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Alter Kiez, neuer Kiez

Aus Hessen nach Berlin: Ciao Kuhkaff, hallo Hafer-Latte

Aus Hessen nach Berlin: Unsere Autorin hat der Provinz den Rücken zugekehrt und ist mit Sack und Pack nach Berlin gezogen. Raus aus der ruhigen und gesitteten Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt am Main und rein ins hektische und laute Großstadtleben. Mit welchen Unterschieden und Umstellungen sie dabei konfrontiert wurde, berichtet sie in diesem Artikel.

Aus der Provinz in die Großstadt: Berlin-Feeling an der Bösebrücke. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Aus der hessischen Provinz nach Berlin: Ich dachte, ich weiß, worauf ich mich einlasse

Oktober 2017, drei Monate nach meinem Abitur fasste ich den Entschluss, meine Heimatstadt Babenhausen zu verlassen und auf eigene Faust ins 600 Kilometer entfernte Berlin zu ziehen. Zu diesem radikalen Schritt war ich ganz spontan gekommen, nachdem mich das Gefühl nicht mehr loslassen wollte, dass die Zeit im Dorf für mich einfach stehen bleibt und mich hier keine großen Veränderungen mehr erwarten werden. Berlin war mir zu diesem Zeitpunkt keinesfalls fremd. Durch meine liebe Oma war ich schon unzählige Male dort zu Besuch gewesen und hatte schon in jungen Jahren insgeheim davon geträumt, eines Tages in die Hauptstadt zu ziehen. Dennoch fiel mir der Abschied schwer. Immerhin musste ich meiner Heimat, meinen Freunden und vor allem meiner Familie Lebewohl sagen. Als ich dann jedoch in meinen vollgepackten Golf auf die Autobahn fuhr, stieg schnell warme Vorfreude in mir auf.

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Aus Hessen nach Berlin: Die erste große Hürde war die Wohnungssuche

Meine erste Station in Berlin war die Zweizimmerwohnung meiner Oma in Heinersdorf. Von Hessen aus ein Zimmer oder eine Wohnung zu finden, hatte sich als nahezu unmöglich herausgestellt. Also dachte ich mir: Vor Ort klappt das ganz bestimmt besser! Jung und naiv wie ich war, hatte ich erwartet, innerhalb weniger Tage eine Bleibe zu finden. Schnell wurde ich eines Besseren belehrt, denn mit drei Einkommensnachweisen aus meinem damaligen Kellnerjob kam ich bei Wohnungsbesichtigungen nicht wirklich weit. Auch meine unzähligen Nachrichten bei „WG-Gesucht“ blieben erfolglos. Verzweiflung machte sich bei mir breit, denn auf der Couch meiner Oma konnte mein wildes Berlin-Leben nicht so richtig starten. Letztendlich klappte es mit dem altbekannten Vitamin B und von einem auf den anderen Tag zog ich in eine wunderschöne kleine Wohnung in Prenzlauer Berg.

Der Stadtteil wirkte auf mich zunächst wie eine grüne Familienumgebung mit entspannten Cafés und Märkten. Diese anfängliche Vermutung hat sich über die Jahre eindeutig bestätigt: Prenzlauer Berg ist auf jeden Fall um einiges ruhiger und „langsamer“ als Bezirke wie Friedrichshain oder Neukölln. Anfangs war ich davon nicht wirklich begeistert, da ich am liebsten direkt auf der Simon-Dach-Straße gewohnt hätte, um den Puls der Stadt direkt vor mir zu haben. Mit meiner Party-Euphorie fand ich trotzdem sehr schnell Anschluss und verfiel schon in den ersten Monaten der Berliner Techno-Szene. Die ganze Nacht durchfeiern und meine Arbeitsklamotten gleich mit in den Club nehmen, gehörte für mich zu jedem Wochenende dazu. Um sieben Uhr morgens ging es dann mit dem Uber ins Café zum Arbeiten. Das Großstadtleben hatte mich eingesogen und über mein zurückgelassenes Kuhkaff dachte ich keine Minute mehr nach.

Stundenlanges Anstehen vor dem KitKat-Club nehmen Berliner:innen wie Tourist:innen gern in Kauf. Foto: Imago/PEMAX

Aus Hessen nach Berlin: War ich schockverliebt?

