Vier Menschen aus der Ukraine finden Unterschlupf in der Wohnung einer Berliner Designerin. Sie sind im gleichen, jungen Alter, haben ähnliche Interessen. Es ist oberflächlich wie ein Urlaub bei Freunden. Aber die Wahrheit ist natürlich ein andere. Es ist Krieg in ihrer Heimat. Das geteilte
Gemeinsamer Bekannter brachte Ukrainer:innen in Berlin zusammen
Im Wohnzimmer einer Kreuzberger Wohnung sitzen fünf junge Menschen auf Stühlen und einem großen Sofa. Es wird gelacht und ukrainisch gesprochen, englisch und wilde Zeichensprache. Ein Kind rennt durch den Raum.
Jana Lanziner hat hier gewohnt, bis der Krieg begann. Dann ist die 21-jährige Designerin zu einem Freund gezogen, um Platz zu machen für Xenia, Yaroslav, Katya und Karyna. Die vier teilen sich nun drei Zimmer, Küche, Bad. Sie kannten einander vorher nicht, hatten lediglich einen gemeinsamen Freund aus Berlin, Ben Shinder.
Shinder war vor dem Krieg regelmäßig zum Arbeiten und zum Feiern in Kyjiw, lernte dort viele Menschen kennen und macht es sich jetzt zur Aufgabe, möglichst viele von ihnen an sichere Orte zu bringen. „Ben hat für uns die Vermittlungsarbeit übernommen“, sagt die Wahlberlinerin Lanziner. „Er konnte mir Zweifel nehmen, weil ich ihm als Freund vertraut habe.“
Neu-Bewohnerin Xenia Derkach, 21, bis vor Kurzem noch PR-Managerin in Kyjiw, sagt: „Es gibt inzwischen keinen Weg mehr aus unserer Stadt herauszukommen. Wir hatten alle großes Glück.“
Von der Entscheidung, seine Familie zurücklassen zu müssen
Yaroslav Malashenko, 25 und Designmanager, sagt: „Zuletzt habe ich in einem Korridor geschlafen, weit weg von den Fenstern. Mit jedem Einschlag wurden die Explosionen lauter. Ich habe niemals zuvor solch ein Gefühl der puren Angst erlebt. Ich wusste, ich muss hier weg.“
Für Männer ist es gerade fast unmöglich, aus der Ukraine zu entkommen. Malashenko verbrachte mehrere Stunden mit 13 anderen Menschen in einer Zugtoilette, um nicht erwischt und wieder zurückgeschickt zu werden. „Ich hatte wahnsinniges Glück, dass niemand mich kontrolliert hat“, sagt er.
Xenia Derkach sagt: „Es war mein Traum, nach Berlin zu kommen, Kyjiw und Berlin sind sich so ähnlich, der Vibe der jungen Menschen ist so gleich. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich unter diesen Umständen hier lande.“ Derkach ist froh, dass der Kontakt zu ihrer Familie noch gesichert ist. „Aber es ist schwierig. Denn die Verbindungen werden regelmäßig von der russischen Armee gekappt.”
Karyna Protsenko, 22, sagt: „Meine Familie ist geblieben. Sie wollen nicht gehen. Sie denken, wenn eine Bombe genau hier landen würde, dann gehen wir, aber ansonsten bleiben wir und warten.“ In Berlin will Protsenko ihre Karriere als Sängerin weiter verfolgen und so Normalität in ihren Alltag bringen.
Flucht in eine ungewisse Zukunft
Die erste Hälfte der meisten Tage verbringen drei der vier Ukrainer:innen zusammen beim Landesamt für Einwanderung, um eine Registrierung zu bekommen. Derkach nutzt die Kraft, die sie durch die neu gewonnene Sicherheit hat, indem sie selbst bei Hilfsaktionen in Berlin für die Ukraine dabei ist. „Wir sind so dankbar, hier sein zu können“, sagt sie.
Katya Opechanskaya, 28, zieht heute Nacht mit ihrem Kind nach Paris, zu weiteren Freunden von Ben Shinder. Opechanskaya spricht kein Englisch. „Das mit der Sprachbarriere ist eines der größten Probleme“, sagt Lanziner.
Lanziner hilft mit sprachlicher Expertise aus, wo sie kann und berät die Gruppe bei ihren Behördengängen. „Ich möchte meinen Gästen hier ein Zuhause geben, in dem sie sich wohlfühlen können.“ Miteinander Zeit zu verbringen sei sehr schön, denn sie hätten alle ähnliche Interessen, seien in der Clubszene aktiv, begeisterten sich für die gleiche Musik, für Design und Kleidung. „Ich glaube, wir wachsen wirklich zusammen und werden sogar Freund:innen“, sagt Lanziner.
Ihr wollt helfen? So unterstützt ihr in Berlin die Menschen aus der Ukraine. Die Geflüchteten haben tragische Geschichten zu erzählen. Irina Shylova, die bei der Flucht aus der Ukraine ihren Mann und ihr Kind zurücklassen musste. Inzwischen gibt es hier einige Designer, die mit ihren Erlösen die Ukraine unterstützen. Weitere Themen, die Berlin gerade bewegen, findet ihr in unserer Rubrik „Stadtleben“.