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Filmstarts der Woche: Von Spielbergs „West Side Story“ bis „Passion Simple“ nach Annie Ernaux

Steven Spielberg hat eines der berühmtesten Musicals neu inszeniert: Seine „West Side Story“ ist der größte und wichtigste Start in dieser Woche; dazu empfehlen wir den französischen Film „Passion Simple“ von Danielle Arbid (nach einem Buch von Annie Ernaux), den marokkanischen „Adam“ und den Dokumentarfilm „Sing Me a Song“. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.


West Side Story

„West Side Story“ von Steven Spielberg. Bild: 20th Century Fox

MUSICAL Vielleicht nicht ganz auf dem Level von „Citizen Kane“, „Vertigo“ oder „Der Pate“, aber nicht allzu weit dahinter reiht sich „West Side Story“ in die Riege der berühmtesten US-amerikanischen Filme ein. Die 1961 entstandene Verfilmung des Broadway-Hits mit Musik von Leonard Bernstein und Texten von Stephen Sondheim wurde mit zehn Oscars ausgezeichnet, war Inspiration für unzählige Künstler von Michael Jackson („Beat It“) bis Martin Scorsese („Gangs of New York“) und bestach mit Songs wie „Tonight“, „America“ und „Somewhere“, die längst Standards geworden sind.

Warum dreht nun, 60 Jahre später, Steven Spielberg, der erfolgreichste Regisseur der Filmgeschichte, ein Remake? Und dann noch keine moderne Fassung der Geschichte, sondern über weite Strecken genau der Vorlage folgend, die wiederum Shakespeares „Romeo und Julia“ in das New York der späten 50er-Jahre verlegt? Die Stadt verändert sich, Slums sollen abgerissen werden, was ganz nebenbei auch ungeliebte Elemente aus der Innenstadt vertreiben soll: Auf der einen Seite die Sharks, Einwanderer aus Puerto Rico, auf der anderen Seite die Jets, zwar weiße Amerikaner, die allerdings auch erst seit einer Generation geborene Amerikaner sind und meist von Polen abstammen. Einer von ihnen ist Tony (Ansel Elgort), der sich in die Puerto-Ricanerin Maria (Rachel Zegler) verliebt – und ihre Liebe damit in die Schusslinie der Gangrivalität stellt. Ein Rumble, eine Massenschlägerei, soll nun ein für alle mal klären, wer die Hoheit über die Straßen besitzt.

Für die Gegenwart neu gedeutet: „West Side Story“ von Steven Spielberg

Eine ebenso klassische wie bekannte Geschichte, und noch einmal die Frage: Warum muss sie neu verfilmt werden? Ein banaler Grund liegt darin, dass Spielberg seit Jahrzehnten ein Musical drehen wollte, dass er seine legendären filmischen Fähigkeiten an einem der klassischen Hollywood-Genres ausprobieren wollte. Und – man muss das kaum betonen – stilistisch ist Spielbergs „West Side Story“ atemberaubend: brillant gefilmt, fantastisch ausgestattet, mitreißend choreografiert. Gut zwei Drittel des Films ist das schon sehr stark, aber doch nur eine Variation von Bekanntem. Doch im letzten Drittel hat Drehbuchautor Tony Kushner einige Änderungen eingefügt, die andeuten, was Spielberg an diesem Stoff interessierte.

Wie kaum ein anderer US-amerikanischer Regisseur hat sich Spielberg nach den Anschlägen vom 11. September als Pazifist erwiesen. Schon in „Munich“ zeigte er, wie der Wunsch nach Rache – in diesem Fall des Staates Israel als Reaktion auf die Anschläge während der Olympiade 1972 – ins Leere läuft und nur mehr Hass erzeugt. In „War of the Worlds“ entschied sich ein scheinbar typischer US-Held – passenderweise gespielt von Tom Cruise –, nicht in den direkten Kampf mit den Aliens zu ziehen, und rettete so sich und seine Tochter. Und auch ein unmittelbar politisches Werk wie „Bridge of Spies – Der Unterhändler“ stellt das amerikanische Selbstverständnis in Frage, dass sich jedes Problem mit Aggression und Waffengewalt lösen lässt.

