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Bricht bald ein neues, gerechteres Toiletten-Zeitalter in Berlin an?

In Berlin soll es in öffentlichen Toiletten bald Pissoirs für Frauen geben. Außerdem sollen die neuen Toiletten, die bald erprobt werden, autark und ökologisch sein. Damit könnte Berlin einen großen Schritt hin zur Toiletten- und Geschlechtergerechtigkeit tun.

Bis jetzt gibt es in Berlins öffentlichen Toiletten nur Pissoirs für Männer – und die sind auch noch einsehbar.
Bis jetzt gibt es in Berlins öffentlichen Toiletten nur Pissoirs für Männer – und die sind auch noch einsehbar. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Zunächst sollen 24 neuartige Toiletten aufgestellt werden

Der Senat plant, 24 zusätzliche öffentliche Toiletten in Berlin vor allem in Parks, Waldgebieten und an Badestellen aufzustellen. Das hat der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Anfang Mai in ihrem Haushaltsplan für 2022 und 2023 festgeschrieben. Diese Toiletten sollen, anders als fast alle anderen städtischen Sanitäranlagen in Berlin, nicht von der Firma Wall betrieben werden, die mit der Stadt einen dubiosen Deal hat: Wall betreibt die Toiletten, darf aber dafür so gut wie alle öffentlichen Werbeflächen vermieten – wie viel Geld dabei für die Firma rausspringt, behält das Unternehmen für sich.

Mit den neuen Toiletten soll aber nicht nur der fragwürdige Deal mit Wall Geschichte sein, sondern eigentlich auch alles andere, was man an den Wall’schen Toilettenhäuschen aus Stahl kritisieren kann. Die Toilettenhäuser von Wall kosten die Benutzer:innen Geld – 50 Cent. Allerdings muss nur zahlen, wer keinen Penis hat oder ein großes Geschäft verrichten muss. Denn für diejenigen, die im Stehen urinieren können, gibt es Pissoirs (mit unzureichendem Sichtschutz). Alle anderen müssen die Kabine aufsperren, in die Toilettenschüssel pinkeln, dabei womöglich die Klobrille berühren und sich Keimen aussetzen.

Außerdem stehen die herkömmlichen vornehmlich an Orten, die häufig von Tourist:innen frequentiert werden und selten in Parks und anderen Naherholungsgebieten – also dort, wo Berlinerinnen und Berliner ausspannen. Diesen Umstand und die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern hatten wir bereits vor knapp zwei Jahren in einem wütenden Kommentar über öffentliche Toiletten in Berlin moniert. Auch Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung, Bauen, Umwelt und Tourismus der Linksfraktion, setzt sich seit Jahren für mehr sowie behinderten- und geschlechtergerechte öffentliche Toiletten in der Stadt ein.

Die neuartigen Toiletten sollen ökologisch nachhaltig sein

Die neuartigen Klohäuschen werden, wenn der Senat umsetzt, was er festgeschrieben hat, endlich ein bisschen Toilettengerechtigkeit schaffen. Der größte Fortschritt ist wohl das Pissoir für Frauen. Sie müssen dann nicht mehr zahlen, um zu urinieren, während Männer einfach am Sichtschutz vorbeimarschieren und sich erleichtern. Sie müssen auch nicht mehr ewig Schlange stehen, während es bei den Männern schnell geht.

Darüber hinaus sollen die neuen Toiletten auch ökologisch nachhaltig und klimaneutral sein. Das bedeutet im Idealfall: Der Strom für die Beleuchtung wird eigenständig generiert, zum Beispiel durch Solarpanels. Wenn Wasser benötigt wird, kommt es aus autarken Kreisläufen. 2023 will die Senatsverwaltung die ersten Toiletten aufstellen. Die Fäkalien werden verwertet und zum Beispiel kompostiert, zur Stromerzeugung oder zur Düngung von Feldern genutzt.

Ein paar von Sven Riesbecks Ökotoiletten stehen schon in der Stadt. Foto: Missoir

Das alles ist keine Zukunftsmusik. Ökologisch nachhaltige Toiletten, sogenannte Kompostklos, gibt es auf Festivals schon seit Jahren – und mancherorts auch in Berlin: Der Geograf Sven Riesbeck hat mit seiner Firma Ecotoiletten bereits einige Kompostklos in Berlin aufgestellt. Als der Senat 2017 per Ausschreibung einen neuen Betreiber für Berlins öffentliche Toiletten suchte, hatte Riesbeck sich mit seiner Firma auch beworben. Den Vertrag unterschrieben hatte am Ende wieder Wall.

Alle sollen sich am Evaluierungsprozess beteiligen können

Aber wie funktionieren eigentlich Pissoirs für Frauen? Ganz einfach: wie die Hock-Toiletten, die man von französischen Autobahnklos kennt, mit einem Loch im Boden und Abstellflächen daneben für die Füße. Die Firma Missoir stellt mehrere erfolgreiche Modelle her. Auch Sven Riesbeck kooperiert mit Missoir und hat die Hockklos im Sortiment.

Der Unterschied zu der französischen Variante: Das Loch ist von einem Gitter bedeckt. Damit besteht nicht die Gefahr, dass Menschen die Pissoirs am Boden fürs große Geschäft benutzen oder Müll hineinwerfen. Dieses Argument hatten Gegner der Pissoirs für Frauen immer wieder angeführt.

Offensichtlich hält es einer Prüfung nicht stand, das hat endlich auch der Senat verstanden. Zwar sind 24 fortschrittliche Toiletten nicht viel im Gegensatz zu den mehr als 170 herkömmlichen. Trotzdem rückt die Toilettengerechtigkeit mit dem Beschluss der Senatsverwaltung in greifbare Nähe. Der Vertrag mit Wall läuft noch bis Ende 2024. Wie gut die neuen Toiletten sind, soll 2023 erprobt und evaluiert werden. An diesem Prozess sollen sich laut Senatsverwaltung alle Interessengruppen, Stakeholder und auch einzelne Bürger:innen beteiligen können. Die Toilettengerechtigkeit liegt also in Bürger:innenhand.


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