• Stadtleben
  • Joe Chialo: Wie tickt Berlins neuer Kultursenator?

Jackie A. trifft

Joe Chialo: Wie tickt Berlins neuer Kultursenator?

Joe Chialo soll Berlins neuer Kultursenator werden. Unsere Kolumnistin Jackie A. hat ihn zum Realtalk getroffen. Der CDU-Mann hat eine Biografie wie aus einem Netflix-Original, findet sie. Und zitiert Hesse. Wie tickt der Musikmanager aus Spandau?

Joe Chialo und tip-Kolumnistin Jackie A.: Beide haben Erfahrung mit der Bewachung von Clubtüren. Foto: Jackie A.

Joe Chialo: Welche Musik hört der Kultursenator beim Joggen?

Am Tresen bestelle ich Zitronenlimo, als Joe Chialo das Café betritt. Das ist der Mann, der, wenn ihr diesen Text hier lest, neuer Kultursenator der Stadt sein dürfte. Als wir uns treffen, wissen wir noch nicht, ob die SPD-Basis dem schwarz-roten Koalitionsvertrag mehrheitlich zugestimmt hat (ja, hat sie, wie wir mittlerweile wissen, wenn auch nur mit rund 54 Prozent). Daher heute Realtalk: Alles außer Politik!

Welche Musik hört Joe Chialo beim Joggen? Er schaut durch seine Playlist: „DMX: X Gon’ Give It To Ya“ – Oldschool-Rap mit Ansage! Die nächsten 53 Minuten wird nicht eine einzige politikertypische Worthülse fallen. Für sowas hat er vermutlich gar keine Zeit, weil er noch seinen Alltag als Manager und Labelbetreiber hat, dazu über eine verblüffend abwechslungsreiche Biografie verfügt, die klingt wie aus einem „Netflix Original“.

Neun Jahre war er alt, als er von seinen tansanischen Eltern, einem Diplomatenpaar, mit seinem Bruder an ein katholisches Ordensinternat übergeben wurde. Er machte Abitur, eine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker, übernahm Jobs als Türsteher, studierte Geschichte und Politik, war Sänger in einer Heavy-Metal-Band, ist Manager bei Universal-Musik und im Bundesvorstand der CDU. Und das sind noch nicht einmal alle Stationen.

Der Eindruck einer möglichen Sprunghaftigkeit kommt aber nicht auf, weil man Joe die hohen Ansprüche an sich selbst anmerkt. Es gäbe diese Highperformer:innen mit Migrationshintergrund, die würden auf ihrem Weg noch deutscher als deutsch, noch sächsischer als der durchschnittliche Sachse, erklärt er später in einem anderen Zusammenhang.

„Neuanfänge sind für mich nicht traumatisch“, sagt der neue Kultursenator

Seinen Kindheitsabschnitt im Internat beschreibt er als prägend für sein ganzes Leben: eine Metamorphose, in der er Sprache, Regeln und Mentalität erlernte, dazu die Abnabelung von der Familie. „Neuanfänge sind für mich nicht so traumatisch wie für andere Leute. Ich sehe sie im Hesse’schen Sinn.“

Und während der Tresenmann fröhlich klirrend Besteck in die Schublade wirft, zitiert Joe Chialo aus „Stufen“: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten/ An keinem wie an einer Heimat hängen…“ Vom Geklapper genervt, muss ich ein bisschen lachen über meine Sorge, dass nichts auf dem Aufnahmegerät zu verstehen sein könnte und ich am Ende über den Sound frisch polierten Bestecks schreiben müsste.

Wie unterscheidet sich tansanischer von deutschem Humor? Im Afrikanischen passiere das situativer, erklärt er. Berührungen sind kein Tabu. Man ist enger beieinander. Hier könnte das als übergriffig verstanden werden. Der positive rheinische Humor, mit dem er aufgewachsen ist, läge ihm sehr.

Beide waren mal Türsteher

Ich frage nach seiner Türsteher-Zeit, schließlich hatte ich, wie Joe, früher ebenfalls an Club-Türen gejobbt, bis einer mal, nachdem ich ihn abwies, ein Messer zog. Was hat er aus dieser Zeit mitgenommen? „Ich habe gelernt, Menschen und Stimmungen einzuschätzen. Ich habe auch gelernt, rote Linien zu ziehen“, antwortet er. „Wenn Punkte überschritten werden, muss es Konsequenzen geben. Es gibt immer Abstufungen, Kommunikation und Deeskalation, aber auch diesen einen Punkt, an dem gehandelt werden muss.“

Als Musikmanager hat er mit Max Raabe gearbeitet, vertritt afrikanische Acts und deutsche Schlagersänger. „Ich denke nicht in Szenen“, erklärt er. „Wenn ein Schlagerkünstler innovativ denkt, neue Tik-Tok-Dancemoves entwickelt, das Genre neu erfindet, dann find ich das toll.“

„Dufte is nicht“ könnte eine Überschrift sein

Als Unternehmer sei er auf Exzellenz aus bei den Künstlern. Gleiches gelte für die Stadt. Wir müssten uns von dieser Mentalität verabschieden, dass irgendjemand dafür sorgen wird, dass es irgendwie klappt. Ich antworte, dass er sich mitunter wie ein Musik-Manager anhören würde, der seine verkaterten Bandmitglieder motivieren wolle. Das wäre er ja auch, gibt er zurück. Für die Stadt bräuchte es Visionen, sagt er. Was er zum Beispiel nicht so gern sähe, sei ein Kunststudent, der mit Hängen und Würgen durchs Studium käme, eine total narzisstische Persönlichkeit habe und denke, der Staat kann das finanzieren. „Da bin ich nicht auf dufte unterwegs.“

Das klingt nach einer Überschrift, sage ich bei der Verabschiedung.


Mehr Stadtleben

Der Text stammt aus der Serie „Jackie A. trifft“ aus unserer Print-Ausgabe Mai 2023. Schaut doch im Shop vorbei und bestellt den aktuellen tipBerlin. Es können ja nicht alle gewinnen: 12 Wahlverlierer, die nicht Regierender Bürgermeister geworden sind. An der Hermannstraße wächst ein Ort für alle: das Spore Haus. Der Kampf der Milliarden-Branche, die am Glücksspiel verdient: Wettbüros vs. Behörden. Was uns im politischen Berlin bewegt, lest ihr in dieser Rubrik. Was ist heute los? Clubs, Party, Nachtleben – Tipps und Termine. Noch nichts vor am Wochenende in Berlin? Unsere Tipps für Veranstaltungen und Events.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad