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Interview

Riccardo Simonetti über Moralapostel, Mobbing und Met-Gala-Looks

Riccardo Simonetti ist LGBTQIA+-Aktivist und Family-Entertainer im ZDF-Fernsehgarten; für ihn ist das kein Widerspruch. Wir haben mit Simonetti, einem der größten Instagram-Stars Berlins, über Moralapostel, Mobbing und Met-Gala-Looks gesprochen.

Riccardo Simonetti ist vor sieben Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion nach Berlin gezogen.
Riccardo Simonetti ist vor sieben Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion nach Berlin gezogen. Foto: Max Menning

Riccardo Simonetti: „In Berlin habe ich Schwulsein gelernt“

tipBerlin Wir folgen dir schon lange auf Instagram, waren dann aber doch erstaunt, dass du Berliner bist. Spielt Berlin in deiner Medien-Präsenz überhaupt eine Rolle?

Riccardo Simonetti Ich lebe jetzt seit fast sieben Jahren in Berlin. Damals bin ich nach Berlin gezogen, weil ich einen Blog geschrieben habe, der wie eine Online-Kolumne aufgezogen war. Ich hatte davor zwei Jahre in München gewohnt und wollte in eine Stadt ziehen, die mich aus meiner Komfortzone rausbringt. Berlin ist eine Stadt, dachte ich, die mich herausfordert und in der ich ein spannendes Leben haben könnte, das es wert ist, in meinem Blog darüber zu schreiben. Damals haben mich zwei Freunde überredet, in einer Nacht- und Nebelaktion nach Berlin zu ziehen, Bonnie Strange und Strify, mein bester Freund. Die ersten Jahre war Berlin superwichtig, weil ich hier ganz viele Dinge gelernt hab, die ich als Junge aus einem bayerischen Dorf nicht kannte.

tipBerlin Was war das?

Riccardo Simonetti Zum Beispiel, im Reinen mit meiner eigenen Sexualität zu sein. Ich stand vorher nicht im Konflikt damit, aber ich war immer der Sonderling in meinem Umfeld. Und als ich nach Berlin gekommen bin, hatte ich plötzlich viele Freunde, die selber Teil der LGBTQI+- Community waren. Hier hatte ich einen Safe Space, in dem ich dann auch wirklich Schwulsein gelernt habe.

tipBerlin Als du nach deinem Umzug nach Berlin gemerkt hast: „hier kann ich offen schwul sein“ – hat sich dadurch das Verhältnis zu deiner Familie und deinem konservativen Heimatdorf verändert?

Riccardo Simonetti Ich war auch in meinem Heimatdorf offen schwul, sehr extrovertiert und sehr freigeistig. Aber du musst immer vorsichtig sein, wenn du in der ländlichen Provinz lebst, weil Menschen dich verletzen und sich über dich lustig machen. Der größte Unterschied in Berlin war, dass ich Freunde gefunden habe, die eine ähnliche Geschichte erlitten hatten wie ich. Berlin ist Heimat für die Menschen, die in ihren Heimatorten Outlaws waren, die kommen dann hier hin und finden sehr schnell zusammen.

tipBerlin Du bist ja mittlerweile ziemlich weit oben beim Bekanntheitsgrad angekommen. Wie leicht oder schwer ist es, solche Freundschaften in Berlin aufrecht zu erhalten? Und gibt es auch Leute, die sich an dich hängen wollen?

Riccardo Simonetti Die Leute denken oft, wenn alle Menschen was von dir wollen, fühlst du dich unglaublich toll und beliebt. Das löst bei mir aber eher das Gegenteil aus. Du merkst sehr schnell, wenn Menschen nur ihren eigenen Nutzen aus dir ziehen wollen, und das ist etwas, das dir ein doofes Gefühl gibt. Meine besten Freunde in Berlin waren auch schon vor sieben Jahren meine besten Freunde. Ich habe auch immer noch ein sehr enges Verhältnis zu Menschen in meiner Heimatstadt, mit denen ich befreundet war.

