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Die Filmstarts der Woche: Von Baz Luhrmanns „Elvis“ bis zum Mafiadrama „Chiara“

Das große Biopic von Baz Luhrmann über „Elvis“ dominiert diese Woche. Daneben starten vor allem kleinere Titel, die aber zum Teil sehr sehenswert sind, zum Beispiel das Mafiadrama „Chiara“ oder die Dokumentation „El Entusiasmo“ über den Aufbruch Spaniens in die Demokratie vor 50 Jahren. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick

Elvis

Austin Butler (l.) spielt Elvis. Foto: Courtesy of Warner Bros. Pictures; © 2022 Warner Bros. Entertainment Inc.

BIOGRAFIE Über Elvis Presley schrieb eine Zeitung auf dem Höhepunkt seines frühen Ruhms, er wäre „ein weißer Mann mit schwarzen Hüften“. Diesen Satz nimmt sich der australische Regisseur Baz Luhrmann in seinem biographischen Film „Elvis“ mehrfach zu Herzen. Erstens lässt er den gut gewählten Hauptdarsteller Austin Butler natürlich ausgiebig das Becken kreisen. Als Elvis in den Rock’n’Roll einschlug wie eine Sexbombe, sahen die Männer mit den Banjos, die vorher auf Provinzbühnen ihre Countrynummern vorgetragen hatten, plötzlich unglaublich alt aus. Der junge Elvis war ein Ereignis, eine Revolution, und Luhrmann kostet diese Energie nach Kräften aus. Elvis war aber auch ein Sohn einer weißen Familie aus Tupelo, Mississippi, der in afroamerikanischen Traditionen wilderte.

Baz Luhrmann sucht vor allem den jungen Gott in Elvis

Heute nennt man so etwas kulturelle Aneignung, und ein Film im Jahr 2022 muss sich dazu verhalten. Luhrmann tut dies, indem er die Musik, die großen Hits von „Hound Dog“ bis „All Shook Up“, immer wieder wie mit verteilten Rollen hören lässt, sie gehören also nicht nur Elvis, sondern sie gehören in einen größeren Zuammenhang der populären Kultur, der von Blues bis HipHop und R’n’B reicht. „Elvis“ ist also nicht so sehr ein historischer Film, sondern eine Aktualisierung einer legendären Figur. Dabei kommt Luhrmann um die Tragik des Helden nicht ganz herum, er bemüht sich aber nach Kräften, den jungen Gott in Elvis so lange wie möglich am Leben zu halten, und erst sehr spät zu dem körperlichen Wrack umzuschalten, das in Las Vegas in den 1970er-Jahren nur noch eine traurige Version seiner selbst war. Elvis starb bekanntlich jung, und es war eher kein Rock’n’Roll-Tod, sondern ein Hollywood-Ende.

Baz Luhrmann beginnt jedoch an einem anderen Sterbebett. Sein „Elvis“ hat nämlich eine zweite Hauptfigur, den Manager „Colonel Tom“ Parker, den Tom Hanks mit großer Lust an mephistophelischer Zweideutigkeit und mit einer grotesken Maske spielt. Parker wird hier einmal mehr zu der Figur, die Elvis schonungslos ausbeutete, die ihn an die Filmindustrie verscherbelte und später an das Fernsehen. Luhrmann (bekannt durch „Romeo und Julia“ mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes) hat eine Schwäche für symbolische Orte, deswegen wird der entscheidende Vertrag am Rummel geschlossen. Und die Welt der Schausteller und der fahrenden Unterhalter wird insgesamt zu einem ästhetische Schlüssel: Dieser „Elvis“ ist eine große Karnevalsveranstaltung, ein Maskenball, der in einer späten Szene gipfelt, in der Elvis dann wirklich schockierend aus der Rolle fällt – die Revolution hatte sich überfressen.

Austin Butler und Tom Hanks in „Elvis“ von Baz Luhrmann. Foto: Warner Bros.

Leider findet Luhrmann für die vielen Motive, die er anbietet, keinen überzeugenden Zusammenhang, sodass „Elvis“ sich bei aller formalen Imposanz wie eine Skizze ausnimmt. Denn die alte Geschichte vom Naturtalent, das von einem Schurken an die Industrie ausgeliefert wird, ist eben nur der naheliegendste Schlüssel zu dem Phänomen Elvis. Und Luhrmann scheint seiner eigenen Dramaturgie selbst nicht ganz zu trauen, sodass Tom Hanks wie ein böser Geist durch eine Geschichte irrt, die nicht nur ihm ständig entgleitet. Bert Rebhandl

USA 2022; 159 Min.; R : Baz Luhrmann; D: Tom Hanks, Austin Butler, Olivia DeJonge; Kinostart: 23.6.