In diesem Sinne lässt sich die vor 60 Jahren spielende Geschichte von „West Side Story“ unmittelbar auf die amerikanische Gegenwart anwenden, in der sich in vielen Bereichen scheinbar unversöhnliche Fraktionen gegenüberstehen, die sich immer wieder bis aufs Blut bekämpfen. Miteinander zu reden, sich zuzuhören, die andere Seite zu verstehen versuchen, das fällt – nicht nur in den USA – allen Seiten immer schwerer, Rechten wie Linken, Schwarzen wie Weißen. Wie diese zerrissene Nation wieder zusammenfinden kann, ist eine der großen Fragen der Gegenwart. Durch Hass und Gewalt jedenfalls nicht, das mag man am Ende von Spielbergs großem Spätwerk „West Side Story“ mitnehmen. Michael Meyns

USA 2021; 156 Min.; R: Steven Spielberg; D: Ansel Elgort, Rachel Zegler, Rita Moreno; Kinostart: 9.12.


Passion Simple

„Passion Simple“ von Danielle Arbid. Bild: Wild Bunch/Central

DRAMA „Auch Feministinnen unterwerfen sich“, sagt Hélène, eine Professorin für Literatur, zu ihrer Freundin. Sie sprechen über einen Mann, nach dem sie sich intensiv sehnt. Genau genommen besteht ihr Leben nur noch aus Warten auf einen seiner Anrufe. Alexandre taucht auf, wann immer es ihm passt, einmal ruft er sogar während ihrer Vorlesung an, sie hat das Telefon nicht ausgeschaltet. Der Film „Passion simple“ erzählt von einer „einfachen Leidenschaft“. Grundlage ist ein Buch von Annie Ernaux, das im Deutschen mit „Eine vollkommene Leidenschaft“ übersetzt wurde. Hélène lebt als alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn in einem schönen Haus. Die Geschichte mit Alexandre bringt es auch mit sich, dass sie als Mutter in Schwierigkeiten gerät. Bei den Begegnungen geht es fast nur um Sex, oder eben: um Leidenschaft. „Passion simple“ schafft es, uns zugleich in diese Nähe hineinzunehmen, wie sie auch distanziert und schon aus einer Rückschau gleichsam zu analysieren. Tolle Hauptdarsteller und eine sensible Regie finden bei diesem Protokoll einer Unterwerfung den richtigen Ton. Bert Rebhandl

F 2020; 96 Min.; R: Danielle Arbid; D: Laetitia Dosch, Sergei Polunin, Caroline Ducey; Kinostart: 9.12.


Adam

„Adam“ von Maryam Touzani. Bild: Grandfilm

DRAMA Eine hochschwangere Frau, sie heißt Samia, streift durch die Stadt Casablanca, klopft an Türen und Fenster, um nach Arbeit und Unterkunft zu fragen. Höchst widerwillig lässt eine Frau, ihr Name ist Abla, sie doch für eine Nacht bleiben und das nur, weil ihre Tochter so viel Mitleid hat. Aus der einen Nacht werden mehrere, da Samia mit ihren Kochkünsten in der Bäckerei von Abla hilfreich ist. Abla ist unterkühlt im Verhältnis zu ihrer überschwänglichen Tochter, aber auch zu ihrem Nachbarn, der sie verehrt. Beide Frauen sind nach schlechten Erfahrungen dem Leben gegenüber misstrauisch und öffnen sich erst langsam füreinander. Viel Aufmerksamkeit wird der Zubereitung von süßen Spezialitäten gewidmet: das Backen als Kunst, die direkt an das jüngste Mädchen weitergegeben wird. Aber auch Musik ist eine Brücke von Samia zu Abla.

Marokkanischer Kandidat für den Oscar: „Adam“ von Maryam Touzani

Die Regisseurin Maryam Touzani setzt mit ihrem Spielfilmdebüt auf eine ausschließlich weibliche Perspektive und auf Themen, die Männer wahrscheinlich eher als nebensächlich erachten würden. Schwangerschaft, Haushalt, Kinder und Kochen werden ernst genommen, und auch intime Momente wie Waschrituale und das Auftragen von Make-up werden gezeigt, ganz ohne Erotisierung.

Nachdem „Adam“ 2019 in der Sektion „Un certain regard“ in Cannes lief und als offizielle marokkanische Auswahl für die Oscars nominiert war, wurde Touzani kürzlich auch in die amerikanische Film-Academy aufgenommen. Diese Welt ist ihr nicht unbekannt, ist sie doch mit dem gegenwärtig bekanntesten marokkanischen Regisseur Nabil Ayouch verheiratet (sein Film „Much Loved“ wurde im Land verboten, da er Prostitution offen zeigt).