Während meiner ersten Monate in Berlin fielen mir die Unterschiede zur Kleinstadt ganz besonders auf. Die Schnelllebigkeit, Hektik und vor allem die Unfreundlichkeit der Berliner:innen stachen mir dabei besonders ins Auge. Meine verträumte Art und mein langsames Gehen auf der Straße wurde nicht selten mit einem lauten „Mann Ey“ kommentiert. Auch meine (anscheinend) übertriebene Nettigkeit wurde bei der Arbeit immer mal wieder auf die Schippe genommen und durch mein „gell“ nach jedem zweiten Satz wurde ich von jedem Gast sofort als nicht-Berlinerin enttarnt. Mit Sprüchen, die gegen Zugezogene wettern, musste ich tagtäglich klarkommen und meine fehlende Schlagfertigkeit grenzte mich endgültig von den Berliner:innen ab.

Einige dieser Eigenschaften habe ich über die Jahre abgelegt, das „gell“ habe ich schnell gegen ein „wa“ ausgetauscht. Dennoch werde ich auch heute noch – nach sechs Jahren Berlin – immer noch schnell als Zugezogene wahrgenommen. Umgekehrt sind aber auch mir bestimmte Verhaltensweisen der Berliner:innen aufgefallen. Wenn im Café jemand einen entkoffeinierten Latte mit Hafermilch und dazu ein „dash“ zuckerfreien Vanillesirup bestellt hat, musste ich zunächst immer ein wenig schmunzeln. Dennoch habe ich mich noch nie so zu Hause gefühlt wie in Berlin!

Aus Hessen nach Berlin: Die Raabestraße in Prenzlauer Berg kann jedes Jahr besonders mit schönen Kirschblüten punkten. Foto: Friederike Ossenschmidt

Im Vergleich: Berlin und die hessische Provinz

Berlin hat mir erstmals in meinem Leben aufgezeigt, was es eigentlich heißt, wirklich zu leben, denn jeden Tag entdecke ich neue spannende Sachen. Cafés, Restaurants, Bars, Clubs: Alles in Reichweite und nicht mehr 30 Kilometer entfernt. Ich habe das pure Leben am eigenen Leib gespürt und tagtäglich fühle ich einen inneren Drang, alles um mich herum wie ein Schwamm aufzusaugen. Mein zurückgelassenes Kuhkaff Babenhausen hingegen ist eine 17.000 Einwohner:innen-Stadt, etwa 35 Kilometer von Frankfurt entfernt. Im Sommer war ich mit meinen Freund:innen oft tagsüber am See und am Wochenende bestand das Highlight darin, sich im einzigen Rewe der Stadt ein paar Bierchen zu holen und sie im daneben gelegenen Park neben einer zu lauten JBL-Box zu trinken. Eine „unvergessliche Partynacht“ war die jährlich stattfindende „Kerb“ bei der ein Cola-Korn weniger gekostet hat als ein Wasser. Typisch Dorfleben halt.

In Berlin verbringe ich meine Sommertage vergleichsweise aufregender. Jeden Tag eine andere tolle Eisdiele ausprobieren, auf Open Airs tanzen, die besten Flohmärkte besuchen oder von einem Späti zum nächsten spazieren, all das sehe ich als eine große Bereicherung an. Zwar hat sich über die Jahre hinweg hin und wieder eine kleine Wehmut hin zum ruhigen Dorfleben entwickelt, aber diese ist spätestens dann wieder verflogen, wenn ich für ein paar Tage in der Heimat bin. Das Berliner Großstadtleben würde ich für nichts auf der Welt mehr eintauschen wollen.

Von Späti zu Späti, statt von Dorf zu Dorf. Der Umzug aus Hessen nach Berlin hat mich verändert. Foto: Imago/Seeliger

Nach sechs Jahren Berlin habe ich die positiven wie auch die negativen Seiten der Stadt am eigenen Leib wahrgenommen. Der Sommer in der Hauptstadt ist, um es mit einfachen Worten zu beschreiben, einfach wunderschön. Das Leben findet draußen statt und die unzähligen Parks, Seen und Veranstaltungen haben jeden Sommer unvergesslich für mich gemacht. Es gibt unzählige Dinge zu unternehmen und unzählig viele Menschen, die man kennenlernen kann. Das Hoch des Sommers wird jedoch durch einen gefühlsmäßig tiefen Sturz des Winters abgelöst. Dieser zieht sich jedes Jahr aufs neue wie Kaugummi und das Dauergrau lässt die Gemüter der Berliner:innen verblassen. An die Anonymität und die Größe der Stadt musste ich mich zunächst gewöhnen und die Müllberge, die meinen Weg zur Arbeit gekreuzt haben, waren mir sehr lang ein Dorn im Auge. Aber das sind nun einmal die Eigenschaften einer Großstadt. Nach sechs Jahren würde ich mich nicht als Berlinerin bezeichnen, aber ich würde Berlin definitiv als mein Zuhause betiteln.


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