Andreas Kleinert hat das Leben von Thomas Brasch verfilmt: „Lieber Thomas“ heißt das Biopic. Manche Filminteressierte werden sich noch an drei Filme von Thomas Brasch erinnern, die Mitte der 1980er-Jahre herauskamen: „Engel aus Eisen“, „Domino“ und „Der Passagier – Welcome to Germany“. Aber er war nicht nur Filmemacher, sondern auch Schriftsteller, Lyriker und Verfasser von Theaterstücken und hoch gelobten Übersetzungen.
Brasch war auch ein Dissident, einer von jenen, die 1976 gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR protestierten und der wenig später selber die DDR verließ, weil er dort keine Publikationsmöglichkeiten für seine Arbeiten mehr sah. Die meisten seiner Stücke wurden unmittelbar nach der Premiere verboten. Mit der Textsammlung „Vor den Vätern sterben die Söhne“ gelang Brasch der Durchbruch, zahlreiche Theaterstücke und Gedichte folgten bis zu seinem frühen Tod 2001, mit 56 Jahren. Andreas Kleinert hat nun einen biografischen Film über ihn gemacht: „Lieber Thomas“. tipBerlin-Autor Frank Arnold sprach mit dem Regisseur.
Ein Vergessener ist er nicht, das belegen zwei abendfüllende Dokumentarfilme, „Brasch: Das Wünschen und das Fürchten“ von Christoph Rüter (2011) und „Familie Brasch“ von Annekatrin Hendel (2018). Und das belegt dieser Spielfilm von Andreas Kleinert, der selber in der DDR aufgewachsen ist. Es sind Schlaglichter auf ein Leben, geprägt von Rebellion, vom Protest gegen den Einmarsch in der DDR 1968 über die Ausbürgerung Wolf Biermanns acht Jahre später, bis hin zum Versuch, sich nicht vom kapitalistischen Kulturbetrieb vereinnahmen zu lassen, ein rastloses Anrennen gegen die Verhältnisse, die sich in der eigenen Familiengeschichte widerspiegeln.
Der Vater Horst ist ein jüdischer, antifaschistischer Emigrant, der in der DDR bis zum stellvertretenden Kultusminister aufsteigt, seinen Sohn auf die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee schickt – und ihn vielleicht später denunziert hat. Thomas’ jüngerer Bruder, der Schauspieler Klaus, stirbt mit 30 Jahren, der jüngste Bruder, der Autor Peter, mit 46, vier Monate vor Thomas Brasch.
Den von Thomas Wendrich („Je suis Karl“) geschriebenen Film hat Andreas Kleinert in Schwarzweiß gedreht (wie auch Brasch seine eigenen Filme „Engel aus Eisen“ und „Domino“), der Stillstand in der DDR kontrastiert mit den höchst verknappten Schlusspassagen im Westen, in denen das Selbstzerstörerische stärker wird. Trotzdem bleibt der Filme immer auf Seiten Braschs. Frank Arnold
Keine Spur von Thomas Brasch an der Hochschule in Babelsberg
tipBerlin Herr Kleinert, Sie begannen Ihr Studium an der Filmhochschule in Babelsberg 1984, 16 Jahre, nachdem Thomas Brasch dort rausgeschmissen wurde. Waren damals alle Spuren seiner Anwesenheit getilgt?
Andreas Kleinert Mehr oder weniger. Das hat sich mittlerweile geändert. Sein Name ist dort groß als Banner mit Leuchtschrift zu sehen und er wird jetzt einen eigenen Raum bekommen. Sein Freund, der Bildhauer Alexander Polzin, der auch seinen Grabstein erschaffen hat, stellt dort eine Maskeninstallation nach einem Gedicht von Thomas Brasch aus. Damals war Brasch in der DDR mit seinem Werk so gut wie nicht existent, es gab nur den dünnen Gedichtband in der Reihe ‚Poesiealbum’ – für mich die erste Begegnung mit ihm. Ich habe mir dann später von meiner Großmutter (die das unter ihrem Pelzmantel an den Gürtel gebunden hatte) sein Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne“ aus dem Westen mitbringen lassen und konnte auch schon seinen Film „Engel aus Eisen“ sehen.
tipBerlin Sie wären ihm nach der Wende beinahe persönlich begegnet…
Andreas Kleinert Mein erster Film im Westen wurde von der Vietinghoff-Filmproduktion produziert, die zuvor gerade Braschs „Der Passagier“ mit Tony Curtis gedreht hatten. Da habe ich seinen Geist doppelt gespürt, Joachim von Vietinghoff, ein klassischer, exzellenter Produzent, der Menschen zusammenbringt, hat mir viel über Thomas Brasch erzählt, ich spürte, was für ein besonderer Mensch dahinter steckt. Persönlich habe ich ihn allerdings nie kennengelernt, ich bin ja nicht so ein Szenemensch, der die Gemeinschaft von Künstlerkreisen sucht.
tipBerlin Als Sie vor zehn Jahren angefragt wurden, ob sie diesen Film machen wollten, gab es bereits ein Drehbuch.
Andreas Kleinert Die Produktionsfirma Zeitsprung und Christian Granderath vom NDR kamen auf mich zu, aber mir war schnell klar, dass ich es mit jemandem machen wollte, der aus meiner Welt und meinem Geiste kommt. Mit Thomas Wendrich als Drehbuchautor hatte ich schon „Freischwimmer“ erschaffen und lange davor war er in „Wege in die Nacht“ als Darsteller dabei. Bei einem so langen Projekt ist es aufreibend, wenn man ständig Kämpfe hat, das ist mit ihm überhaupt nicht der Fall, wir sind da eher wie ein Doppel beim Tennismatch.
„Albrecht Schuch taucht total in die Rolle ab“: Andreas Kleinert über die Arbeit an „Lieber Thomas“
tipBerlin Für Ihren Hauptdarsteller Albrecht Schuch war der Film auch eine physische Herausforderung.
Andreas Kleinert Albrecht ist ein Phänomen, er taucht total in der Rolle ab, er war ja jeden Tag vor der Kamera, hat trotz der Wahnsinns-Anstrengung nie gemurrt und kam immer mit tollen Ideen, immer unheimlich gut vorbereitet, nicht im Sinn von „Herr Lehrer, ich weiß was“, sondern im Sinne von „Ich bin das“, das galt auch für Jella Haase – beide (übrigens von Anfang an besetzt) sind sofort da in ihrer Präsenz.
tipBerlin Gibt es nach den vielen Jahren für Sie noch offene Stellen in Braschs Biografie?
Andreas Kleinert Die berühmteste Legende ist die Frage, ob der Vater ihn verraten hat. Florian Havemann hat uns auf eine Idee gebracht, die uns am angemessensten erschien. Wir gehen davon aus, dass er bewusst in die Wohnung seines Vaters gegangen ist, weil er dort verhaftet werden wollte, um seinem Vater damit zu zeigen: ja, so sind sie, Deine lieben Genossen. Mit den Legenden spielen wir auch – was ist schon wahr? Wir haben sein Wunschdenken manchmal auch real werden lassen, etwa bei der Konfrontation mit der Berliner Polizei, wo er dann wirklich zur Waffe greift und schießt. Man kommt im Leben oft nicht da an, wo man sich das als Jugendlicher vorgestellt hat, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Das bin ich auch – klar, ich will auch schon seit Ewigkeiten „Kokain“ von Pitigrilli verfilmen, aber schaffe ich das? Der Kompromiss aus Anpassen und Widerstehen beschäftigt uns letztendlich jeden Tag.
tipBerlin Wenn man den Film gesehen hat, kann man ihn sich in Farbe gar nicht vorstellen.
Andreas Kleinert Schwarzweiß ist heutzutage noch immer ein Kampf. Wir haben es gemacht mit einem wahnsinnig tollen Fotobuch der Szenenbildnerin, wo wir zeigen konnten, dass es von Brasch fast nur Schwarzweißfotos gibt und er deshalb auch in unserer Erinnerung schwarzweiß ist. Ich selber drehe sowieso gerne in Schwarzweiß. Farbe führt vieles in die Realität zurück, von der ich weg wollte. Schwarzweiß ist wie eine Übermalung. Ich habe den Film nie in Farbe gesehen, auch bei der Nouvelle Vague erinnern wir uns immer in Schwarzweiß. Wir wollten keine historische Detailverliebtheit, sondern es ging uns um eine Überhöhung.
Aus Lyrik Songs gemacht: Masha Qrellas Album „Woanders“ verarbeitet Thomas Braschs Gedichte. Was neben „Lieber Thomas“ noch im Kino startet, findet ihr hier. Immer neue Texte zu Streams und Kino lest ihr hier.