Sensibilität bei der Meinungsäußerung

tipBerlin Du bist in deiner Message, die du allen von Jung bis Alt mitgibst, immer ein sehr guter Mensch und sagst: Nimm das Leben, wie du es willst – und alle Menschen sollen sich lieben. Denken die Leute manchmal, das wäre Naivität?

Riccardo Simonetti Bestimmt. Aber ich versuche gar nicht so sehr darüber nachzudenken. Wenn du in der Öffentlichkeit stehst, dann wirst du so schnell zu einem Thema und Menschen bewerten dich. Ich glaube, deshalb lernt man selber eine Art von Sensibilität in seiner Meinungsäußerung, weil man weiß, wie verletzend das sein kann. Gerade habe ich eine Kritik gelesen über die Met-Gala-Looks, und da hat die Autorin geschrieben: „wer diesen Look gut findet, ist mit schlechtem Geschmack geboren“. Das hat mich sogar als Leser gekränkt, denn ich fand das Kleid schön. Und wer ist diese Autorin, dass sie denkt, sie hat den Geschmack mit Löffeln gefressen und darf so austeilen? Man kann Kritik auch formulieren, ohne damit jemanden zu verletzen.

Riccardo Simonetti mit seiner Mutter, die beiden haben auch ein Buch veröffentlicht. Foto: privat

tipBerlin Hast du selbst gelernt, mit verletzender Kritik umzugehen?

Riccardo Simonetti Solche Urteile schwirren danach immer im Hinterkopf rum. Wenn ich jetzt zu dir sage, du siehst doof in diesem Shirt aus, und du magst es, dann wirst du es weiterhin anziehen. Aber es wird dich immer daran erinnern, dass jemand gesagt hat, das sieht doof aus. Deswegen ist es super wichtig, dass man permanent im Dialog mit sich selber steht und sich fragt: Was möchte ich für ein Mensch sein? Wie möchte ich anderen Menschen gegenübertreten? Diesem anstrengenden Prozess muss man sich gerade als Person in der Öffentlichkeit immer wieder aussetzen, weil man sonst ganz schnell zu einem Menschen wird, der einfach nur Gleichgültigkeit verkörpert und mit dem Publikum nicht mehr auf einer Wellenlänge ist.

tipBerlin Du bist vermutlich schon durch dein Auftreten immer einer gewissen Kritik ausgesetzt. Es gibt auch ignorante Menschen innerhalb der Schwulenwelt, die sagen: „Benimm dich nicht so weiblich oder tuntig, kein Wunder, dass die uns nicht mögen.“ Das wäre eigentlich schon genug Stress für einen Menschen. Gleichzeitig bist du politisch aktiv. Du machst jetzt die Gender Awareness Kampagne mit, deine Plakate hängen in der Stadt. Einige Menschen reagieren darauf sehr aggressiv und beleidigen dich über Social Media. Zögerst du manchmal, um nicht noch einen Shitstorm aushalten zu müssen?

Riccardo Simonetti Ich habe mir diese Themen ja nicht gesucht, weil ich damit gut ankommen will, ich advocate ja auch für mich selber. Ich bin ein schwuler Mann, und ein schwuler oder queerer Mann zu sein, löst in der Gesellschaft schon mal generell einen Konflikt aus. Meine Daseinsberechtigung wird permanent in Frage gestellt, einfach nur aufgrund meiner Sexualität. Ich habe kein Problem damit, wenn man mir meine Sexualität ansieht, ich steh damit total im Reinen und finde das toll. Und ich will die Schwulen, die das kritisieren, daran erinnern, dass wir die Rechte, die wir heute haben, nicht denen zu verdanken haben, die privat schwul waren. Sondern den Menschen, die ihren Kopf hingehalten und ihren Mund aufgemacht haben.

„LGBTQI+ ist kein Trend, der wieder verschwindet“

tipBerlin Du hast dich in eine gute Position gebracht, etwas zu bewegen.

