commons/Rüdiger Stehn/CC 2.0

Den großen Ruhm und den Status als wohl bedeutendstes Kunstwerk der Mauerstadt erhielt die Büste der Nofretete erst 1967 bei ihrem erneuten Umzug ins Ägyptische Museum, das im östlichen Stülerbau in Charlottenburg eröffnet wurde. Dort blieb sie bis zum 28. Februar 2005. Beeindruckend an Nofretete – das unterscheidet sie von vielen anderen Artefakten aus der ägyptischen Antike – ist ihr nahezu perfekter Zustand, die eindrucksvoll leuchtenden Farben und der fast lebendige Blick des rechten Auges. Faszination Ägypten pur! Einen ebensolchen Effekt erzielt vielleicht nur noch die goldene Totenmaske des Pharaos Tutanchamun.


Nofretete im Alten Museum

Eine Frau schaut sich die Büste der Nofretete im Alten Museum in Berlin an. Foto: Imago/Lars Reimann
Eine Frau schaut sich die Büste der Nofretete im Alten Museum in Berlin an, 2005. Foto: Imago/Lars Reimann

Nach einer kurzen Zwischenstation bei der Ausstellung „Hieroglyphen um Nofretete“ im Kulturforum Berlin war die Büste der Nofretete ab 2005 wieder auf der Museumsinsel zu sehen. Vorerst aber im Alten Museum.


Nofretete kommt.

"Nofretete kommt" - Plakat zur Ankündigung der neuen Ägypten-Ausstellung am eingerüsteten Alten Museum auf der Berliner Museumsinsel, 2009. Foto: Imago/PEMAX
„Nofretete kommt“ – Plakat zur Ankündigung der neuen Ägypten-Ausstellung am eingerüsteten Alten Museum auf der Berliner Museumsinsel, 2009. Foto: Imago/PEMAX

Nach umfangreichen Umbauarbeiten eröffnete 2009 das Neue Museum auf der Museumsinsel. Mit Ausstellungen zur Vor- und Frühgeschichte, Ägyptischem Museum und der Papyrussammlung. Superstar der Ausstellung und Werbeträgerin mit hohem Erkennungswert war natürlich die Büste der Nofretete.


Das Neue Museum wird eröffnet

Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Königin Nofretete, Kanzlerin Angela Merkel und am Rande der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bei der Eröffnung des Neuen Museums auf der Museumsinsel in Berlin. Foto: Imago/Eventpress/Krohn
Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Königin Nofretete, Kanzlerin Angela Merkel und am Rande der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bei der Eröffnung des Neuen Museums auf der Museumsinsel in Berlin, 2009. Foto: Imago/Eventpress/Krohn

Auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ es sich nicht nehmen, mit der ägyptischen Königin zu posieren. Bei der Eröffnung des Neuen Museums auf der Museumsinsel stand Nofretete mal wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit.


Frische Nofreteten aus der Gipsformerei

Gipsformer Frank Zühlke bearbeitet eine neue Edition der Nofretete. Foto: Imago/Thomas Lebie
Gipsformer Frank Zühlke bearbeitet eine neue Edition der Nofretete. Foto: Imago/Thomas Lebie

Die Büste der Nofretete ist einzigartig, doch wie die meisten Kunstwerke von Weltrang wurde sie unendlich oft kopiert, interpretiert und adaptiert. Hier stellt ein Gipsformer Repliken der Büste her, die für eine Skulpturen-Edition bestimmt sind, die man in ausgewählten Museumsshops kaufen kann. Die Nofretete für zuhause.


Nofretete und die Kolonialgeschichte

Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt, Berlin 2017. Foto: Imago/IPON
Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt, Berlin 2017. Foto: Imago/IPON

Der Streit um die Büste der Nofretete dauert schon gut 100 Jahre. Seit der ersten öffentlichen Präsentation in Berlin im Jahre 1924 werden Rückgabeforderungen aus Ägypten laut. Schon damals erkannte die ägyptische Regierung die Art und Weise, unter der die Aufteilung der Funde von 1912/193 stattfand, nicht an. Aus strategischen Gründen planten die Nazis in den 1930er-Jahren tatsächlich eine Rückgabe, der sich aber Adolf Hitler persönlich entgegenstellte. „Ich werde den Kopf der Königin niemals aufgeben“, soll Hitler damals verkündet haben. Auch Zahi A. Hawass, langjähriger Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, forderte immer wieder eine Rückgabe. Zugleich stieg die Nofretete bei antikolonialen Demonstrationen zum Symbol für die europäische Herrschaft der Kolonialzeit, Raubkunst und Entschädigungsklagen von Ländern und Initiativen in Asien, Afrika und Lateinamerika auf.


100 Jahre Nofretete in Berlin

Die Nofretete für den eigenen Schreibtisch. Foto: Imago/Eberhard Thonfeld

Die Position der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist eindeutig, an der Legalität der damaligen Aufteilung der Fundstücke gäbe es keinen Zweifel und die Büste der Nofretete sei aufgrund gültiger Absprachen nach Deutschland gebracht worden. Eine Rückgabe ist nicht geplant, was Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 2012 nochmals bestätigte. Doch 2020 stellte die Historikerin und Journalistin Eva-Maria Schnurr im „Spiegel“ fest: „Die Fundteilung ist ein koloniales Recht, die Diebe gaben es sich untereinander. Der wissenschaftliche Befund ist eindeutig: Die Nofretete wurde geraubt.“

Wer weiß, was in Zukunft mit der Büste der Nofretete geschehen wird. Seit 100 Jahren ist die Büste der Nofretete ein Juwel der Berliner Kunstsammlungen und mit einem geschätzten Wert von ca. 500 Millionen Euro vielleicht sogar das wertvollste Kunstwerk der Stadt: 100 Jahre Nofretete in Berlin – umstritten, geliebt, einzigartig.


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