Maryam Touzani spielte 2017 sogar selbst die Hauptrolle in einem von Ayouchs Filmen und hat sich von der Muse zur Macherin weiterentwickelt, mittlerweile schreiben die beiden gemeinsam Drehbücher. Meist geht es um Tabuthemen der marokkanischen Gesellschaft, in ,,Adam” sind dies uneheliche Schwangerschaften und alleinlebende Frauen. Eins ist sicher: Von diesem Regisseur-Ehepaar wird in der Zukunft noch viel zu erwarten sein.

,,Adam” ist ein leiser und ruhiger Film, aber ein bemerkenswertes Porträt von weiblicher Entschlossenheit und ein Einblick in eine für Europäer verborgene Welt hinter den Türen. Nora Bendriss

MA/F/B 2019; 98 Min.; R: Maryam Touzani; D: Lubna Azabal, Nisrin Erradi, Douae Belkhaoudant; Kinostart: 9.12.


Lauras Stern

„Lauras Stern“ von Joya Thome. Bild: Warner

KINDERFILM Mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder Tommy ist Laura gerade vom Land in die Großstadt gezogen, sie vermisst den Apfelbaum im Garten und will sich gar nicht erst an das neue Zuhause gewöhnen. Doch als sie eines Nachts einen Stern vom Himmel fallen sieht und entdeckt, dass bei dem Sturz einer seiner Zacken abgebrochen ist, klebt sie diesen mit einem Heftpflaster wieder an. Der Stern erweckt dafür mit seinem Sternenstaub Lauras Kuscheltiere Bär und Mini-Hase, ebenso Tommys Holzdackel, zum Leben. Gemeinsam erleben sie fantastische Abenteuer, denn auf einem Stern kann man auch Platz nehmen und durch den Abendhimmel gleiten.

Aus dem 1996 erschienenen Kinderbuch von Klaus Baumgart wurde 2004 bereits ein Animationsfilm (mit zwei Fortsetzungen), dem eine animierte Fernsehserie vorausgegangen war. Inzwischen ist „Lauras Stern“ eine etablierte Marke, für deren Merchandising auch im Nachspann dieses Films geworben wird, mit Buch zum Film, Hörspiel, Spielen, Stofftieren etc. Das spricht nicht gegen den Film, die erste Realfilmadaption, inszeniert von Joya Thome („Königin von Niendorf“), an deren Talent ihr Vater, der Regisseur Rudolf Thome, vielleicht nicht ganz unschuldig ist.

Am schönsten ist „Lauras Stern“ in seinen fantastischen Momenten, er fängt aber auch das Gefühl der Einsamkeit Lauras in der neuen Umgebung und ihre langsam sich entwickelnde Freundschaft mit dem Nachbarsjungen Max ein. Und nicht zuletzt am Ende die Notwendigkeit des Loslassens, wenn Laura den Stern zurück ins All kehren lässt. Ein gelungener Familienfilm. Frank Arnold

D 2021; 79 Min.; R: Joya Thome; D: Luise Heyer, Ludwig Trepte, Emilia Kowalski; Kinostart: 9.12.


Notre Dame – Das Leben ist eine Baustelle

„Notre Dame – Die Liebe ist eine Baustelle“ von Valerie Donzelli. Bild: W-Film

KOMÖDIE Während Nachrichtenmeldungen die Katastrophen der Welt in voller Breitseite verkünden, entfalten sich im Leben der alleinerziehenden Architektin Maud Crayon die Katastrophen im Kleinen: Ihr Chef ist ein Arschloch, das Konto lange überzogen, und ihr Ex, der sympathische, aber notorisch unzuverlässige Vater ihrer beiden Kinder, landet noch immer regelmäßig in ihrem Bett. Doch dann gewinnt Maud auf buchstäblich wundersame Weise den Wettbewerb zur Neugestaltung des Vorplatzes der Pariser Kathedrale Notre Dame. Und zwar mit dem Entwurfsmodell eines Kinderspielplatzes, dessen Springbrunnen in seiner überarbeiteten Version gewisse Ähnlichkeiten mit einem ejakulierenden Penis man nicht leugnen kann.

