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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug von Frankfurt nach Berlin: Weißer See statt Rebstockbad

Nach vier Jahren in der Finanzmetropole Frankfurt am Main verlässt unsere Autorin die heimliche Hauptstadt Hessens und zieht dafür in die Bundeshauptstadt Berlin. Nicht zwischen Hochhäuser, sondern ins gemütliche Weißensee. Eine andere Welt? Was sie dabei erlebt hat, erzählt sie in diesem Umzugs-Artikel.

Nicht umsonst wird Frankfurt von eifrigen Werbetexter:innen auch Mainhattan genannt. Trotzdem zog es unsere Autorin nach Berlin. Foto: Imago/greatif

Umzug von Frankfurt nach Berlin: Tschüss Vertrautheit, Hallo Abenteuer!

Die Entscheidung von Frankfurt nach Berlin zu ziehen, fiel mir nicht allzu schwer. Immerhin hatte ich nicht nur die letzten vier Jahre in der Stadt am Main, sondern auch mein gesamtes Leben in Südhessen verbracht. Deshalb wollte ich aber jetzt vor allem eines: Endlich einmal herauskommen! Und wo geht das besser als in Berlin?

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Als ich das allererste Mal Hauptstadtluft schnupperte, war ich noch im Grundschulalter. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, nur daran, dass wir die Museumsinsel besuchten, und dass mein kleiner Bruder jedes einzelne Ausstellungsstück mit seiner Digitalkamera fotografierte. Am Ende war der Speicher voll, und wir hatten es nicht mal bis zur Büste der Nofretete geschafft – dabei waren wir eigentlich wegen ihr gekommen. Schon damals mochte ich Berlin. Denn die Stadt war, ähnlich wie ihre Museen, unendlich groß und voller bunter Ecken, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden.

Bei anderen stößt diese Einschätzung bis heute auf Unverständnis. Zu laut und zu dreckig lautet das Urteil von Freunden und Verwandten, als ich ihnen von meinem Beschluss erzähle. Ich gebe ihnen Recht. Dass Berlin keinen Preis für die saubersten Straßen gewinnen wird, ist auch für mich nicht von der Hand zu weisen. Aber irgendwie ist das schon in Ordnung. Irgendwie passt das nämlich auch zu dieser Stadt. Warum? Das kann ich mir selbst nicht so ganz erklären.

Nicht nur Berlin ist dreckig (und teuer)

Vielleicht bin ich aber auch einfach Kummer gewöhnt. Schließlich habe ich die letzten vier Jahre in Frankfurt am Main gelebt, welches nun wirklich nicht als das sauberste Fleckchen auf Erden bekannt ist. Unerwünschtes einfach auf der Straße zu entsorgen, gehört auch hier zum guten Ton. Genauso wie Armut und Obdachlosigkeit das Stadtbild prägen. Ganz besonders im berühmt-berüchtigten Bahnhofsviertel, ansonsten auch auf der Zeil und in den umliegenden Straßen. Wer dem entfliehen will, der zieht ins gutbürgerliche Nordend oder, wenn es das Budget hergibt, ins villengeschmückte Westend (das gibt’s übrigens auch hier). In Berlin gibt es kaum ein Entkommen – außer in Grunewald vielleicht. Aber da war ich auch noch nicht

Der Weiße See gibt dem Stadtteil seinen Namen Foto: Imago/Schöning

Stattdessen verbringe ich viel Zeit in Mitte und in Weißensee, wo ich einer Wohngemeinschaft mit meiner Vermieterin und ihren beiden Axoloten wohne. Als ich ihr zum ersten Mal erkläre, dass ich ursprünglich aus dem Rhein-Main Gebiet komme, wirft sie mir einen beunruhigten Blick zu: „Du bist jetzt aber nicht einer von diesen westdeutschen Hipstern?“. Ich bin mir da nicht so sicher. Also erzähle ich ihr lieber, dass meine Mutter in Brandenburg aufgewachsen ist. Das beruhigt sie. Ein Glück, immerhin bin ich auf das Zimmer angewiesen, welches sie als Hauptmieterin ihrer Untermieterin vermietet, die dieses wiederum mir untervermietet. Klingt kompliziert? Willkommen auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

Der ist auch verantwortlich dafür, dass es mich überhaupt nach Weißensee verschlagen hat. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte ich mich sicherlich für ein WG-Zimmer in irgendeinem Berliner Szeneviertel entschieden. Aber das war allein schon finanziell nicht drin – und im Nachhinein bin ich sogar ganz froh darüber. Ich mag das etwas beschaulichere Weißensee und dass ich morgens wahlweise von zwitschernden Vögeln oder schreienden Kindern geweckt werde. Außerdem habe ich bereits ein Lieblingscafé, einen Lieblingsbubbleteeladen und meine Lieblingsstadtbibliothek für mich entdeckt. Was will man mehr? 

