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Neu im Kino

Filmstarts der Woche: Von „Parallele Mütter“ bis zur Doku „Der Schneeleopard“

Ein sehr schönes Spätwerk von dem großen Pedro Almodóvar kommt diese Woche ins Kino: „Parallele Mütter“ nimmt die ganze Geschichte des modernen Spanien in den Blick. Penélope Cruz arbeitet wieder einmal mit ihrem Lieblingsregisseur zusammen. Außerdem gibt es die spannende Naturdoku „Der Schneeleopard“, das ziemlich heftige amerikanische Südstaatendrama „Blue Bayou“, den Berliner Autorenfilm „Europe“ von Philip Scheffner (gedreht allerdings in Frankreich), eine #metoo-Aufarbeitung in dem Dokumentarfilm „The Case You“, und eine Frühlingskomödie von der Côte d’Azur namens „Mord in St. Tropez“. Die Filmstarts der Woche in der tipBerlin-Übersicht.

Parallele Mütter

„Parallele Mütter“ von Pedro Almodóvar. Foto: Studiocanal

DRAMA Die Babys zweier Mütter werden auf der Entbindungsstation vertauscht, was eine unabsehbare Menge an emotionalen Verwicklungen nach sich zieht. Mit „Parallele Mütter“, einem Drama um das Thema Verwandtschaft, – um die genetische ebenso wie um die Vorzüge der Wahlverwandtschaft –, ist der spanische Regisseur Pedro Almodóvar ganz auf der Höhe der Zeit. Ironie, Hysterie und Karikatur seiner frühen Filme sind dabei einem anrührend tiefen Verständnis für menschliche Beziehungen gewichen. Lars Penning

Madres paralelas (OT); Spanien 2021; 123 Min.; R: Pedro Almodóvar; D: Pénelope Cruz, Milena Smit, Israel Elejalde; Kinostart: 10.3.

Der Schneeleopard

„Der Schneeleopard“ von Marie Amiguet. Foto: MFA

NATURDOKU Der eine Mann heißt Vincent Munier, ein weltweit angesehener Wildtierfotograf, der andere Sylvain Tesson, ein weitgereister Schriftsteller. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach einem der letzten in Freiheit lebenden Schneeleoparden. Sie durchstreifen  im Schatten schneebedeckter Gipfel zerklüftete Felsformationen, endlose Ebenen, vereiste Grassteppen, tiefe Flusstäler und steile Pässe. Die langsam und majestätisch von  Regisseurin Marie Amiguet in Szene gesetzte Landschaft, durch die die Klangskulpturen und Songfragmente von Warren Ellis und Nick Cave hallen, ist die Heldin, dieser mit größter Leidenschaft und geringen Mitteln produzierten Dokumentation.

Es ist aber auch eine meditative Reise zu den Ursprüngen des menschlichen Seins, zu unserem Verhältnis zur Natur, der Zeit und einem tieferen Verständnis des Tiers, das uns ebenso beobachtet, wie wir es beobachten. „Das Tier ist der Schlüssel, es öffnet eine Tür, dahinter ist das Unbeschreibliche“, sagt Munier einmal. Mit gedämpfter Stimme reflektiert er seine Philosophie des Wartens, er erhebt die Lauer zur Kunst, nennt sie Gebet, das Tier die Erscheinung. Doch immerzu gibt er auch praktische Anweisungen, stellt Kamerafallen auf, kocht Suppe und fotografiert wilde Yaks, eine Pallaskatze, eine Bärenfamilie, einen Fuchs. Munier leitet und lehrt seinen Begleiter Tesson, der mit Stift, Notizheft und Fernglas die Umgebung vermisst und ein Buch über die Erfahrung schreiben wird.

So vermischen sich in dieser Tierdokumentation, die so anders, so viel erfüllender und introspektiver ist, als die meisten Produktionen dieser Art, die Gedanken der beiden Männer, während der wochenlangen Wanderung in den Einöden Tibets. „Die Geduld ist eine feine Tugend, die eleganteste und die meist vergessene, sie hilft dabei, die Welt zu lieben“, resümiert Tesson zum spektakulären Finale des Films und Nick Cave singt „We are not alone“. Nein, irgendwo da draußen, ist auch der Schneeleopard. Jacek Slaski

Frankreich 2021; 92 Min.; R: Marie Amiguet, Vincent Munier; Kinostart: 10.3.

Blue Bayou

„Blue Bayou“ von Justin Chon. Foto: Universal

DRAMA Ja, Donald Trump war ein furchtbarer Präsident, aber wer ihm die Schuld für sämtliche Missstände der USA anlastet, macht es sich viel zu leicht. Gerade in der Migrationspolitik haben auch seine Demokratischen Vorgänger und Nachfolger sich alles andere als menschlich verhalten. Sie alle hielten und halten an einer bizarr anmutenden Lücke des Einwanderungsrechts fest, die das Thema von „Blue Bayou“ ist.

