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Berliner Corona-Verordnung nachgebessert – warum sie weiterhin problematisch ist

Berliner*innen dürfen wegen der Corona-Krise ihre Wohnungen nicht mehr ohne triftigen Grund verlassen, das steht in der Berliner Corona-Verordnung. Die Polizei kontrolliert, ob sie eingehalten wird und hat jetzt einen Bußgeldkatalog mit hohen Strafen entworfen. Nach heftiger Kritik hat der Senat die Verordnung noch einmal überarbeitet. Manches ist nun besser, stellenweise ist aber auch die überarbeitete Version problematisch.

Berliner Corona-Verordnung – und Ungewissheit: Nachdem selbst die Polizei teilweise nicht so richtig wusste, was Sache ist, wurde nun nachgebessert.    Foto: Mang
Berliner Corona-Verordnung – und Ungewissheit: Nachdem selbst die Polizei teilweise nicht so richtig wusste, was Sache ist, wurde nun nachgebessert. Foto: Mang

Seit 22. März gilt in Berlin die Verordnung zur Eindämmung der Corona-Krise. Diese erste Verordnung war stellenweise ungenau formuliert und unlogisch, an einem Punkt sogar rechtswidrig. Jetzt hat der Senat nachgebessert und zusätzlich einen Bußgeldkatalog verabschiedet. Das sind die wichtigsten Neuerungen:

  • Die Ausweispflicht ist aufgehoben.
  • Sport und Bewegung an der frischen Luft, alleine, mit Angehörigen des eigenen Haushalts oder mit einer anderen Person, ohne jede sonstige Gruppenbildung, bleiben erlaubt. Nach der neuen Regelung sind Erholungspausen währenddessen gestattet. Auf Bänken müssen Bürger*innen dabei weiterhin den Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten, beim Sitzen auf der Wiese einen Abstand von mindestens fünf Metern.
  • Um Menschenansammlungen zu vermeiden, behält sich der Senat vor, den Zugang zu Parks und Grünanlagen vorübergehend zu beschränken.
  • Grillen und das Anbieten von Speisen sind weiterhin untersagt.
  • Personen, die in Tegel landen, müssen für 14 Tage in Quarantäne.
Darf man sich im Park hinsetzen? Die Corona-Verordnung sagt: nein. Die Berliner Polizei muss solche Maßgaben, wie hier im Mauerpark, durchsetzen - obwohl die Sinnhaftigkeit dieser Regelung zweifelhaft ist. Foto: imago/Seeliger
Darf man sich im Park hinsetzen? Die Berliner Corona-Verordnung sagt: nein. Foto: imago/Seeliger

Ganz wasserdicht ist die Verordnung immer noch nicht

Damit hat der Senat wesentliche Unklarheiten aus dem Weg geräumt. Vor allem das Verbot, beim Sport Pausen einzulegen, war diskriminierend und unverständlich. Diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht so lange an einem Stück spazieren oder Sport machen können, waren durch die ursprüngliche Version komplett von der Bewegung an der frischen Luft ausgeschlossen.

Ganz wasserdicht ist die Verordnung aber immer noch nicht. Außerdem sorgte die erste Version in der vergangenen Woche bereits für Verwirrung und Unsicherheit bei den Bürger*innen. Zum Beispiel gaben Polizist*innen unterschiedliche Informationen an Berliner*innen weiter und forderten sitzende Menschen in manchen Parks auf, nach Hause zu gehen und andernorts nicht:

Freitag, im Weddinger Schillerpark: Ein Polizeibeamter bittet ein Pärchen, aufzustehen und nach Hause zu gehen. Die beiden wohnen zusammen und sitzen auf einer Decke. Auf den Hinweis hin, dass sie sich eine Wohnung teilen und hier nur zu zweit sitzen, antwortet der Polizist: „Sich draußen zu bewegen, also Sport zu machen, ist erlaubt. Picknicken nicht. Das geht schon seit Tagen durch die Medien.“ Etwas zu essen, den Grundbestandteil eines Picknicks, haben die beiden nicht dabei.

