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Filmstarts der Woche: Von „Im Westen nichts Neues“ bis „Tausend Zeilen“ von Bully Herbig

Der wichtigste Start diese Woche kommt aus dem Hause Netflix, gehört also eigentlich auf die Streaming-Seiten, kommt aber vorher auch ins Kino: „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger, eine neue Adaption des berühmten Romans von Erich Maria Remarque. Außerdem gibt es die tolle Doku „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya, über türkische Popkultur in Deutschland. Anke Engelke ist im Dokuexperiment „Mutter“ zu sehen. Und Bully Herbigs viel zu dünner Film „Tausend Zeilen“ erinnert daran, was jemand wie Helmut Dietl aus dem Relotius-Stoff gemacht hätte. Der Kino-Überblick mit den Filmstarts vom 29. September.

Sinnloses Schlachten und Momente der Ruhe: „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger

„Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger. Foto: Netflix

KRIEGSFILM Geht doch. Wenn eine deutsche Produktion sehr viel Geld zur Verfügung hat, kann ein Film entstehen, der sich nicht hinter internationalen Produktionen verstecken muss. Dass die Millionen allerdings nicht vom deutschen Filmfördersystem zur Verfügung gestellt wurden, sondern vom Streamingdienst Netflix, ist dann doch bezeichnend.

Wie dem auch sei, gut 100 Jahre nach Erscheinen von Erich Maria Remarques Roman hat Edward Berger die erste deutsche Version von „Im Westen nichts Neues“ gedreht. Vor allem visuell überzeugt er mit harten, teilweise extrem brutalen Bildern, die das Grauen der Grabenkämpfe des Ersten Weltkriegs erschütternd spürbar machen.

Inhaltlich dagegen macht Berger Konzessionen an ein internationales Streamingpublikum und erweitert die Handlung der Romanvorlage. Nicht mehr nur der junge Rekrut Paul (Felix Kammerer) steht im Mittelpunkt, sondern auch Generäle und Politiker jenseits der Front. Allzu schlicht muten hier die Kontraste zwischen dem Dreck der Schützengräben und dem feinen Porzellan im Zugwaggon an, wo um ein Ende des Krieges gerungen wird. Viel überzeugender dagegen die Szenen vom Leben an der Front, dem Hin und Her zwischen sinnlosen Schlachten und Momenten der Ruhe, kleinen Freuden wie einer gestohlenen Gans oder einem Brief aus der Heimat. So oder so (natürlich auch, weil es kaum Konkurrenz gibt): der beste deutsche Kriegsfilm seit „Das Boot“. Michael Meyns

D 2022; 147 Min.; R: Edward Berger; D: Felix Kammerer, Daniel Brühl, Albrecht Schuch; Kinostart: 29.9.

Liebe, D-Mark und Tod

„Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya. Foto: Rapid Eye Movies

DOKU In der BRD brummt unverdrossen jener Motor, der das sogenannte „Wirtschaftswunder“ antreibt, als 1961 das Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen wird, infolgedessen Zigtausende als „Gastarbeiter“ apostrophierte Fremde ins Land kommen. Wie wir alle mittlerweile wissen, sind nicht wenige von diesen gekommen, um zu bleiben. Und wie wir gleichfalls alle wissen, ist das Verhältnis der Deutschen zu ihren türkischen Mitbürger:innen nicht immer ungetrübt, um es mal vorsichtig zu formulieren. Da ist ein Film wie dieser – schwungvoll, gutgelaunt, informativ und erhellend – nur umso mehr zu begrüßen. Bei der Berlinale, wo er seine Uraufführung feierte, wurde „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya folgerichtig mit dem Panorama Publikumspreis ausgezeichnet.

In seiner archivarischen Pionierarbeit rekapituliert der 1976 in Schweinfurt geborene Regisseur über ein halbes Jahrhundert türkische (Pop-)Musik-Geschichte im geteilten, dann vereinten, dabei immer gespaltenen Deutschland. Das hohe Tempo der Montage wird bestimmt von der enormen Fülle des Materials; aktuelle Interviews mit Zeitzeug:innen jeder Couleur begleiten und kommentieren historische Aufnahmen: Ausschnitte aus Fernseh- und Radiosendungen, Videoaufnahmen von Konzerten und Feiern, Familienfotos und Zeitungsseiten. Im gestreckten Galopp werden solcherart die Themenkomplexe Migration und Heimweh, Ausgrenzung und Rassismus, Parallelkultur und Multikulti durchmessen.