Als Hauptdarsteller, Autor und Regisseur des Films agiert dabei Justin Chon, der den zwar fiktiven, aber auf viel zu vielen realen Fällen basierenden Antonio LeBlanc spielt. Dieser wurde als Dreijähriger aus Korea adoptiert, hatte jedoch wenig Glück mit seinen Pflegeeltern. Hin und her gereicht wurde er, driftete in die Kleinkriminalität ab und hat erst durch die Ehe mit der Physiotherapeutin Kathy (Alicia Vikander) Stabilität gefunden. Für deren kleine Tochter Jessie (Sydney Kowalske) ist er wie ein Vater, doch der leibliche Vater missgönnt seiner Ex das Glück und zeigt Antonio nach einem nichtigen Streit an.

Und das bringt die Räder der Bürokratie ins Laufen: Antonios Pflegeeltern hatten es versäumt, ihn einzubürgern und damit offiziell zu einem US-Amerikaner zu machen. Was einst irrelevant erschien, ist inzwischen ein Schlupfloch, das es den Behörden erlaubt, Menschen auszuweisen, die praktisch ihr ganzes Leben in den USA gelebt haben, und die vor allem ihre Herkunftsländer gar nicht kennen. Offensichtlich empörend ist diese Politik, was Justin Chons Film zu einem etwas schlichten moralischen Plädoyer für Gerechtigkeit macht, das jedoch ganz ohne Frage das Herz auf dem richtigen Fleck hat. Michael Meyns

USA 2021; 114 Min.; R: Justin Chon; D: Justin Chon, Alicia Vikander; Kinostart: 10.3.

Europe

„Europe“ von Philip Scheffner. Foto: Grandfilm

FILMKUNST Die Arbeiten des experimentellen Dokumentaressayfilmers Philip Scheffner – darunter „Der Tag des Spatzen“ (2010) und „Havarie“ (2016) – spüren dem metaphorischen Potenzial der Realität nach. Sie treffen hinten durch die Brust ins Auge, setzen unterwegs gedanklich so einiges in Bewegung, sprengen nebenbei die Form und bieten in ihren strukturellen Freiräumen Gelegenheit zu manch erhellender Erkenntnis. In seinem ersten Erzählfilm „Europe“, der im Programm des Forum der Berlinale Weltpremiere feierte, fühlt Scheffner dem Begriff der Fiktion auf den Zahn und lässt sich dabei selbstverständlich auch nicht die Chance entgehen, sowohl Fallstricke als auch Möglichkeiten des Narrativen hintergründig zu erforschen.

Die Geschichte – bei der es sich freilich um eine Re-Inszenierung tatsächlichen Geschehens handelt – geht so: Die Algerierin Zohra verliert, nachdem die Behandlung ihrer schweren Skoliose (d.i. eine Rückgratverkrümmung) in Frankreich abgeschlossen ist, ihren Aufenthaltstitel. Eben noch hat sie am Telefon mit ihrem Mann Pläne geschmiedet, dass sie ihn im Zuge der Familienzusammenführung nun bald nachholen könne, da erhält sie ein Schreiben vom Amt, in dem sie zur Ausreise aufgefordert wird. Helfen kann oder will ihr keiner, denn mal wieder ist niemand zuständig. Zohra beschliesst, dennoch zu bleiben, und verschwindet daraufhin, zumindest für eine Weile, ganz konkret aus dem Filmbild. Genauer gesagt verschiebt Volker Sattel den Winkel der von ihm geführten Kamera dergestalt, dass die nunmehr illegal im Land anwesende Frau jenseits des gewählten Ausschnitts lediglich noch als geisterhafte Präsenz wahrnehmbar ist.

Das ist unheimlich und zugleich von analytischer Schärfe, führt es dem Publikum doch vor Augen, was das eigentlich bedeutet: Illegalität macht unsichtbar. Und nicht nur das, sie zwingt die unter dem Radar des Offiziellen ja weiterhin existierende Person auch dazu, die eigene Biografie ins Fiktive zu verlagern. Dies wird im Fortgang der „Erzählung“ deutlich, wenn Sattels Kamera Zohra wiederfindet und Scheffner „Europe“ mit Szenen eines vorgestellten, weil tatsächlich nur noch im Traum möglichen Familienlebens endgültig ins Reich des Imaginären kippen lässt. Alexandra Seitz

Deutschland/Frankreich 2022; 105 Min.; R: Philip Scheffner; D: Rhim Ibrir, Sadya Bekkouche, Thierry Cantin; Kinostart: 10. März 2022

