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Deutsche Spirituosen Manufaktur und Bouche: Berliner Trinkkultur von Spirituosen bis Kombucha

Der Standort, an dem die Deutsche Spirituosen Manufaktur einen kulinarischen Handwerksbetrieb eröffnet hat, wirkt unpassend: in einer ehemaligen Bremsenfabrik in Marzahn. Wir haben die Raumpionier:innen im Hinterland der Landsberger Allee besucht und – wo wir schon mal da waren – auch noch die kosmopolitische Jungtruppe von Bouche Berlin getroffen. Einer, oh ja, Kombucha-Brauerei. Ein Ausflug in die Ränder der Stadt, zur Deutschen Spirituosen Manufaktur und Bouche Berlin.

Was die Deutsche Spirituosenmanufaktur kann? Geiste, Brände, Liköre, Gin und Wodka im Premiumsegment! Foto: F. Anthea Schaap
Was die Deutsche Spirituosen Manufaktur kann? Geiste, Brände, Liköre, Gin und Wodka im Premiumsegment! Foto: F. Anthea Schaap

Die Deutsche Spirituosen Manufaktur und der Duft von zitroniger Dekadenz

Erstmal den Mann auf dem Gabelstapler fragen, wo man eigentlich ist. Im Industriegebiet an der Georg-Knorr-Straße gibt es nur eine Hausnummer, nämlich die Vier, dafür viel roten Backstein, viele Schranken, kryptische Hinweisschilder – und sehr wenige Gründe, überhaupt hier zu sein. Früher wurden im Werk nahe des S-Bahnhofs Marzahn die berühmten Knorr-Bremsen hergestellt, heute sind auf dem Gelände Logistik- und Karosserie-Firmen untergebracht. Wenn einen der Gabelstaplermann aber zum Haus 10 schickt, einem denkmalgeschützten Teil der Anlage, und Tim Müller die Tür des Flachbaus öffnet, glänzt und duftet plötzlich alles: nach Zitrusfrüchten und Dekadenz.

Mit seinem Team betreibt Müller, passend zur Einrichtung gekleidet in Schwarz, eines der spannendsten Labore der Stadt. In seiner Deutschen Spirituosen Manufaktur stellt er Geiste, Brände, Liköre, Gin und Vodka her. Als während des Lockdowns die Umsätze einbrachen, sattelte er auf Hand-Desinfektionsmittel um, hergestellt nach WHO-Rezeptur, veredelt mit Rosmarin-, Mandarinen- oder Lavendelduft. Müller und sein Team sind nicht nur Brenner, sondern auch Erfinder, nicht zuletzt Pioniere im Marzahner Industrie-Outback.

Zitrusfrüchte und Dekadenz: Der Gründer der Deutschen Spirituosen Manufaktur, Tim Müller, positionierte seine Brände von Beginn an selbstbewusst im Premiumsegment. Foto: F. Anthea Schaap

Die Idee von der Deutschen Spirituosen Manufaktur entstand, als der Fotograf und Betriebswirt Müller 2013 gemeinsam mit dem ausgebildeten Apotheker Konrad Horn einen Weinkurs in Südafrika besuchte. Neben den Gründern gehört mit Marvin Plattner heute ein ausgewiesener Barmann zum Betrieb, der den Kunden – von Ritz Carlton bis Schloss Bellevue – nahelegt, wie die Spirituosen am besten zu verwenden seien.

Dorina Lücke kümmert sich um den Rohstoffeinkauf: Die Deutsche Spirituosen Manufaktur, erklärt Müller, arbeite überwiegend mit Bio- und Demeter-Bauern zusammen, etwa mit kleinen Familienbetrieben auf Sizilien oder Mallorca. Norbert Madroß, der Destillateur, sitzt währenddessen draußen vor der Tür und befreit rund 5.000 Birnen von ihren Stilen. Die kommen nämlich nicht in die Maische, weil sie das Fruchtaroma verfälschen würden. Auf dem Boden trocknen duftende Kerne: Wo Madroß heute Birnen zermatscht, wurde gestern noch Yuzu verarbeitet, eine japanische Zitrusfrucht. Preis: 80 Euro pro Kilo. Müller will alles: Bodenständigkeit und Exklusivität, passend zur Hauptstadt. Bei der Konkurrenz kein Wunder. Gerade Berliner Gins bestechen durch einen guten Geschmack, wie unser Test zeigt. Die Deutsche Spirituosen Manufaktur punktet allerdings auch mit Vielfalt.

Ein Haufen frisches Herbstlaub

Auf einem flachen Regal steht aufgereiht die „analoge Rezepturen-Datenbank“, wie Müller sagt: Eine Sammlung kleiner Apothekerflaschen, abgefüllt mit Experimenten – manche erfolgreich, andere weniger. Es ist das Resultat aus knapp 1.200 Versuchsreihen. Auf der Website der Manufaktur betont Müller, dass hinter seiner Destillerie keine uralte Gründungsgeschichte stecke. „Wenn man sich etwa die Unternehmensgeschichten anderer Gin-Hersteller anschaut, denkt man: 80 Prozent haben das Rezept auf dem Dachboden gefunden oder von ihrem Großvater bekommen”, sagt Müller.

„Wir verwenden bewusst keine aufgekauften Rezepte, sondern entwickeln alles selbst.” Trial and error statt einer ohnehin so oft nur behaupteten generationenüberspannenden Tradition. Die Deutsche Spirituosen Manufaktur, das ist, entgegen ihres Namens, ein bisschen Rebellion gegen den Fetisch, alte Überlieferungen reflexhaft mit Qualität gleichzusetzen.

Bei der Deutschen Spirituosen Manufaktur ist der Name, zumindest ein wenig, Programm: Hinter der Bremsenfabrik werden schon mal tagelang Birnenstile gezupft und Yuzu getrocknet. Foto: F. Anthea Schaap

Konrad Horn und Tim Müller seien nach ihrem gemeinsamen Kurs in Südafrika vom Wein auf Brandy gekommen, vom Brandy dann auf die klassischen deutschen Geiste. Gerade das verstaubte Image von Williamsbirne oder Himbeergeist habe Müller gereizt: Was, wenn man den Omi-Klassiker plötzlich in ganz neuer Anmutung widerschmeckt, elegant und irgendwie sexy?

Neben Nummer-sicher-Sorten wie Blutorange, Kakao oder Haselnuss führt die Manufaktur auch ungewöhnliche Aromen: Steinpilz zum Beispiel, mit dem man verdammt gut Martini bestäuben kann, Bärlauch, Meerrettich oder Spargel. Der Herbstlaub-Geist, für den das Manufaktur-Team tatsächlich verfärbte Blätter (nicht aus Berlin, der Feinstaub) in die Destille geworfen hat, schmeckt erdig, fruchtig, grasig – und riecht wirklich, als hätte man einen Haufen frisches Laub aufgewirbelt.

Die Geiste schmecken, wie die Halle riecht: durchdringend und weich, nie aggressiv. Das ist auch ein Verdienst von Dorina Lücke. „Dorina trinkt gar keinen Alkohol und reagiert extrem sensibel auf den Geschmack, nimmt aber an jeder Verkostungsrunde teil“, sagt Müller. „Sie ist unser Brandmarker. Wenn sie aufschreit, wird das Produkt so lange getuned, bis der Geschmack weich wird.“ Während andere Brenner den Alkohol in zwei Stunden durch die Destille peitschen, lassen sie sich sieben bis acht Stunden Zeit. Das macht die Spirituosen anschmiegsam.

In der Ruhe liegt die Kraft – und ein durchdringend weicher Geschmack. Foto: Deutsche Spirituosen Manufaktur

Neben ihrer gläsernen Manufaktur haben Müller und sein Team auch eine Verkaufsfiliale in der Torstraße, die für Laufkundschaft besser zu erreichen ist als der Marzahner Industriepark. Dessen Randlage habe aber auch Vorteile: „Wer hierher kommt, will wirklich zu uns”, sagt Müller.

Lange wird es nicht mehr ruhig sein. Hier, auf dem Gelände westlich des S-Bahnhofs Marzahn, soll ein gigantischer Sozialbau-Kiez entstehen, nach einem Entwurf des Star-Architekten David Chipperfield. Rund 1.000 Wohnungen sind geplant, 370 Studierenden-Apartments und etwa 90.000 Quadratmeter Gewerbefläche. Dazu soll hier bald der höchste Wolkenkratzer Berlins 146 Meter in die Höhe ragen. Die ersten Wohnungen könnten schon zwischen 2022 bis 2024 gebaut werden, in sieben Jahren soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge das Viertel übernehmen. Aus der Industriewüste erwächst ein Projekt, auf das bald die ganze Stadt schauen wird. Welche Großwohnsiedlungen es in Marzahn noch gibt, erfahrt ihr hier.

  • Deutsche Spirituosen Manufaktur Georg-Knorr-Straße 4/Haus 10, Marzahn, Mo-Fr 10-16 Uhr, Tel. 030/98 58 72 32, weitere Infos findet ihr hier

Kombucha von den fabelhaften Bouche-Boys

Bis es so weit ist, guckt man noch auf eine menschenleere Straße, wenn man Tim Müllers Deutsche Spirituosen Manufaktur verlässt, einmal ums Haus läuft und an der nächsten Tür klopft. Walker Brengel öffnet diese Tür zur Brauerei von Bouche Berlin, die eher aussieht wie ein Studio: An den Wänden der Halle, die Brengel, Yannic Poepperling und Felix Rank vor wenigen Monaten bezogen haben, hängen Gemälde und Fotografien.

Vom Werkraum, der von einem orangegelben Plastikvorhang verhängt wird, über den Instagram-Account der „Bouche Boys“ bis zu ihrem eigenen Dandy-Look ist alles durchgestylt. Schließlich wollen die drei ein Produkt populär machen, das in Deutschland ein Imageproblem hat: Kombucha, ein Gärgetränk, das entsteht, wenn Tee mit einem Hefepilz fermentiert wird – und bei falscher Zubereitung absolut grässlich schmeckt. „Aus Marketing-Gründen sollte man eigentlich sagen: Wir sind eine Brauerei und machen vergorenen Tee“, sagt Walker Brengel.

Die Bouche-Boys: Felix Rank, Yannic Poepperling, Walker Brengel (links, v.l.n.r). Foto: F. Anthea Schaap

Er, Poepperling und Rank haben nie studierte, wie man Glucuron- von Gluconsäure unterscheidet. Sie sind Bildende Künstler, die Arbeiten an den Wänden stammen teils von ihnen selbst. Kennengelernt haben sie sich in einer Ateliergemeinschaft in Pankow. Dort baute Brengel, der aus Milwaukee stammt, eine Ecke seines Ateliers zum Kombucha-Labor um – weil er das Getränk seit seinem Umzug nach Berlin vermisst. „In den Staaten ist Kombucha seit Jahren ein Trend“, sagt er. „In Deutschland hatte ich es fast vergessen.“ Zugegebenermaßen gibt es in Berlin bereits einige Kombucha-Brauereien, deren Produkte wir bereits probierten.

Der Kombucha-Grundstock, der aus Teepilz, verschiedenen Hefen und Essigbakterien besteht, lagert in einem Container vor dem Produktionsraum der drei. Drinnen befinden sich große Bottiche aus Edelstahl, in denen Schwarzer und Grüner Tee mit Zucker und der Starter-Flüssigkeit angesetzt werden. Die Hefekulturen fressen den Zucker auf und produzieren dabei Ethanol und Kohlenstoffdioxid, wobei verschiedene Säuren entstehen. Je nachdem, wie die Bakterien zusammenwirken, ist geschmacklich zwischen Cidre über Bier bis hin zu Kwass oder säuerlichem Eistee alles drin.