Riccardo Simonetti Die Plattform, die ich bekomme, haben vor mir nicht viele queere Personen bekommen. Deshalb möchte ich sie auch richtig nutzen. Als Teenager hätte ich alles dafür gegeben, einen geschminkten Mann im Fernsehen zu sehen, der seine Diskriminierungserfahrungen offen erzählt. Es macht einen Unterscheid, wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, die ihre Identifikationsfiguren wirklich divers aufstellt. Und ich möchte, dass die Menschen, die mir zugucken, sehen, wofür ich stehe und sich empowered fühlen. Generationsübergreifend. Das ist mir auch bei der Auswahl meiner Projekte super wichtig, ich co-moderiere immer wieder den „ZDF-Fernsehgarten“ und gehe zu Joko und Klaas. Die Leute sollen verstehen, dass LGBTQI+ kein Trend ist, der wieder verschwindet, sondern dass die Gesellschaft sich verändern muss, weil Menschen leiden. Und in viel zu vielen Ländern darf man immer noch nicht schwul sein.

Riccardo Simonetti im ZDF-Fernsehgarten.
Riccardo Simonetti im ZDF-Fernsehgarten. Foto: Imago/Eibner

tipBerlin Du bist zu schwul für China? Chinesische Zensoren haben dich aus der „Friends“-Folge „Friends-Reunion“ rausgeschnitten.

Riccardo Simonetti Zum Beispiel China. Aber auch Deutschland. Als ich vor sechs Jahren beim Fernsehen angefangen habe und meine ersten Vorstellungsgespräche hatte, haben Leute mir wirklich gesagt: Du bist der Beste für diesen Job, aber du bist halt schwul und wir glauben, dass unser Publikum noch nicht bereit ist für einen schwulen, familienfreundlichen Entertainer. Und wenn du das so oft hörst, dann merkst du, dieser Komfort, den du durch deine Freunde hast und durch deine Stadt, der ist überhaupt nichts wert, wenn er nicht überall gilt.

tipBerlin Wie kann das gehen?

Riccardo Simonetti Jeder muss in seinem Umfeld auch dann mal seine Meinung formulieren, wenn es unbequem ist. Ich habe Freundinnen, die ich von Kind auf kenne, die sagen auch manchmal: „Was ist das für ein Song, der ist total schwul.“ Dann fühlst du dich ein bisschen wie der Moralapostel, wenn du sagst, okay, ich weiß, du meinst es überhaupt nicht böse, aber es ist einfach nicht so cool, wenn man sowas sagt. Aber um noch mal auf den Ursprung der Frage zurückzukommen: Wenn ich eine Woche habe, in der mein Postfach jeden Tag voller Morddrohungen ist, dann denke ich natürlich schon manchmal, ich weiß nicht, ob ich es morgen schaffe, dieses Thema nochmal anzusprechen. Aber komplett auf solche Statements zu verzichten wäre für mich keine Option, weil ich als queere Person ja selber immer noch diskriminiert werde.

„Ich fahre nicht mehr in öffentlichen Verkehrsmitteln“

tipBerlin Erlebst du in Berlin trotz oder wegen deines Bekanntheitsgrades eigentlich auch direkte Konfrontation?

Riccardo Simonetti In Berlin machen sich schon mal Leute auf der Straße über einen lustig, wenn man die einzige Person ist die im Januar eine Farbe trägt. Doch ich habe nicht mehr so viele Überschneidungspunkte wie früher, ich fahre beispielsweise nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, weil ich dort zu viele unschöne Erlebnisse hatte. Aber ich weiß noch, wie es war, bevor ich berühmt geworden bin, und was meine Freunde erleben. Es wäre naiv zu glauben, dass Berlin frei von diskriminierenden Erfahrungen ist. Ich glaube, jede queere Person wird in Berlin permanent daran erinnert, dass sie queer ist. Es gibt natürlich auch den Schwulen, der in Berlin sehr unsichtbar ist, nur schwarz trägt, supermaskulin auftritt und ins Berghain geht. Aber für eine Person, die mit Gendernormen bricht, kann Berlin auch eine bitch sein.

tipBerlin Individualität wird an den Rand gedrängt?

Riccardo Simonetti Im SchwuZ in Neukölln ist es natürlich noch bunt und divers, aber wenn man durch Berlin-Mitte oder Prenzlauer Berg läuft, wird es auch mal grau.

