Unsere Autorin verließ die Ostsee-Stadt Flensburg für die Hauptstadt Berlin. Doch es blieb nicht bei dem einen Umzug. Wie sie sich in der Millionenmetropole eingelebt hat, erzählt sie hier.
Umzug von Flensburg nach Berlin: Ich dachte, ich kenne die Stadt
Jetzt geht es also nach Berlin. Es ist der 9. Oktober 2021. Ich verlasse meine Heimatstadt Flensburg auf unbestimmte Zeit. Meine Freundinnen und Freunde habe ich alle einen Abend zuvor verabschiedet. Ein komisches Gefühl. Ich kenne Berlin gut. Dachte ich. War schon oft da. Und doch geht die Reise an diesem Samstagmorgen ins Ungewisse. Ich steige mit einem wehmütigen Gefühl in den vollgepackten Golf 5 eines Freundes ein. Platz gefunden haben nur meine persönlichen Wertsachen, ein Berg Klamotten und ein paar Kleinmöbel aus meinem alten WG-Zimmer. Der Rest verteilt sich auf die WGs meiner Freund:innen oder im Keller meiner Eltern. Auf der A24 mischt sich zu meiner Wehmut dann aber Vorfreude. Ich habe zwei schleppende Coronajahre und ein nervenaufreibendes Aufnahmeverfahren für meinen Berliner Studienplatz hinter mir. Und ich habe Flensburg nach 24 Jahren durchgespielt.
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Hallo Berlin: Sonnenallee statt Ostsee-Sonne
Die erste Station in Berlin ist ein WG-Zimmer mitten im Trubel von Neukölln. Ich bin auf dem Weg in mein neues Zuhause, ohne wirklich zu wissen, was mich erwartet. Instagram ist in Sachen WG-Zimmer-Suche aber schon immer eine zuverlässige Plattform gewesen. Und eine vertrauensvolle. Schließlich handelt es sich ja um Freunde von Freunden. Kurz vor Semesterbeginn wird die Story-Leiste zum WG-Vermittlungs-Tool umfunktioniert. Also startete auch ich einen Aufruf. Keine zwei Stunden später hatte ich die Zusage für Neukölln – per Direct Message. Gesucht und gefunden.
Der Bezirk Neukölln im Süden der Stadt sieht für mich auf den ersten Blick aus wie eine Mischung aus Kunst und Chaos. Ich fühle mich jedenfalls gleich wohl. Allerdings wohne ich auch nicht im 13. Stock eines Plattenbaus in Gropiusstadt, sondern in einem Altbau am Richardplatz. Mir wird schnell klar: Auch in diesem Teil Berlins bestimmen die steigenden Mieten den Alltag der Menschen und bewirken nach und nach die Verdrängung der Ur-Neuköllner:innen. Rund um den Hermannplatz laufe ich fast täglich an neuen Pop-up-Stores vorbei – Designer-Pieces verkaufen sich offensichtlich besonders gut hinter vollgesprühten Altbaufassaden. Und wenn ich ehrlich zu mir bin, trage ich als zugezogene Studentin auch einen Teil zu der Entwicklung bei. Kein schöner Gedanke.
Um sich an einem neuen Ort in einer fremden Stadt wohlzufühlen, braucht es einiges. Ein belebter Kiez ist da schon einmal vielversprechend. Aber die WG-Mitbewohner:innen sind auch mindestens genauso entscheidend. Da ist so ein Blind-Umzug manchmal nicht die beste Entscheidung. Mein damaliger Mitbewohner begrüßt mich an meinem ersten Abend wortlos mit einer Line Koks. Dann verlässt er die Wohnung. Meine beste Freundin und ich bleiben zwischen Pfandbergen, Geschirrhaufen und Tabakresten ein wenig überfordert in der Hinterhausküche zurück. Für mich steht schnell fest, dass diese WG keine Zukunft hat. Und dann schleicht sich schon bald die Sehnsucht nach dem Meer ein. Ohne, dass ich sie gerade gebrauchen könnte. Sie lässt mich nämlich nicht erfüllt an meine Heimat denken, sondern angesichts der WG-Situation einfach nur vermissen.
Vom Hermannplatz zum Kollwitzkiez
Ich muss mir also etwas einfallen lassen. Ein neues Zuhause finden. Als Neu-Berlinerin ohne breites Netzwerk ist das mitten im Semester aussichtslos. Dachte ich. Nach kurzer Suche werde ich dann aber doch fündig. Im Prenzlauer Berg. Das totale Kontrastprogramm zu Neukölln. Und diesmal nicht über Instagram, sondern auf der Plattform WG-Gesucht. Ich habe einfach Glück und bekomme nach der ersten Besichtigung gleich eine Zusage.
Kurz zuvor haben mir zwei Freudinnen erzählt, dass alle im Prenzlauer Berg Aufgewachsenen nach Neukölln ziehen. Eine weitere Begleiterscheinung der Gentrifizierung also. Ich mache es jetzt einfach umgekehrt. Den dreckigen Charme Neuköllns finde ich im polierten Prenzlauer Berg nicht. Dafür überteuerte Bio-Wochenmärkte an jeder Ecke und Aperol trinkende Jung-Eltern vor meiner Haustür. Nicht meine Welt. Aber der Stadtteil bietet kurze Erholung vom Berliner-Trubel. Hier sitze ich oft in einem der vielen Parks und genieße die Sonne oder fordere meine Nachbarin zum Tischtennis-Match am Arnswalder Platz auf. Und doch lässt mich das Heimweh nicht richtig los.