Dienstag, 24. März, Admiralbrücke: Polizist*innen belehren Menschen, die alleine und in großem Abstand zueinander auf der Brücke sitzen, dass das nicht mehr erlaubt sei. Laut dem Bericht einer Twitter-Userin erklärt ein Polizist jemandem auf englisch, dass von nun an nur noch Spaziergänge von maximal 10 Minuten Dauer erlaubt seien. Diese Vorgabe gibt es nicht.

Ebenfalls Dienstag, 24. März, Hasenheide: Ein Mann sitzt laut einem Tagesspiegel-Bericht auf einer Decke in der Hasenheide. Er sei zum Jonglieren hierher gekommen und mache gerade Pause. Den Polizeibeamten, die ihn kontrollieren, zeigt er die Kegel, die er dafür mitgebracht hat. Trotzdem fordern die Beamten ihn auf, nach Hause zu gehen.

Samstag, 28. März, Görlitzer Park: Die Polizei patrouilliert durch den Park, zu Fuß und im Auto. Verstreut über die Wiesen liegen Menschen zu zweit oder allein. Im Umfeld der Autorin fordert die Polizei niemanden auf, nach Hause zu gehen.

Berliner Corona-Verordnung: Umsetzung durch Polizei uneinheitlich

Ob das Vorgehen der Polizist*innen in allen geschilderten Fällen angemessen war, ist fraglich. Klar ist aber: Es war nicht einheitlich. Und das ist ein Problem für die Bürger*innen auf der einen Seite, die nicht sicher sein können, wann sie sich richtig verhalten. Auf der anderen Seite ist es aber auch für die Polizei problematisch. Wenn nämlich der eine Polizist etwas sagt und der nächste einen Bezirk weiter etwas ganz anderes, dann schwindet das Vertrauen in die Beamt*innen. Und gerade das ist in einer solchen Krise wichtig.

Es ist außerdem naheliegend, dass die Bürger*innen angesichts der verschiedenen Versionen, den schwammigen Formulierungen und dem Vorgehen der Polizei dreifach verwirrt sind und nicht wissen, was sie nun dürfen und was nicht.

Sport im Park ist der Berliner Corona-Verordnung zufolge erlaubt, jetzt auch mit Pausen. imago/Klaus Martin Höfer
Sport im Park ist der Berliner Corona-Verordnung zufolge erlaubt, jetzt auch mit Pausen. imago/Klaus Martin Höfer

Auch in der aktuellen Version der Corona-Verordnung heißt es: „Im Stadtgebiet von Berlin (…) befindliche Personen haben sich (…) ständig in ihrer Wohnung (…) aufzuhalten.“ Wer seine Wohnung verlässt, müsse triftige Gründe „gegenüber der Polizei und den zuständigen Ordnungsbehörden glaubhaft machen“. Wie man das machen soll, definiert die Verordnung nicht. Kein Wunder also, wenn die Polizist*innen das unterschiedlich handhaben.

Auch wenn der Senat es nicht so nennt: Die Berliner Corona-Verordnung könnte man als Ausgangssperre bezeichnen, mindestens aber ist sie ein wesentlicher Eingriff in die Grundrechte der Bürger*innen. Wenn sie sich nicht daran halten, erwarten die Berliner*innen zum Teil hohe Bußgelder. Zum Beispiel droht der- oder demjenigen ein Bußgeld von bis zu 500 Euro, wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Menschen nicht eingehalten wird.

Was heißt: „glaubhaft machen“?

Laut dem Juraprofessor Clemens Arzt, Direktor des Forschungsinstituts für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS Berlin), krankte die alte Verordnung an mehreren Stellen. Eine davon: die Ausweispflicht, die aus seiner Sicht grob rechtswidrig war. Eine Verordnung könne für solch eine Pflicht keine Grundlage sein, sagt er.

Aber auch die nachgebesserte Verordnung sei stellenweise problematisch. Es hapere dabei hauptsächlich an der Definition dessen, was „der Polizei gegenüber glaubhaft machen“ heißen soll, wenn Menschen ihre Wohnung verlassen.

Wenn man zum Beispiel seine Wohnung verlässt, weil man zum Arzt geht, dann sollte man der Polizei nicht glaubhaft machen müssen, dass man gerade genau das tut. Denn wie sollte das geschehen? Soll man etwa die Bestätigung Arzttermins auf dem Handy vorlegen?