Simonetti beim Kochen mit Jahn Böhmermann. Foto: Imago/Neis

tipBerlin In den vergangenen Jahren gab es diverse erschreckende Strömungen – Pegida, AfD, dann die Corona-Leugner:innen. Hat sich wieder was zum Schlechteren verändert?

Riccardo Simonetti Dass bei Corona-Demos die Impfgegner mit Nazis zusammen auf die Straße gegangen sind, hat mich schon erschrocken. Da entstehen Gruppen, die eigentlich nicht viel gemeinsam haben, und eine einzige Gemeinsamkeit reicht, dass man Hand in Hand mit den Nazis demonstriert. Man muss schon aufpassen, dass man sich nicht in der linken Blase gegenseitig zerfetzt, und die rechte Blase tut sich zusammen und wird immer stärker. Ich habe manchmal die Angst, dass wir auf eine Zwei-Blasen-Gesellschaft hinsteuern. Die eine ist supertolerant, superwoke und möchte alles richtig machen. Und die andere Blase möchte nichts von all dem wissen, hat Angst, keinen Platz mehr in dieser Gesellschaft zu haben. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass diese Blasen wieder miteinander kommunizieren und den Leuten die Angst zu nehmen vor dieser neuen woken Welt.

tipBerlin Social Media löst auch viel Oberflächlichkeit in einer Gesellschaft aus. Auf Instagram sieht man dich beim Coachella-Festival in Kalifornien, du siehst, wie immer, blendend aus auf deinen Fotos. Wie vereinst du das mit dem Ansatz, dass du auch gern den 16-Jähren in seinem bayerischen Dorf empowern möchtest.

Riccardo Simonetti Ich glaube, man hat als Star auch die Aufgabe, den Leuten eine Fantasie zu geben. Ich fand es als Teenager toll, von einem Leben zu träumen, das größer ist als das Leben, das ich damals hatte. Ich glaube, das braucht man auch, um sich weiterzuentwickeln. Die Dinge, die ich tue, passieren hoffentlich mit einem gewissen Grad an Authentizität. Ich zeige mich ja auch ungeschminkt und habe vor kurzem eine Insta-Story gemacht, in der ich erzählt habe, dass ich mir in die Hose gemacht habe, als ich im Auto saß. Da sind schon auch immer Momente dabei, bei denen die Leute sagen: Wow, das hätte ich mich jetzt nicht getraut – oder auch: Wow, wieso erzählt man sowas? Aber all das bin ich. Und deshalb spreche ich auch darüber.

Der nächsten Generation mehr Selbstbewusstsein mitgeben

tipBerlin Fühlen sich Menschen von dir eingeschüchtert?

Riccardo Simonetti Es ist ein Millennial-Phänomen, dass man sich automatisch eingeschüchtert fühlt, sobald man eine Person sieht, der es besser geht oder die toll aussieht. Dann wird der Person die Schuld gegeben und gesagt: Du sorgst dafür, dass andere Menschen sich unwohl fühlen in ihrer Haut. Also wir erwarten von der Person, die strahlt, dass sie sich kleiner macht, damit sich jemand anders wohl in ihrer Gegenwart fühlt. Das ist der falsche Weg. Wir sollten eher versuchen, der nächsten Generation mehr Selbstbewusstsein mitzugeben. Die wichtigste Lektion, die ich den Leuten gebe: in kleinen Schritten zu dem Menschen zu werden, der man wirklich ist. Sagt nicht: Ich fange damit an, wenn ich mit der Schule fertig bin, oder: Ich trage diese Outfits, wenn ich fünf Kilo abgenommen habe. Lebt im Hier und Jetzt.

tipBerlin Du engagierst dich sehr in Kampagnen für Jugendliche, denen es gerade nicht so gut geht. Wie connectest du mit denen?