Das ist ja auch mal ein Statement, wenngleich im Falle von Maud ein eher unbeabsichtigtes. Nun hat Maud also plötzlich 121 Millionen Euro Budget zur Verfügung, muss sich aber mit Gegnern und Befürwortern ihres Entwurfs gleichermaßen herumschlagen. Zudem taucht eine frühere Liebe wieder auf, und sie ist ungewollt schwanger. Das alles könnte einfach nur eine weitere französische Liebeskomödie mit einer leicht verpeilten Heldin sein, doch die Regisseurin und Hauptdarstellerin Valérie Donzelli, die man in Deutschland durch ihre autobiografisch inspirierte Regiearbeit „Das Leben gehört uns“ (2011) kennt (eine Reihe ihrer weiteren Filme kam bei uns nicht ins Kino), hat deutlich mehr im Sinn.

Verpeilte Heldin: „Notre Dame“ von Valerie Donzelli

Inhaltlich ist das der satirische Seitenhieb auf den französischen Kulturbetrieb mit seinem Hang zu protzigen Großprojekten, stilistisch hingegen wird die Erzählung immer wieder mit den Stilmitteln der Nouvelle Vague aufgebrochen, etwa einer Erzählerstimme oder einer burlesken Musical-Sequenz mit Stummfilm-Zwischentiteln. Die Erinnerungen an Truffaut, Varda und Demy sind gewollt. Da die Nouvelle Vague aber bereits Meta-Kino mit Hang zum Zitat war, handelt es sich hierbei nun um das Zitat des Zitats. Ob das eine gute Wahl ist? Letztlich oszilliert das alles irgendwo zwischen charmant-verspielt und leicht enervierend, letzteres aber vielleicht auch deshalb, weil die Heldin einfach nie irgendetwas selbst auf die Reihe bekommt. Lars Penning

F/B 2019; 88 Min.; R: Valérie Donzelli; D: Valérie Donzelli, Pierre Deladonchamps, Thomas Scimeca, Bouli Lanners, Virginie Ledoyen; KInostart: 9.12.


Once Upon a Time in Bethlehem

„Once Upon a Time in Bethlehem – Das erste Weihnachten“ von Salva Ficarra und Valentino Picone. Bild: Der Filmverleih

KOMÖDIE Als Salvo, ein leidenschaftlicher Dieb von Sakralschätzen, kurz vor Heiligabend das Jesuskind aus der Kirche von Pater Valentino, einem leidenschaftlichen Organisator von Krippenspielen, stiehlt, gibt es Ärger. Beziehungsweise eine Verfolgungsjagd, die wie durch ein Wunder im Palästina des Jahres Eins endet. Dort ist gerade der Aufstand der Zeloten gegen die römischen Besatzer im Gange, und König Herodes schickt sich an, den Kindermord von Bethlehem zu begehen. Der Pater und der Dieb sehen sich also mannigfachen Bedrohungen ausgesetzt und wollen schnellstens wieder zurück. Was läge da näher, als die Jungfrau Maria ausfindig zu machen, die bekanntlich irgendwo in dieser Gegend gerade im Begriff steht, den Erlöser zu gebären, und sie um ein Retour-Wunder zu bitten?

Ausgedacht haben sich diesen gloriosen Unfug Salvatore Ficarra und Valentino Picone, beide 1971 in Palermo geboren und seit 1993 als Komikerduo auf der Bühne, im Fernsehen sowie in Kinofilmen sehr erfolgreich. In Italien kennt sie vermutlich jedes Kind, hierzulande wahrscheinlich eher nicht. Doch ganz gleich, ob einem der auf heftigem Gestikulieren und Grimassieren basierende Humor der zwei – die wie üblich für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnen sowie auch gleich noch die Hauptrollen übernommen haben – nun fremd oder vertraut ist, die Verve, mit der sie ihre Frohe Botschaft verkünden, beeindruckt.

Und diese Botschaft führt, wen wundert’s, zurück zu den bescheidenen Anfängen der Weihnachtsgeschichte, die gut auf das damit verknüpfte Geschäft verzichten kann. Nicht jedoch auf die Mitwirkung von Ochs und Esel in Gestalt zweier durchgeknallter Sizilianer. Alexandra Seitz

I 2019; 100 Min; R: Salva Ficarra und Valentino Picone; D: Salvatore Ficarra, Valentino Picone, Roberta Mattei; Kinostart: 9.12.

Plan A – Was würdest du tun?

