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Winter in Berlin: Nie wieder deprimiert beim Rausgehen

Den Berlinerinnen und Berlinern können frostigen Temperaturen nichts mehr anhaben. Wegen Corona findet Geselligkeit häufiger denn je draußen statt, auch wenn es dort arktisch ist. Das führt zu mehr Kältetoleranz – und damit Lässigkeit und guter Laune auch in der dunklen Jahreszeit. Mit anderen Worten: Wir sind zu Mentalitäts-Grönländern geworden.

Eine Flasche Champagner im Schnee: Der Corona-Winter hat die Menschen in Berlin abgehärtet. Foto: Imago/Stefan Zeitz
Eine Flasche Champagner im Schnee: Der Corona-Winter hat die Menschen in Berlin abgehärtet. Foto: Imago/Stefan Zeitz

Winter in Berlin: Beim Rausgehen gegen Kälte resistent

Es muss irgendwann im vergangenen Winter gewesen sein, dass den Menschen in Berlin eine zweite Haut gewachsen ist. So robust ist diese Schutzschicht geraten, dass ihnen kalte Temperaturen seitdem nichts mehr ausmachen.

Auf Outdoor-Events an der arktischen Luft haben die Leute womöglich diese Resistenz aufgebaut. Während der Lustwandeleien durch eine Stadt, deren Wärmestuben verriegelt und vernagelt waren. Denn muckelige Räume waren bekanntlich im Winter 2020/21 und darauffolgenden Frühjahr in den Corona-Lockdown versetzt worden – Clubs, Bars und sonstige Orte der Zerstreuung.

Die Berlinerinnen und Berliner drängten stattdessen nach draußen. Eine menschliche Reaktion – die hiesige Spezies hatte sich den veränderten Bedingungen angepasst, so wie Probanden in Charles Darwins Evolutionstheorie.

Eine Rückblende: An Wochenendabenden wurden Glühwein-Süffeleien auf nasskalten Pflastersteinen zu erlebnisorientierten Cocktail-Partys. Der vereiste Landwehrkanal verwandelte sich zum Boulevard für Kind und Kegel – jedenfalls für die Dauer eines frostbringenden Tiefdruckgebiets. Und Eisbaden, zum Beispiel im Plötzensee, mauserte sich zum Breitensport. Auch sonst waren Draußen-Aktivitäten bei niedrigen Temperaturen der heiße Scheiß. Nicht nur unter Jogger:innen, sondern auch unter Yoga-Fans oder den Fightern von Boxclubs. Und was war eigentlich mit der Clubszene? Nicht auszuschließen, dass auch so mancher verschwiegener Rave in irgendeiner schattigen Ecke eines Walds am Stadtrand stattgefunden hat – trotz Bibber-Zahlen auf dem Thermometer.  

Rausgehen im Winter in Berlin: Im vergangenen Jahr haben Glühwein-Gatherings zu beachtlicher Kältetoleranz geführt. Foto: Imago/Snapshot/K M Krause
Rausgehen im Winter in Berlin: Im vergangenen Jahr haben Glühwein-Gatherings zu beachtlicher Kältetoleranz geführt. Foto: Imago/Snapshot/K M Krause

Die Leute haben somit eine überraschende Kältetoleranz entwickelt. Abgehärtet wie Inuits, die nackig in Gletscherseen springen. Aus zartbesaiteten Gemütern, sozialisiert in einer verwöhnten Heizpilz-Gesellschaft, sind gefühlt Grönländer:innen geworden. Ein Mentalitätswandel, der in Berlin bis heute zu spüren ist.

Man muss nur das Straßenbild rund ein Jahr später, in diesem Herbst, besichtigen. Da trinken noch spätabends die Bobos vor Neuköllner Bars auf den Außenterrassen Bier aus ihren Augustiner-Flaschen – und verströmen dabei die flirrende Atmosphäre einer madrinelischen Sommernacht. Dass die Temperaturen dabei schneidig sind wie bei einer alpinen Nachtwanderung: it doesn’t matter.

Tagsüber strömen ebenso Ladungen mit frostiger Luft in die Habitate der Berliner:innen. Denn in den Großraumbüros der Agenturen, Dienstleistungsfirmen und öffentlichen Betriebe stehen die Fenster massenweise auf Kipp. Manchmal sind sie sogar sperrangelweit aufgerissen. Dort zieht es jedenfalls wie Hechtsuppe, wie Oma zu sagen pflegt. Logisch: Dank der Zirkulation soll die Dichte möglicher virenbelasteter Aerosole gemindert werden. Eine neue Realität in der Arbeitswelt. So normal wie Kaffeemaschine und Mousepad. Wer eine Gänsehaut verspürt, zieht sich einfach einen Poncho über.

Rausgehen in Berlins Winter mit Happy-Go-Lucky-Feeling

Berlin ist ja normalerweise eine Stadt mit bipolarem Charakter. Im kalendarischen Sommer ist man hier himmelhochjauchzend, in der dunklen Jahreszeit schlingern die Leute am Rande einer klinischen Depression. Dieses janusköpfige Gesicht dürfte künftig weniger eine Rolle spielen. Weil die positiven Schwingungen des Sommers einfach in den Winter getragen werden. Happy-Go-Lucky-Feeling statt Doomsday-Atmosphäre.

Damit entsteht eine ganz neue Flexibilität. Die Menschen in Berlin können sich immer mehr von den Launen des Wetters unabhängig machen. Ob Sonnenschein oder sibirische Gefühle: Spiel, Spaß und Spannung bleiben davon unberührt.

Gut zu wissen – auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. Die Veränderungsprozesse in der Erdatmosphäre, ob in Jetstream oder Golfstrom, bringen ja bekanntlich meteorologisches Chaos. Dieses Unheil wird die Berlinerinnen und Berliner nun weniger schrecken. Damit erfüllen die Menschen in dieser Stadt, wo es auch Citizen Science, Nackt-WGs und das Atonal-Festival gibt, ihren Selbstanspruch. Nämlich gesellschaftliche Avantgarde zu sein.


Die kalte Jahreszeit erleben

Auch in der dunklen Jahreszeit muss man nicht in den eigenen vier Wänden schmoren. Um nicht trübsinnig zu werden, kann man allerhand unternehmen – ein paar Tipps gegen Herbstdepressionen findet ihr hier. Außerdem könnt ihr hier nachlesen, warum die Menschen in Berlin laut einer Erhebung unglücklicher als anderswo sind. Im Winter geöffnet: Die besten Eisbahnen zum Eislaufen in Berlin. Mehr Tipps für Wintersport in und um Berlin geben wir euch hier.

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