Eine Liebeserklärung an Flensburg und Berlin
Ich denke während meines ersten halben Jahres in Berlin oft an meine Heimat. Flensburg ist eine 90.000 Einwohner:innen-Stadt an der Ostsee. Im Sommer lag ich mit meinen Freundinnen und Freunden tagsüber an leeren Stränden und abends saßen wir an der Promenade mit einem Kasten Bier. In Berlin verbringe ich die Sommer-Nächte an einem der unzähligen Spätis. Das Eine ist nicht besser als das Andere. Der Sommer in Berlin ist aufregend. Die Straßen sind voll und das Leben in der Stadt pulsiert. Zwischen Maybachufer und Admiralbrücke treffe ich abends meine Berliner Freund:innen. Und doch zieht es mich immer noch ans Meer.
Aber während meiner ersten Semesterferien, zurück in Flensburg, denke ich auch oft an mein neues Zuhause Berlin. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen dort ehrlicher sind. Sie sagen direkt, was sie denken. Die Berliner Schnauze wird ihrem Namen gerecht. Die Menschen im Norden sind hingegen deutlich wortkarger. Obwohl es sich bei der ruppigen aber ehrlichen Art der Berliner:innen und dem Schweigen der Norddeutschen um Klischees handelt, spiegeln sie sich doch in der Realität wider. Und ich merke, dass ich die Berliner Mentalität ein wenig vermisse.
Die zwei Gesichter Berlins
Der Sommer ist vorbei und es geht zurück in die Hauptstadt. Die schwüle Großstadtluft kühlt langsam ab und die ganze City lädt zum Spazieren ein. Auf den farbenfrohen Herbst folgt nur immer auch der graue Winter.
Für mich steht wieder ein Umzug innerhalb Berlins an. Ich reise einen Bezirk weiter südöstlich nach Friedrichshain. Auch das WG-Zimmer in Prenzlauer Berg hat sich als Übergangslösung entpuppt. Meine Mitbewohnerin überlässt es nämlich einer guten Freundin. Jetzt muss also doch eine eigene Wohnung her. Mein Freund – der jetzt auch dem Norden den Rücken kehrt – und ich haben zuvor den Sommer in Flensburg auf ImmoScout24 und eBay verbracht. Meine Glückssträhne bei der Wohnungssuche war zu Ende. Erst gefühlte zwanzigtausend E-Mails und dreißig Wohnungsbesichtigungen später hatten wir dann endlich Erfolg. Eine gemütliche Zweizimmer-Wohnung im Samariterkiez.
Ich ordne Friedrichshain irgendwo zwischen Neukölln und Prenzlauer Berg ein. Das mag völlig falsch sein. Für mich hat Friedrichshain aber den rauen Charme Neuköllns und die Hipster Prenzlauer Bergs. Ich fühle mich zeitweise durch das Stadtbild Friedrichshains erschlagen – am Frankfurter Tor zum Beispiel. Und dann verzaubert der Stadtteil mich wieder. Mit seiner kulinarischen Vielfalt, seinen günstigen Kneipen, den gekonnten Graffitis und kleinen Lädchen. Dass Friedrichshain gerade am Wochenende zur Party-Meile umfunktioniert wird, ist stadtbekannt. Für viele Anlass, den Stadtteil zu verfluchen. Ich wohne im ruhigeren Nord-Kiez und bin dadurch vor dem Touri-Tummel geschützt. Friedrichshain ist für mich dennoch kein Ort der Erholung, sondern einer des Abenteuers.
Umzug von Flensburg nach Berlin: Zur Not wartet die Ostsee
Als ich mich für Berlin entschieden habe, kannte ich die Stadt nur aus Momentaufnahmen. Aus Kurztrips an Wochenenden. Ganz so einfach ist es aber nicht. In Berlin zu leben ist eine Herausforderung. Die Wege können sich wie Kaugummi ziehen: Die Fahrt von meiner Wohnung bis zur Uni gleicht einem Ausflug quer durch das Bundesland Schleswig-Holstein. Und ein Leben in Berlin erfordert viel Geduld. Ob an der Kasse im Supermarkt, beim Ärzt:innenbesuch oder beim vergeblichen Versuch, einen Termin bei den Behörden zu ergattern. Und da wären noch die Freundschaften. Am Anfang fiel es mir schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen hier sehr viel beschäftigter als in kleineren Städten sind. Berlin ist einfach anonym. Und dann wohnen potenzielle Freund:innen auch noch am anderen Ende der Stadt.
Nach einem Jahr Berlin habe ich gelernt, dass gewisse Dinge ihre Zeit brauchen. Dass ich einen großen Teil dazu beitragen musste, um in der Stadt anzukommen. Und von ihr aufgenommen zu werden. Aber das sind die Anforderungen eines Neuanfangs. Die Reise von Neukölln über Prenzlauer Berg bis nach Friedrichshain hat sich gelohnt. Die Millionenmetropole ist noch nicht zu meiner Heimat geworden. Dass wird sie wahrscheinlich auch nie werden. Aber sie ist mein neues Zuhause. Und ich weiß, dass ich auch noch zum Altwerden an die Ostsee zurückkehren kann.
Mehr aus unser Serie „Alter Kiez, neuer Kiez“:
Weitere spannende, lustige oder auch seltsame Umzugs-Erfahrungen findet ihr auf unseren Seiten. Unser Autor kehrte nach seinem Umzug von Berlin nach Greifswald zurück in die Hauptstadt. Eine weitere Autorin erzählt von ihrem Umzug aus dem Schwabenland nach Berlin. Ähnlich spannend der Umzug innerhalb Berlins von Wedding nach Prenzlauer Berg. Wir Zugezogenen haben alle etwas gemeinsam: Dinge, an die wir uns als Neu-Berliner:innen erst einmal gewöhnen müssen. Alles weitere rund um Berlin erfahrt ihr in unserer Rubrik Stadtleben.