Kommentar

Wie Weselskys Bahnstreik die Gewerkschaften wieder cool macht

Die Bahn wird bestreikt, GDL-Chef Claus Weselsky spielt einmal mehr die ganze Macht der Gewerkschaft aus. Zuerst erzeugt das Wut, aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass die Institution Mitarbeitendenvertretung noch nicht tot ist. Und ein Warnschuss an jene Firmenoberhäupter, die von Tesla bis Berliner Startup glauben wollen, sie könnten machen, was sie wollen.

Allein, allein: Wegen des Bahnstreiks fahren auch an Knotenpunkten wie dem Berliner Bahnhof nur wenige Züge – entsprechend wenig ist los. Foto: Imago/Zeitz

Bahnstreik der GDL: Wo die Arbeitnehmendenrechte noch etwas zählen

Um die Bedeutung des meistdiskutierten Streiks der vergangenen Jahre zu ermessen, blickt man am besten ins Umland von Berlin. Dort, in Grünheide, östlich von der Hauptstadt, baut der Unternehmer Elon Musk eine von vielen Menschen ersehnte E-Auto-Fabrik. 

Deren Belegschaft soll einmal dem Gutdünken ihres Chefs ausgeliefert sein: keine Tariflöhne, kein Betriebsrat, keine interessenspolitische Vernetzung. Ein neuartiger Manchester-Kapitalismus. Ein solches Szenario dürfte zumindest der Traum des dortigen CEOs sein: Elon Musk, der Gründer von Tesla. In Statements hat der Großindustrielle immer wieder seine Geringschätzung für Arbeitnehmendenrechte geäußert. 

Was die Tesla-Fertigungsstätte und die Visionen ihres Betreibers mit dem jüngsten Lokführer-Streik zu tun haben?

Der Bahnstreik und das Machtpotenzial von gewerkschaftlichem Engagement

Dieser Arbeitskampf, der für einen sehr ruhigen Tag in dem 38.400 Kilometer umfassenden Bahnnetz in Deutschland sorgt, rückt das Machtpotenzial von gewerkschaftlichem Engagement ins Bewusstsein. In einer Zeit, in der das Image von Gewerkschaften angestaubt ist – und viele Gruppen an Mitglieder:innen verlieren. Während der hemdsärmelige bis anarcho-libertäre Geist, importiert aus dem Silicon Valley nach Deutschland, ausgelebt bei Tesla, aber auch im Amazon-Lager und einigen Berliner Hinterhof-Startups, der große Hit moderner Unternehmenskultur zu sein scheint.  

In diesem Klima bringt eine kleine, aber aufrührerische Gewerkschaft, die GDL mit ihren etwas mehr als 37.000 Mitgliedern, das öffentliche Verkehrssystem an den Rand eines Kollapses – mitten im Sommer, jener Ferienzeit, die vielen Familien einen Anlass für Urlaubstrips bietet, unternommen auch mit Zügen der Deutschen Bahn. 

Der Streikführer, der unbeirrbare Claus Weselsky, hat vor Kurzem die nächste Episode seines Schelmenstücks eingeläutet. Bis zum 7. September werden erneut etliche Fahrer ihre Dienstschichten in den Cockpits verweigern – und tausende ICEs, Intercitys sowie Regionalbahnen stehen damit still. 

Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL, macht sich mit dem derzeitigen Streit noch mehr Feinde. Dem Konstrukt Gewerkschaft könnte es aber an Popularität zuträglich sein. Foto: Imago/Mauersberger

Ein Ausnahmezustand, der mehr Wertschätzung für die Lokführer:innen erzwingen soll, ausgedrückt in Euros und Cents. Eine Lohnerhöhung um 3,2 Prozent und eine Corona-Prämie in Höhe von 600 Euro. Sowie bessere Arbeitsbedingungen. Die Deutsche Bahn will nach derzeitigem Stand offenbar nur einen Teil der Forderungen erfüllen. Die Bezüge etwa will sie um die gewünschten 3,2 Prozent erhöhen, sie pocht dabei allerdings auf eine längere Gültigkeit des Tarifvertrags. Sogar das Corona-Geld will der Logistik-Riese zahlen – auch wenn dabei, je nach Entgeltgruppe, für manche Angestellte nur 400 Euro berappt werden.

Renaissance eines oberflächlich altmodischen Konstrukts – das wieder mehr Menschen gefällt

Soweit die Eckpunkte des Konflikts. Um Lohnkampf geht es, ebenso aber um Machtgewinne gegenüber einer anderen Eisenbahnergewerkschaft, der EVG, die größer ist und tiefschürfende Konflikte mit dem Bahnkonzern scheut.

Der Streit kündet zudem von der Renaissance eines altmodisch erscheinenden Konstrukts in unserem Wirtschaftssystem. Man verbindet mit Gewerkschaften normalerweise blecherne Megafone, Warnwesten und steife Funktionäre – also nicht unbedingt fancy Schauwerte fürs neue „Business-Punk“-Heft. Auch sonst schwächeln diese Lobby-Organisationen. Nur ein Beispiel: Die Mitgliederzahlen des DGB, also des altehrwürdigen Dachverbands etlicher Gewerkschaften, sind von knapp acht Millionen im Jahr 2001 auf knapp sechs Millionen im Jahr 2019 gesunken. 

Doch ganz gegen diesen Trend verzeichnet die GDL einen Zulauf von Mitgliedern. Vor Streikbeginn hat Weselsky berichtet, dass 3.000 Menschen in den zwölf vergangenen Monaten der GDL beigetreten seien. Eine positive Entwicklung in einem Mikrokosmos zwar. Aber auch untrügliches Zeichen dafür, dass Gewerkschaften neue Anziehungskraft entwickeln können – wenn sie mit ihren Aktionen aufsehenerregende Publicity erzielen.

Zugleich ist der Streik auch ein Signal an Unternehmer wie Elon Musk – oder andere Firmenlenker im Gewand von locker-lässigen Entrepreneuren, die skeptischer gegenüber Tarifstreit sind als der konservativste DAX-Vorstand. Nämlich dafür, dass in diesem Land mit dem Widerstand von Arbeitnehmer:innen gerechnet werden kann, falls jemand deren Rechte verletzt.


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