The Case You

„The Case You“ von Alison Kuhn. Foto: Mindjazz

DOKUMENTARFILM Fünf Frauen treffen sich auf einer Bühne, um über einem Missbrauch zu berichten. Sie haben alle an einem Casting für einen Film teilgenommen, der eine Inzestgeschichte erzählen sollte. Die Einladung war schon von ominösen Formulierungen begleitet, aber die Frauen war (zum Teil sehr) jung, mit dem Business nicht gut vertraut, und sie waren vor allem allein, auf sich gestellt inmitten einer Schar von bis zu 400 Bewerberinnen. Und sie waren allein mit einer Kamera, die wie eine entscheidende Instanz vor ihren stand, während von der Seite und von dahinter die Anweisungen auf sie einprasselten.

Alison Kuhn dreht mit ihrem Dokumentarfilm „Tha Case You“ die Sache um: Die Kamera ist nun ein Instrument der Selbstvergewisserung und der Reflexion, von dahinter kommen Fragen, die helfen sollen, dass die fünf Frauen verstehen, was sie erlebt haben. Und sie sind nun auch nicht mehr allein, die Bühne ist der Raum für ihre gemeinsame Aufarbeitung des Erlebten. Sie lernen es, „zurückzuschlagen“, sie lernen auch, ihre Demütigung und ihren Missbrauch zu verstehen. „The Case You“ ist ein Experiment, das schließlich durch den (namenlos bleibenden) Regisseur noch eine weitere Dramatik gewinnt, denn er hat in den entstandenen Film sogar Material aus dem Casting hineingeschnitten, hat also den Missbrauch noch weiter getrieben.

„Ich werde nie wieder ein Blumenkleid in meinem Leben tragen“, sagt eine der Frauen in „The Case You“. Der Film von Alison Kuhn wird dazu beitragen, dass die Machtsituation Casting in Hinkunft nicht mehr für zweifelhafte „künstlerische“ Rechtfertigungen von sexueller Ausbeutung verwendet werden kann.

D 2020; 80 Min.; R: Alison Kuhn; Kinostart: 10.3.

Mord in St. Tropez

„Mord in St. Tropez“ von Nicolas Benamou. Foto: Leonine

KOMÖDIE Als Komödie folgt die französisch-belgische Produktion „Mord in St. Tropez“ einem alten, aber durchaus bewährten Rezept: Ein von sich und seinen Fähigkeiten restlos überzeugter Volltrottel tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste und merkt nicht einmal, dass er, egal was er macht oder wohin er kommt, nur Chaos anrichtet. Besonders gut funktioniert dieses Konzept, je größer der Unterschied zwischen dem Alltagsleben und jener Sphäre ist, in die der Trampel irgendwie hineingeworfen wird.

In „Mord in St. Tropez“ muss der piefige Pariser Inspektor Jean Boulin (Christian Clavier, seit „Monsieur Claude und seine Töchter“ aus dem Jahr 2014 ein Superstar in Frankreich) im Jahr 1970 plötzlich an der Côte d’Azur bei den Reichen und Schönen ermitteln: Beim Sportwagen der Frau des Millionärs Baron Claude Tranchant (Benoît Poelvoorde) wurden die Bremsleitungen durchschnitten. Getarnt als Butler soll Boulin bei einem großen Piraten-Kostümfest für die High Society nun herausfinden, wer der Täter ist und was dieser möglicherweise noch vorhat.

Meister dieser Art der Komödie wie Peter Sellers (etwa als Inspektor Clouseau) und Rowan Atkinson (in den Bond-Parodien rund um Johnny English) wussten stets, dass man die Komik irgendwann in eine Art abstrakte Absurdität führen muss: Chaos und Slapstick verdichten sich dann losgelöst vom Sujet derart, dass man das Gesehene nicht mehr einfach nur blöd findet, sondern tatsächlich hysterisch komisch. Clavier, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, und „Mord in St. Tropez“ bleiben allerdings eher bei den Peinlichkeiten und beim Fremdschämen stecken. Das finden ja auch manche Leute recht lustig, ich eher nicht so. Lars Penning

Mystère à Saint-Tropez (OT); F/B 2021; 89 Min.; R: Nicolas Benamou; D: Christian Clavier, Benoît Poolvoorde, Virginie Hocq, Gérard Depardieu; Kinostart: 10.3.


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Noch immer aktuell: Die Filmstarts der Vorwoche (mit „The Batman“). Wie steht es um sie? Bei den Yorck-Kinos haben wir nachgefragt, wie sie durch die Pandemie gekommen sind. Immer neue Texte findet ihr in unserer Rubrik zu Kino und Streaming.

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