Umzug von Frankfurt nach Berlin: Überraschend nette Menschen, dafür aber viel Verkehrschaos

Vielleicht ein bisschen mehr Grün und etwas weniger Individualverkehr, das wäre doch was. Denn wenn ich an der Berliner Allee stehe und mal wieder auf meine Tram warte, frage ich mich regelmäßig, ob die Anwohner überhaupt ihre Fenster öffnen – oder ob das zur sofortigen Kohlenmonoxid-Vergiftung führt. In meinen Tagträumen stelle ich mir vor, wie ich Kommunalpolitikerin werde und dann erstmal ein paar verkehrsberuhigende Maßnahmen durchführe. Tschüss graue Autokolonnen und Hallo Grünflächen. Keine Ahnung, wie meine Lunge nach sechs Monaten Berlin aussieht. Vermutlich auch besser, es nicht zu wissen.

Im Winter deutlich weniger freundlich: Die Berliner Allee in Weißensee Foto: Imago/Schöning

Den Leuten, die ich kennenlerne, geht es ähnlich. Zumindest erzählen sie mir von ihrer Sehnsucht nach Wochenendtrips in die Natur. Einfach mal wieder rauskommen. Die meisten von ihnen sind wie ich – zugezogen. Von der berühmten Berliner Schnauze habe ich deshalb noch nicht allzu viel mitbekommen. Stattdessen sind die Menschen eher hilfsbereit. Besonders wenn mir mal wieder der Akku abgeschmiert ist und ich mich verzweifelt erkundige, wie genau ich jetzt noch mal vom Rosenthaler Platz zur Schönhauser Alle komme. Oder wenn die Sprechstundenhilfe mir erklärt, dass aktuell leider keine neuen Patienten aufgenommen werden, aber in drei Monaten bestimmt!

Aber auch wenn ich das Gefühl habe, recht freundlich empfangen worden zu sein, vermisse ich manchmal Frankfurt. Den Main, der sich wie ein blaues Band durch die Innenstadt schlängelt, die Skyline, die sich nachts auf seinem Wasser spiegelt und dass beides immer nur einen Katzensprung entfernt war. So wie überhaupt die meisten Orte, die ich erreichen wollte. Das ist jetzt anders. Egal wo in Berlin ich gerade hinmöchte, es dauert immer mindestens vierzig Minuten. Dass mag unter anderem auch daran liegen, dass ich außerhalb des berühmten Rings wohne.

So oder so ist es allen voran eines: Nervig. Vor allem für jemanden, der ohnehin immer zehn Minuten zu spät aus dem Haus geht und dann nicht mehr nur 15-Minuten, sondern gleich eine halbe Stunde zu spät aufschlägt. Wenn dann auch noch die BVG streikt, dann bin ich komplett aufgeschmissen, denn es führen zwar viele Wege nach Berlin, aber nur die M4, M12 und M13 (und vermutlich eine Stange an Bussen) auch nach Weißensee.

Ein versöhnliches Fazit und Vorfreude auf den Sommer

Aber zur Not lässt es sich auch hier in Weißensee ganz gut aushalten. Es gibt vielleicht keine hippen Clubs und Bars aber dafür immer noch eine Bandbreite an Spätis und Imbissbuden. Und auch der namensgebende See mitsamt dem zugehörigen Strandbad ist nicht allzu weit entfernt. In Genuss dessen bin ich allerdings bisher noch nicht gekommen, schließlich kenne ich bis jetzt nur den Berliner Winter. Der ist vermutlich auch schuld daran, dass mir alles so entsetzlich grau vorkommt. Immerhin ist er dafür bekannt, Menschen regelmäßig in die Verzweiflung zu stürzen. Vielleicht wird im Sommer also alles noch mal ein bisschen besser? Nofretete habe ich im Übrigen auch immer noch nicht gesehen. Alles Gründe, um noch ein bisschen zu bleiben. 


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Auch im Kiez unterwegs? Alle unsere Texte über Weißensee lest ihr hier. Und eine weiter Umzugsgeschichte von Hessen nach Berlin gibt es an dieser Stelle. Umzüge sind spannend – und nervig. Hier gibt es eine weitere Umzugsgeschichte rund um Kreuzberg und einen Umzug von Wedding nach Prenzlauer Berg. Abschied vom Zehn-Franken-Döner: Unsere Autorin ist aus der Schweiz nach Berlin gezogen – hier sind ihre Erfahrungen. Neu hier? 12 Dinge, an die sich Zugezogene in Berlin gewöhnen müssen. Ansonsten überzeugt die Stadt mit diesen Dingen, die Zugezogene an Berlin sofort lieben lernen, im Handumdrehen. Was Berlin noch bewegt, erfahrt ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.

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