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„The Zone of Interest“ mit Sandra Hüller: Paradies Auschwitz

Jonathan Glazer ist ein großer Einzelgänger des US-amerikanischen Kinos, jetzt hat er einen ungeheuerlichen Film über die Shoah gemacht. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl findet, mit „The Zone of Interest“ trifft Glazer erzählerisch und ästhetisch perfekt die Banalität des Bösen. Und die großartige Sandra Hüller, für „Anatomie eines Falls“ bei den Oscars nominiert, ist hier noch viel besser.

Sandra Hüller spielt in „The Zone of Interest“ die kaltblütige Ehefrau des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höss. Foto: Leonine Studios

„The Zone of Interest“ zeigt das Paradies neben der Hölle Auschwitz

Bei der Familie Höss gab es damals in Auschwitz eine klare Verteilung der Aufgaben: Vater Rudolf war für die Hölle zuständig und Mutter Hedwig für das Paradies. Die Hölle, das waren die Selektionsrampe, die Gaskammern, die Verbrennungsöfen. Das Paradies, das war der Garten neben dem Haus, in dem die Familie Höss lebte. Das Paradies, das waren die Wiesen, Wälder und Auen, in denen man schnell war, wenn man sich frei bewegen durfte. Für diese Deutschen war Auschwitz ein Picknick.

Jonathan Glazer erzählt in seinem Film „The Zone of Interest“ davon, wie Menschen es schaffen können, sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Hölle so zu verhalten, als wäre alles ganz normal. Ja, mehr noch, als könnte man sich in aller Ruhe und am besten für das ganze restliche Leben hier etwas aufbauen, das einem jeden Tag Genugtuung verschafft, wenn man den Pflanzen beim Wachsen zuschauen kann. Ab und zu bringt jemand von drüben, von hinter der Mauer, einen schönen Pelzmantel. Das macht auch gute Laune.

Das Wohnhaus der Familie Höss ist nur durch eine Gartenmauer vom Vernichtungslager getrennt. Foto: Leonine Studios

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Es gibt viele Filme über die Shoah, aber nur wenige treffen wirklich etwas von der Ungeheuerlichkeit dieses Verbrechens. „The Zone of Interest“ ist einer dieser wenigen Filme. Ein Werk von einem der großen Einzelgänger des amerikanischen Kinos. Jonathan Glazer geht gern von literarischen Texten aus. „Under the Skin“ war 2013 ein visionärer Science-Fiction-Film nach einem Roman von Michel Faber. „The Zone of Interest“ beruht auf einem Roman von Martin Amis gleichen Namens, dem Glazer aber alles Frivole austreibt – wie so oft in der Filmgeschichte wird aus einem schlechten Buch großes Kino.

Die Verwandlung beginnt schon mit der Sprache: Amis schrieb ein zotiges, latent perverses Englisch. Glazer aber lässt Deutsch sprechen, und trifft perfekt eine Banalität des Bösen, die er dann durch seine Ästhetik noch verstärkt: „The Zone of Interest“ ist so konzipiert, als stamme das Filmmaterial aus Überwachungskameras. Hier macht sich kein „realistischer“ Ehrgeiz deutlich, wie bei Steven Spielberg in „Schindlers Liste“. Glazers Ehrgeiz geht völlig in seiner Konzeption auf. Seine Haltung wird vor allem in einer brillanten Idee deutlich, in der er eine nächtliche Widerstandshandlung wie eine Negativkopie eines deutschen Märchens gegen das Morden stellt, das im Hintergrund die ganze Zeit unsichtbar weitergeht. Hörbar ist der Horror auf eine andere Weise jederzeit – die Tonspur von „The Zone of Interest“ ist ein eigenes Kunstwerk im Kunstwerk.

Das gilt auch für die Darstellungskunst von Sandra Hüller, die in der Rolle der Hedwig Höss ein Ereignis ist. So schonungslos hätten wohl wenige Stars die absolute Gewissenlosigkeit dieser Figur gespielt, ein Monster des Herrenmenschentums, eine Mischung aus Biederkeit und Dummheit. Bei den Oscars ist Sandra Hüller für „Anatomie eines Falls“ nominiert, in „The Zone of Interest“ ist sie noch viel besser. Christian Friedel (bekannt aus „Das weiße Band“) geht als Rudolf Höss in eine andere Richtung, hier lässt Glazer auch mit einer kühnen Drehbuchidee gegen Schluss beinahe so etwas wie Andeutungen von Moral zu. Die Shoah, so sagt man oft zu Recht, war etwas Singuläres. Und nur radikal einzigartige Werke können ihr gerecht werden. „The Zone of Interest“ fällt in diese Kategorie.

  • The Zone of Interest USA 2023; 105 Min.; R: Jonathan Glazer; D: Christian Friedel, Sandra Hüller, Zuzanna Kobiela; Kinostart: 29.2.

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