Chiara

„Chiara“ von Jonas Carpignano. Foto: MUBI

DRAMA Beim 18. Geburtstag ihrer Schwester ist die drei Jahre jüngere Chiara anfangs noch eine Randfigur. Sie rückt dann aber bald ins Zentrum. Denn es sind mysteriöse Vorgänge zu verzeichnen, während ausgelassen gefeiert und getanzt wird, wirkt der Vater unruhig, und es tauchen auch Männer auf, die wenig vertrauenerweckend wirken. Jonas Carpignano nimmt sich in seinem Film „Chiara“ viel Zeit für dieses Fest am Anfang, in dem sich schon das Drama abzeichnet, auf das es ihm eigentlich ankommt. Die Geschichte spielt in Süditalien, und bald fällt auch das Stichwort, das alles in ein neues Licht rückt: Ndrangetha, die lokale Form der Mafia. Chiara muss sich der Tatsache stellen, dass ihr Vater womöglich zu einer verbrecherischen Organisation gehört.

Weil sie erst 15 ist, wird sie mit den üblichen Phrasen abgewimmelt. Sie zeigt sich aber unbeirrt, und begibt sich auf eine gefährliche Suche nach der Wahrheit – es ist nicht nur die Wahrheit ihrer Familie, sondern auch eine der sozialen Unterschiede in ihrer Welt. Sie gerät in Roma-Viertel, und entdeckt schockierende Geheimnisse. Carpignano löst dabei den Titel seines Films konsequent ein: „Chiara“, die junge Protagonistin, ist sein Medium, das ihm hilft, die Konflikte nachvollziehbar zu machen, die hier beispielhaft individualisiert werden: familiäre Loyalität gegen staatsbürgerliche Pflicht, väterliche Autorität gegen töchterliche Emanzipation. „Chiara“ überzeugt mit tollen Darsteller:innen und einem guten Gespür für Dramaturgie. Bert Rebhandl

Italien 2021; 121 Min.; R: Jonas Carpignano; D: Swamy Rotolo, Claudio Rotolo, Grecia Rotolo; Kinostart: 23.06.

The Black Phone

„The Black Phone“ von Scott Derricksen. Foto: Universal

HORROR 1978 geht in einem Vorort von Denver die Angst um: Fünf Jungen hat der Entführer, den die Bevölkerung den „Grabber“, den Greifer, nennt, bereits in seine Gewalt gebracht. Sein nächstes Opfer wird der 13-jährige Finn, der sich zuvor auch schon vor seinem Vater fürchten musste, der mehr und mehr dem Alkohol zuspricht und seine Kinder schon mal mit seinem Gürtel züchtigt. Gewalt, das ist in Scott Derricksons Film alltäglicher Teil der Kindheit. Zum Glück hat Finn noch seine zwei Jahre jüngere Schwester Gwen, selbstbewusst und mutig.

Als Finn eingesperrt ist in einem großen Kellerraum mit einem schwarzen Telefon an der Wand, entwickelt sich die Geschichte alsbald zu einem Duell zwischen dem Jungen und dem Entführer. Ein übernatürliches Element verstärkt sich, als das Telefon trotz durchschnittenen Kabels anfängt zu klingeln. Es sind die Stimmen der fünf Jungen, die der „Grabber“ ermordet hat und die Finn Hinweise geben, wie er ihrem Schicksal entgehen kann.

Ethan Hawke gelingt es in der Schurkenrolle des „Grabbers“, allein durch die Modulation seiner Stimme Entsetzen zu erzeugen, und die Darsteller:innen des Geschwisterpaares stehen ihm in ihrer Präsenz nicht nach in diesem Beispiel für eindringlichen und intelligenten Schrecken. Frank Arnold

USA 2022; 104 Min.; R: Scott Derrickson; D: Ethan Hawke, Mason Thomas, Madeleine McGraw; Kinostart: 23.6.