Riccardo Simonetti Wenn man über das Thema „man selbst sein“ spricht und die Leute ermutigt, an sich selbst zu glauben, dann ist es super wichtig, dass man nicht predigt, sondern den Leuten auch wirklich etwas vorlebt. Deshalb zeige mich ja auch oft ungehemmt und befreit. Und natürlich versuche ich mit meiner Organisation Projekte zu organisieren, die junge Menschen wirklich stärken. Wir arbeiten gerade an einer Broschüre, wie ein Pixiheft, die das Thema LGBTQI+ erklärt. Es soll ein kleines Erklär-Heft werden, das wir kostenlos Jugendzentren und Schulen zur Verfügung stellen. In Schulen wird dieses Thema oft gar nicht angesprochen, auch nicht im Sexualkunde-Unterricht. Da geht es nur um Fortpflanzung und der Rest spielt keine Rolle. Ich erwarte auch nicht von jedem Biologielehrer, der 63 Jahre alt ist, dass er das Thema Intersexualität perfekt erklären kann. Das Heft soll eine Starthilfe sein und auch Lehrer und Lehrerinnen ermutigen, mit ihren Schülerinnen und Schülern darüber zu sprechen.

Riccardo Simonetti mit Jared Leto bei der Premiere des Marvel-Films Morbius.
Riccardo Simonetti mit Jared Leto bei der Premiere des Marvel-Films Morbius. Foto: Imago/APress

tipBerlin Denkst du, dass es heute mit Internet und Cybermobbing schwieriger ist als damals, als du Teenager warst, sich selbst zu finden?

Riccardo Simonetti Als ich ein Teenager war, gab es auch schon Myspace und Facebook. Man kann jungen Menschen mehr zutrauen, als viele glauben. Ich bin früher gemobbt worden und es war mir auch bewusst, wenn ich zuhause war. Und natürlich kann heute eine Person, die in der Schule gemobbt wird, durch Cyberbullying zu Hause weiter gemobbt werden. Das ist ein ernstes Problem. Aber ich glaube nicht, dass ein junger Mensch einen Unterschied macht zwischen „echtem Mobbing“ und digitalem „fake Mobbing“. Aber man sollte ihm beibringen, mit Social Media umzugehen. Social Media ist eine Plattform, die sehr gefährlich sein kann, weil man sich angreifbar macht. Aber sie gibt dir auch die Möglichkeit, Vorbilder zu suchen, die genau über die Themen sprechen, die dich ausmachen. Zum Beispiel folgt eine Freundin von mir einzig und allein Plus-size-Mädchen auf Instagram, um sich davon inspirieren zu lassen. Das ist cool.

Riccardo Simonetti „Das Café am Neuen See ist mein Lieblingscafé“

tipBerlin Welche sind deine Ecken und Enden von Berlin, wo du dich nach sieben Jahren wirklich zu Hause fühlst?

Riccardo Simonetti Das Café am Neuen See ist mein absolutes Lieblingscafé. Für mich fängt das Jahr erst dann wirklich an, wenn es warm genug ist, dass man da Boot fahren und essen kann. Dort fühlt sich Berlin wirklich an wie Urlaub. Das Café am Neuen See ist im Tiergarten in der Nähe der Siegessäule, wo früher eine bekannte Cruising Area war. Ich mag Orte, die historisch queer waren, da fühle ich mich wohl und spüre eine besondere Energie. Ich mag auch das Schwule Museum sehr gerne. Im Naturkundemuseum gucke ich gern Saurier an, um mich ein bisschen abzulenken. Im Nachtleben fühle ich mich natürlich auch wohl. Ich mag das SchwuZ sehr als queere Institution und unterstütze es auch selbst mit meiner Initiative.

Riccarodo Simonetti mit seinem besten Freund Strify.

tipBerlin Es gibt im Umkreis des SchwuZ eine sehr starke queere Community von Wanda Mercury und anderen Menschen. Ist die LGBTQI+-Szene schon gut vernetzt oder muss sie noch besser zusammenarbeiten?