„Wenn ich zum Beispiel einen Termin bei einem Arzt für Haut- Geschlechtskrankheiten habe, dann geht das die Polizei nichts an“, sagt Arzt. „Die Bürger aber bekommen mit der Verordnung eine Darlegungspflicht, die recht problematisch ist.“ Das gleiche gilt laut Arzt auch für den Besuch bei Rechtsanwält*innen.

Außerdem müsste die Polizei Arzt zufolge intern Handlungsanweisungen an ihre Beamt*innen dazu herausgeben, wie mit den unbestimmten Regelungen in der Verordnung umzugehen ist.

Auch alleine darf man sich laut der Berliner Corona-Verordnung nicht auf eine Bank im Park setzen. Foto: imago/Seeliger
Auch alleine darf man sich laut der Berliner Corona-Verordnung nicht auf eine Bank im Park setzen. Foto: imago/Seeliger

Arzt weist darauf hin, dass auch für die Polizist*innen die Situation neu ist und viele sich mit der Berliner Corona-Verordnung noch nicht auskennen. Deswegen sei es umso wichtiger, interne Handlungsanweisungen herauszugeben. „Ansonsten kann es schnell zu überschießenden Reaktionen kommen“, sagt er.

Darf man sich in den Park setzen, ohne vorher Sport gemacht zu haben?

Wenn Menschen sich draußen aufhalten, tun sie etwas für ihr Immunsystem und ihr seelisches Wohlbefinden. Gerade für Menschen ohne Balkon und Garten ist es wichtig, rausgehen zu dürfen. Auch dann, wenn sie gerade keine Lust auf Sport haben oder dazu gesundheitlich nicht in der Lage sind. Doch davon, dass man sich in den Park setzen darf, ohne dass man gerade eine Pause vom Sport macht, steht auch in der überarbeiteten Verordnung nichts. Wer also keinen Balkon oder Garten hat und nicht in der Lage ist, Sport zu machen, dem bleibt der Aufenthalt an der frischen Luft verwehrt.

Problematisch ist auch, dass die BVG den Takt der U-Bahnen ausgedünnt hat. Die Folge: Zu den Stoßzeiten stehen laut Berichten in den sozialen Medien die Menschen dicht gedrängt in den Bahnen. 1,5 Meter Abstand? Denkste! In den Parks aber kontrollieren Polizist*innen, ob die Berliner*innen den Mindestabstand einhalten. Und so bringt die BVG, ein landeseigenes Unternehmen, U-Bahn-fahrende Bürger*innen dazu, gegen die Verordnung zu verstoßen, während das Land ihnen an anderer Stelle Freiheiten nimmt.

Die Corona-Verordnung erodiert den Rechtsstaat

Wir brauchen die Grundrechtseinschränkungen um die Pandemie einzudämmen. Doch auch nach Corona muss unser Rechtsstaat funktionieren. Ein Grundsatz im deutschen Recht besagt: Je weitreichender der Eingriff in die Grundrechte, desto detaillierter muss die Verordnung sein. Die Zusammenstöße mit der Polizei aber haben gezeigt, dass die ursprüngliche Berliner Verordnung nicht durchdacht und schon gar nicht ausreichend definiert war. Die neue Verordnung ist besser. Doch auch sie ist diskriminierend gegenüber den Leuten, für die Sport, aus welchen Gründen auch immer, keine Option ist.

Außerdem hat der Senat auch in der neuen Fassung ein Hauptproblem noch immer nicht beseitigt: Berliner*innen müssen der Polizei noch immer „glaubhaft machen“, dass sie gerade zum Beispiel zur Psychotherapie gehen. Wie das geschehen soll, haben die Verantwortlichen noch immer nicht definiert. Uneinheitliches Vorgehen auf Seiten der Polizei wird es also vermutlich weiterhin geben — außer, die Behörde gibt endlich Handlungsanweisungen für ihre Beamt*innen heraus.

Außerdem sind Aktivitäten wie Besuche bei Ärzt*innen, Anwält*innen und Therapeut*innen grundsätzlich privat. Das geht wirklich niemanden etwas an. Klar ist deswegen: Hektisch verabschiedete Regeln für Bürger*innen wie die ursprüngliche Berliner Verordnung erodieren den Rechtsstaat. Und nur weil der Senat nachbessert, heißt das nicht, dass die Verordnung nicht mehr problematisch ist.


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