Kommentar

Polizeiwache am Kotti: Mehr Sicherheit, mehr Verdrängung

Am Kottbusser Tor soll eine Polizeiwache entstehen, wie Innensenatorin Iris Spranger (SPD) nach ihrem Amtsantritt ankündigte. Neu ist die Idee nicht. Ihren Vorgänger umtrieb sie ebenfalls. Geschuldet ist das dem Ruf als einer der „härtesten“ Ecken Berlins, welchen die Berliner Polizei mit Kriminalitätsstatistiken unterfüttert. Und ja, die Zahlen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Eine Polizeiwache am Kottbusser Tor könnte also den Menschen in der Umgebung Sicherheit vermitteln. Das gilt aber nicht für alle Menschen, findet unser Autor.

Künftig soll eine Polizeiwache am Kottbusser Tor stehen. Foto: Imago/Jürgen Held

Wo eine Polizeiwache am Kottbusser Tor schaden könnte

Der Kotti, gerne als Zentrum der Gewalt bezeichnet, als Hochburg für Drogenhandel, als No-Go-Area bei Nacht. Ein Ort, an dem Angstschweiß in Rinnsteine fließt wie das Heroin in die Arme der vor ihnen Liegenden. Anders gesagt: Ein von Stigmata gezeichneter Ort. Für Sicherheitspolitikerinnen, Polizeibeamtinnen und Immobilienbesitzer, ist die Ecke deshalb ein schwieriges Thema. Zurück geht der drastische Ruf unter anderem auf eine Polizeistatistik von 2016. Die zeigte, dass sich etwa die Zahl der Drogendelikte im Vergleich zu 2008 weit mehr als nur verdoppelt habe, von 227 zu 840.

Viele Medien veröffentlichten darauf alarmierende Berichte, etwa Vice, Morgenpost, Bild, und der Stempel war gesetzt. Bezogen auf Drogendelikte nicht zu Unrecht, die nahmen jüngst sogar zu. So drängten verschärfte Polizeikontrollen viele Dealende vom Görlitzer Park in die Gegend ums Kottbusser Tor. Eine Polizeiwache, wie sie sich Innensenatorin Iris Spranger wünscht, soll das Kriminalitätsproblem lösen. Endlich Sicherheit, endlich Ordnung. Herrlich, wären da nicht ein paar Abers.

Da wäre etwa die Frage nach der Sicherheit für alle, die sich um Polizeigewalt sorgen. Neben der Berichterstattung über die Kriminalitätsraten gibt es auch eine zur radikalen Vorgehensweise seitens der Beamten, hier bewusst nur die männliche Form, da diese dem Geschlecht der Beteiligten entspricht. Erinnern wir uns an ein Video von 2018, das eine unverhältnismäßig brutale Festnahme zeigte, während Menschen um das Geschehen protestierten. Zwei unbeteiligte nicht-weiße Jugendliche wurden darauf ebenfalls festgenommen.

Bei einem jüngeren Vorfall erlitt ein schwarzer Straßenmusiker im Rahmen einer Verhaftung eine Beinverletzung. Ein Beamter soll ihn getreten haben. Biplab Basu von der Kampagne für rassistische Polizeigewalt sagte gegenüber Neues Deutschland, dass solche Vorfälle gerade am Kotti häufiger vorkommen. Meist richten sich die Angriffe gegen Schwarze und Migrant:innen. Damit sie sich mit einer Polizeiwache am Kottbusser Tor sicher fühlen können, muss die Polizei endlich strukturellen Rassismus in ihren Reihen bekämpfen.

Die Polizei muss aufgeklärt werden

Dafür müsste sie das Problem erstmal akzeptieren, wofür eine gründlichere Aufarbeitung bekannter Straffälle, aber auch Aufklärung nötig wäre. Ein Vorschlag wäre Street Worker gelegentlich mit den Beamten auf Patrouille zu schicken. Das könnte Vertrauen schaffen. Bleibt alles wie gehabt, fühlen sich jedoch nur Menschen wirklich sicher, die, sind wir ehrlich, weiß und meist zugezogen sind. Und das würde für noch mehr Verdrängung sorgen.

So schlimm der Ruf des Kotti auch sein mag, er zieht viele Menschen an. Investor:innen sehen entsprechend ein Potenzial in der Umgebung und kaufen dort fleißig ein. 2020 war es etwa ein Gebäuderiegel mit vielen Sozialwohnungen, der im Kampf um Kreuzberg den Besitzer wechselte. Mit einer Polizeiwache könnten die Käufe zunehmen, denn: Mehr Sicherheit lockt mehr Leute, was wiederum zu steigenden Immobilienpreisen führt. Eine Formel, die in der Regel mit Verdrängung endet.

Gerade gesellschaftlich klingt das alles übel. Und ja, das Kottbusser Tor ist einer der vielen harten Orte Berlins. Ein bisschen Großstadthöllenfolklore spielt da natürlich mit rein, aber sei’s drum. Sollte aber eine Wache, ohne groß nachzudenken (nicht nur personell, weil viel Bedarf), dort entstehen, schadet dass den Einwohner:innen vielleicht mehr als dass es hilft.


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