Riccardo Simonetti Gerade in der queeren Community wird sich oft gegenseitig bekriegt, statt gemeinsam an einer Sache zu arbeiten. Und in den zwei Jahren Pandemie ist natürlich die Sichtbarkeit queerer Menschen im Alltag zurückgegangen. Man hat keine Drag Queens mehr nachts in der U-Bahn auf dem Weg zum Club gesehen, keine Männer, die Händchen halten. Mit der queeren Sichtbarkeit ist auch die Problematik Homophobie aus den Köpfen der Menschen verschwunden. Deshalb mache ich mit meiner Initiative einmal im Jahr eine Plakatkampagne, bei der wir queere Menschen fotografieren. Und wir als Initiative unterstützen nicht nur queere Menschen, sondern alle, die einer marginalisierten Gruppe angehören, beispielsweise lokale Projekte, die sich gegen Behindertenfeindlichkeit aussprechen oder Body Positivity supporten. Spendengelder sind auch in die Ukrainehilfe geflossen, weil queere Menschen dort noch einmal anders betroffen sind vom Krieg. Es ist für alle schwierig. Aber für eine Transperson, deren Namen nicht im Reisepass steht, ist es nochmal schwieriger, über die Grenze zu kommen. Oder für eine Person, die im Rollstuhl sitzt, alles stehen und liegen zu lassen.

tipBerlin Wie genau habt ihr den Menschen im Ukraine-Krieg geholfen?

Riccardo Simonetti Wir haben uns mit Organisationen aus der Ukraine zusammengetan und gefragt, wie wir helfen können. Wir haben sie finanziell unterstützt und hatten auch jemanden im Team, der mit dem Auto an die Grenze gefahren ist und die Leute dort mit Gütern versorgt hat.

tipBerlin Was sind deine Hoffnungen und Pläne?

Riccardo Simonetti Ich werde auf jeden Fall in Berlin bleiben und behalte auch mein Zuhause hier, aber ich habe auch Lust auf anderen Input. Deshalb habe ich gerade ein Haus auf Mallorca gekauft und möchte zwischen Mallorca und Berlin pendeln. Und ich bin einfach super dankbar, dass ich mich beruflich so ausleben kann und gleichzeitig dabei etwas für die Community tun kann, die mir was bedeutet. Als Edeka mich gefragt hat, einen Smoothie mit ihnen zu machen, habe ich mir gedacht: Das ist eine Supergelegenheit, eine Brücke zu Menschen zu bauen, die bisher nichts mit mir zu tun haben. Pro verkaufte Flasche generieren wir Spenden für meine Initiative, und wir sprechen hier von zehn Cent die Flasche. Ich hoffe, dass am Ende des Jahres genug Geld da ist, um in Berlin eine queere Anlaufstelle errichten zu können, wo Menschen hinkommen können, die Support brauchen.

tipBerlin Bei all den Projekten: Brauchst du da ein großes Team?

Riccardo Simonetti Ich bin in alles schon sehr involviert.

tipBerlin Wir haben gehört, du wärst tip-Leser. Stimmt das?

Riccardo Simonetti Mein Freund liebt dieses Magazin und ist Abonnent. Er ist Amerikaner und wohnt seit ein paar Jahren in Berlin, hat den tip mal entdeckt und dann abonniert, um Deutsch zu lernen, die deutsche Kultur besser kennenzulernen und um Dinge empfohlen zu bekommen. Er freut sich jedes Mal, wenn der tip zu ihm nach Hause kommt – jetzt mit mir auf dem tip-Cover. Wir haben gemeinsam schon so viele tolle Sachen durch den tip entdeckt, das Britney Spears-Theaterstück zum Beispiel oder Special Screenings im Kino. Dadurch, dass ich so viel außerhalb von Berlin arbeite, weiß ich manchmal nicht, was ich hier mache, wenn ich einen freien Tag habe. Und da hat mir der tip wirklich schon sehr oft was vorgeschlagen, das ich noch nicht auf dem Schirm hatte.

  • 1993 geboren, wuchs Riccardo Simonetti im bayerischen Bad Reichenhall auf und war als Jugendlicher exzessivem Mobbing ausgesetzt. Nach dem Abitur zog er nach München und gründete 2011 den Blog „The Fabulous Life of Ricci“, den er 2019 aufgab. Auf Instagram folgen ihm 370 Tsd. Menschen, er ist oftGast in Talkshows, moderiert im TV und hostet die Make-up-Competition „The Glow“ auf ZDF Neo. Er hat auf autobiografischen Erlebnissen beruhende Bücher geschrieben, u.a.  gemeinsam mit seiner Mutter „Mama, ich bin schwul“.

Interview: Sebastian Scherer und Stefanie Dörre


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