„Plan A – Was würdest du tun?“ von Yoav Paz und Doron Paz. Bild: Camino

DRAMA „Der Krieg ist vorbei, aber Juden können wir immer noch töten!“ Mit dieser unglaublichen Aussage sieht sich der Jude Max konfrontiert, als er 1945 aus dem Konzentrationslager nach Hause kommt. Der Anfang dieses Films entwirft einen Kontext: Nicht Reue und Scham herrschen vor bei den Deutschen, sondern immer noch Hass auf die Juden. Da ist es verständlich, dass manche von ihnen nach dem biblischen Prinzip „Auge um Auge“ handeln wollen. „Nakama“ (hebräisch für Rache) ist der Name der Gruppe, die plant, sechs Millionen Deutsche für sechs Millionen ermordete Juden zu töten. Dafür wollen sie in fünf deutschen Großstädten das Trinkwasser vergiften.

Was sich im ersten Moment wie eine rechte Verschwörungstheorie anhört, basiert auf einer wahren Begebenheit. Ein unbekanntes Kapitel der Zeitgeschichte, über das die Beteiligten verständlicherweise lange geschwiegen haben – erst im Rahmen von Zeitzeugenbefragungen durch die Gedenkstätte Yad Vashem kam die Geschichte ans Licht und war 2019 Gegenstand einer Buchveröffentlichung.

Max (eindringlich verkörpert von August Diehl) ist noch nicht bereit, sein altes Leben hinter sich zu lassen und in Israel ein neues zu beginnen, ihn quält die Erinnerung an seine toten Angehörigen, ihn empört das judenfeindliche Verhalten der Deutschen. Die Momente des Actionfilms konterkariert der Film der Brüder Doron und Yoav Paz („Der Golem“) immer wieder durch die Selbstzweifel und Reflexionen der Protagonisten: Neben Max schwankt auch Anna, die ihren Sohn verloren hat, zwischen Rache und Neuanfang. Am Anfang steht die Frage „Was würdest Du tun?“, am Ende die Mahnung: „Nie wieder“.  Frank Arnold

D/IL 2020; 109 Min.; R: Doron & Yoav Paz; D: August Diehl, Sylvia Hoeks, Michael Aloni; Kinostart: 9.12.


Sing Me a Song

„Sing Me a Song“ von Thomas Balmès. Bild: Realfiction

DOKU Allzu lange ist es noch nicht her, dass in Bhutan – jenem kleinen Land im Himalaya, das als einziges der Welt das „Bruttonationalglück“ statistisch erhebt – die Segnungen des Fortschritts in Gestalt von Internet und Smartphone Einzug hielten. Ob sie wohl das Glück vermehrten? Die kleine Geschichte, die Thomas Balmès in „Sing Me A Song“ aus dokumentarischen Episoden zusammenfügt, geht dieser Frage nach.

Peyangki, der als junger Mönch in einem buddhistischen Kloster im Bergdorf Laya lebt, und Ugyen, die in der Hauptstadt Thimphu in einer Bar die männlichen Gäste unterhält, haben sich online kennengelernt. Das heißt, Ugyen hat Liebeslieder gesungen und Peyangki hat den Kopf verloren. Schließlich macht er sich auf den weiten Weg zur Dame seines Herzens, muss dann aber zu seinem Entsetzen feststellen, dass diese bereits eine Tochter im Kleinkindalter hat. Die habe sie zu erwähnen „vergessen“, sagt Ugyen, die wiederum rasch realisiert, dass der junge Mönch kaum jene gute Partie ist, auf die sie es eigentlich abgesehen hat.

Viel ist vom Geld die Rede, wenn die Blicke nicht gerade gebannt sind von der Gewalt, die die Bildschirme zeigen und die von Egoshooter-Spielen bis zu Enthauptungsvideos reicht. Ragt da nicht ein erhobener Zeigefinger ins Bild, der vor den Gefahren des Digitalen warnt? Zugleich aber ist bittere Wahrheit, was hier in Gestalt einer spirituellen Entwurzelung zu sehen ist: Globalisierung bedeutet eben auch Ortlosigkeit und ist geknüpft an den Verlust von Heimat, einen Verlust, den das Konsumgut nicht ersetzen kann. Simple Fabel, große Erleuchtung, geschenkt vom gütigen Buddha, der die Rückkehr seiner verlorenen Söhne und Töchter geduldig erwartet.   Alexandra Seitz

D/F/USA 2019; 99 Min.; R: Thomas Balmès; Kinostart: 9.12.


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