Ein Loft? Eine Agentur? Ein Künstleratelier? Die Jungs von Bouche Berlin haben für ihre Kombucha-Limonade ein durchaus ganzheitliches ästhetisches Konzept. Ein kleiner Kontrast zur eher eleganten Deutschen Spirituosen Manufaktur. Foto F. Anthea Schaap

In den Internetforen, in denen sie sich die Kombucha-Autodidakten zu Beginn informierten, konnte ihnen schnell keiner mehr was beibringen. Brengel erzählt, er stelle sich seit Jahren seine eigenen Ölfarben zum Malen her und wollte sich das Kombucha-Handwerk genauso erarbeiten wie das Farbenmischen: keine Tabellen, keine Notizen, viel Freestyle-Gematsche.

Bevor das Klemmbrett zum Einsatz kommt, müsse sich ein Grundgefühl für Mischungsverhältnisse und Konsistenzen einstellen. „Ich bin am Anfang verzweifelt, weil ich dachte, cool, die Rezeptur schmeckt jetzt geil – aber wie haben wir das gemacht?“, sagt Felix Rank. Nach zweieinhalb Jahren war das perfekte Kombucha-Grundrezept gefunden. Im Vordergrund steht nicht Essig-, sondern Milchsäure, sodass die Kombucha wie eine Art widerspenstige, aber trotzdem weiche Kreuzung aus Molke und Pale Ale schmeckt.

Der Wandel und das coole Wissen

„Als Künstler fragen wir uns immer, was man anders machen kann”, sagt Brengel. Deshalb kommen neben Tee, Pilz und Zucker auch noch Zutaten wie Melone und Szechuan-Pfeffer in den Tank. Auf dem Boden der Kühlzelle liegt ein großer Bund frischer Hopfen, den Rank am vergangenen Wochenende für die Zubereitung gesammelt hat.

Neben ihren beiden Sorten mit Zitrone und Melone bringen Brengel, Poepperling und Rank auch immer wieder limitierte „Artist Editions“ heraus, die mit Zutaten wie Tannenzapfen geschmacklich fordernder als die Standards sind. „Bei normalen Limos schmeckt man die Zitrone, und dann war’s das“, sagt Poepperling. „Uns geht es um eine aromatische Reise mit Anfang, Ende und Abgang.“

Brauerei- trifft auf Kunsthandwerk und gibt Kombucha ein cooles neues Image. Foto: F. Anthea Schaap

Dazu lassen sie die Etiketten der Sondereditionen mit Kunst von Freunden bedrucken. Auf einer gerade ausverkauften Edition ist ein kleiner Druck der Künstlerin Sonja Jakovleva zu sehen, der eine masturbierende Frau zeigt. Es ist ihr Weg, um Brauerei- und Kunsthandwerk zu verbinden – und Kombucha seinen muffigen, spleenigen Ruf zu nehmen. Das funktioniert tatsächlich. Am Anfang zogen sie noch mit ihrem Kombucha von Café zu Bar, um die Betreiber zu überzeugen, heute führen Lokale wie Remi, Standard Pizza und einige Naturweinbars den Bouche-Kombucha. Manche sogar vom Fass.

Brengel, Poepperling und Rank sind Teil einer kleinen, aber gut vernetzten Kombucha-Bewegung in Berlin. Vorm Wandel im Industriegebiet an der Georg-Knorr-Straße haben sie keine Angst, sagen sie. Wie auch Tim Müller und seine Deutsche Spirituosen Manufaktur sitzen sie fest im Sattel: Der Vermieter möge sie, abreißen darf das denkmalgeschützte Gebäude auch keiner. Wie die Manufaktur-Pioniere in die neue Welt passen werden, die dort bald aus dem Boden schießen wird, weiß niemand. Für den Moment ist Ruhe in Marzahn. Und der Destillateur Norbert Madroß noch immer mit sehr vielen Birnen beschäftigt.

  • Bouche Kombucha Special Futures GmbH Georg-Knorr-Straße 4/Haus 10, Marzahn, Mo-Fr 10-18 Uhr, Tel. 030/93 66 59 52, weitere Infos findet ihr hier

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