Mein fremdes Land

„Mein fremdes Land“ von Johannes Preuss und Marius Brüning. Foto: Arsenal

DOKU Manuel Sosnowski ist 31 Jahre alt und im Schwäbischen mit drei Geschwistern aufgewachsen. Eine deutsche Biografie, es geht ihm gut. Doch Manuel heißt eigentlich gar nicht Manuel, sondern ursprünglich José Noe Estrada, und seine deutsche Familie hat ihn als Baby aus einem Kinderheim in Bolivien heraus adoptiert. Dort hatte ihn seine Mutter angeblich aufgrund ihrer großen Armut abgegeben. Als Kind hat sich Manuel für seine Herkunft nicht interessiert, doch nun will er seine leibliche Mutter suchen und dabei – das ist die Hoffnung – auch sich selbst finden.

Die anfangs schwierig erscheinende Suche geht mithilfe eines Kontakts in Bolivien tatsächlich problemlos vonstatten. Manuel macht sich auf die Reise, gemeinsam mit Diego, der für ihn Spanisch übersetzt, und in Bolivien mit Lourdes, die die Mutter gefunden hatte. Der junge Mann besucht ein Kinderheim, schließt seine Mutter, die mit einem Enkel, einem Schwein und einer kleinen Ziegenherde ärmlich in einem Geisterdorf lebt, in die Arme und trifft eine jüngere Schwester: Die Regisseure Johannes Preuss und Marius Brüning haben „Mein fremdes Land“ stark auf hochemotionale Momente hin inszeniert, es fließen viele Tränen.

Dass der Film trotzdem nicht als alberne Doku-Soap endet, verdankt sich dem Umstand, dass sich Manuels Traum von der Selbstfindung als naiv erweist, und die harsche Realität durch die Hintertür wieder hereinkommt: Plötzlich gibt es mehrere nicht verifizierbare Versionen der bolivianischen Familiengeschichte, und – schlimmer noch – die dräuende Erkenntnis, dass die Kluft zwischen dem behüteten Wohlstand in Deutschland und der Armut in Bolivien wohl nicht zu überbrücken ist. Lars Penning

D 2021; 94 Min.; R: Johannes Preuss, Marius Brüning; Kinostart: 23.6.

El Entusiasmo

„El Entusiasmo“ von Luis E. Herrero. Foto: Sabcat Media

DOKU Fast vier Jahrzehnte überdauerte die faschistische Diktatur in Spanien, errichtet nach dem Putsch des Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung 1936 und dem folgenden dreijährigen Bürgerkrieg. Als der Diktator Franco 1975 starb, herrschte eine Aufbruchstimmung – „alles schien möglich“, wie es einmal heißt.

In seinem Dokumentarfilm lässt Luis E. Herrero diese Jahre (1975–1977) wieder aufleben, mit einer Fülle zeitgenössischer Dokumentaraufnahmen, den Erinnerungen der Aktivisten von damals und der Einschätzung durch Historiker. Nur zwei seiner Gesprächspartner sind dabei Frauen, eine Aktivistin der Gewerkschaft CNT und eine Historikerin – ihren Aussagen nach hat man den Eindruck, dass der Feminismus damals eine gewichtige Rolle spielte. Das wird aber nur angerissen, im Mittelpunkt des Films stehen die Aktivitäten der CNT. Dabei handelte es sich um eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft, die auf die Selbstbefreiung der Arbeiterschaft setzte – nicht: „Ich löse dein Problem für dich“, sondern „Du löst dein Problem mit Hilfe des Syndikats“. Unter Franco verboten, versuchte die CNT nach 1975 an die Zeit vor dem Faschismus anzuknüpfen, in der sie beträchtlichen Einfluss hatte.

Eindrucksvolle Aufnahmen von Großveranstaltungen, von politischen Debatten ebenso wie von einem Musikfestival belegen ihre Bedeutung. Ein wenig schwelgt der Film zu sehr in diesen Aufnahmen, die Kriminalisierung der CNT nach einem Brandanschlag, initiiert von einem Polizeispitzel, wird nur knapp beleuchtet. Trotzdem eine spannende Geschichtslektion. Frank Arnold

E 2018; 80 Min.; R: Luis E. Herrero; Kinostart: 23.6.

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Das Wetter ist ganz danach: Die Freiluft-Kino-Saison ist eröffnet, wir haben das täglich aktuelle Programm. Die Filmstarts der Woche vom 16. Juni sind auch definitiv noch einen Blick wert. Über „Massive Talent“ mit Nicolas Cage haben wir eine ausführlichere Besprechung. Alles zu Film und Streaming ist unter dieser Rubrik gesammelt.

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