Dazu spannt sich der musikalische Bogen von der Schmonzette über den Protestsong zum Diskofolk und landet schließlich auch beim Gangstarap. Sammler präsentieren stolz ihre Schätze und tapezieren zu Demonstrationszwecken schon mal ganze Wände mit Musikkassetten, Musiker:innen erinnern sich an prachtvolle Hochzeitsfeste, bei denen es Geldscheine regnete und der Raki in Strömen floss. Originalaufnahmen sorgen mal für Heiterkeit, mal für Bestürzung. Nicht zuletzt, weil deutschen Zuschauer:innen bei der Gelegenheit klar wird, wovon sie überhaupt keine Ahnung haben.

Einmal merkt ein Journalist kritisch an, dass es eigentlich ein Leichtes gewesen wäre, in den vielen Schlager-Shows, Hitparaden und Musiksendungen aller Art im deutschen TV und Radio den ein oder anderen türkischen Kracher zu spielen, um solcherart Verbindungen zur Musik der Nachbar:innen zu knüpfen. „Liebe, D-Mark und Tod“ erzählt eben auch die Geschichte misslingender Integration und eines Einwanderungslandes wider Willen, das Chancen zur Ent-Fremdung gleich im Dutzend verpasst (hat). Insofern topaktuell. Alexandra Seitz

D 2022; 96 Min.; R: Cem Kaya; Kinostart: 29.9.

Mutter

Anke Engelke in „Mutter“ von Carolin Schmitz. Foto: Mindjazz

DOKUEXPERIMENT Acht Mütter hat Carolin Schmitz für ihren Film interviewt und deren Gedanken und Überlegungen zu einer Collage geformt. Die allerdings nur zu hören ist, denn auf der Bildebene ist ausschließlich Anke Engelke zu sehen, die ihren Mund lippensynchron zu den Aussagen der Mütter bewegt. Eine schauspielerische Bravourleistung ist das, die auch darüber hinwegsehen lässt, dass in „Mutter“ nichts wirklich Neues über das Muttersein erzählt wird. Michael Meyns

D 2022; 88 Min.; R: Carolin Schmitz; D: Anke Engelke; Kinostart: 29.9.

Rex Gildo – Der letzte Tanz

„Rex Gildo – Der letzte Tanz“ von Rosa von Praunheim. Foto: missingFILMS

DOKUDRAMA Rex Gildo, Schlagerstar für Generationen, war schwul. Er liebte seinen Manager Fred Miekley, lebte mit ihm bis zu dessen Tod unter einem Dach – und versuchte, diese Tatsache in der Öffentlichkeit zeitlebens stets zu verbergen. Rosa von Praunheims Doku-Drama verbindet dokumentarisches Material, Interviews mit Zeitzeug:innen und Spielszenen miteinander, die sich zum Porträt eines Mannes verdichten, der seiner eigenen Kunstfigur nicht mehr entkam. Lars Penning

D 2022; 90 Min.; R: Rosa von Praunheim; D: Kilian Berger, Kai Schumann, Ben Becker; Kinostart: 29.9.

Zu viel Herbig, zu wenig Bully: „Tausend Zeilen“

„Tausend Zeilen“ von Michael Bully Herbig. Foto: Warner Bros.

DRAMA Bekannt wurde Michael Herbig einst mit der „Bullyparade“ und einer in den besten Momenten anarchisch wirkenden Lust an Überzeichnung, Parodie, Satire. Man sollte meinen, dass das gute Voraussetzungen für einen Film über die sogenannte Spiegel-Affäre wären, die Fälschungen von Claas Relotius, der seinen Redakteuren haarsträubende Reportagen andrehte, die oft zu weiten Teilen ausgedacht waren.

Doch Herbig hat inzwischen offenbar das Ziel, als ernsthafter Regisseur wahrgenommen zu werden. Trocken zeichnet er in „Tausend Zeilen“ nach, wie Spiegel-Autor Juan Moreno, der hier Juan Romero heißt und von Elyas M’Barek gespielt wird, seinen Kollegen Lars Bogenius (Jonas Nay) entlarvt. Sehr zum Unwillen seiner wie Knallchargen gezeichneten Redakteure, die scharf auf reißerische Geschichten und Journalistenpreise sind und sich schützend vor die Edelfeder Bogenius stellen.

Wer den Fall auch nur am Rand verfolgt hat, kennt die Geschichte, die Herbig nur allzu selten satirisch überhöht. Was vor allem den „Spiegel“ freuen dürfte,  denn der und sein System, das den Betrug erst ermöglichte, kommen erstaunlich gut weg: Am Ende heißt es gar „Nicht der Journalismus hat gelogen, sondern der Journalismus wurde belogen.“ 

Mit Wehmut mag man daran denken, was Helmut Dietl in Bestform aus diesem Stoff gemacht hätte, doch ein moderner „Schtonk!“ ist „Tausend Zeilen“ nicht geworden, dafür sind die seltsam kurzen (und dünnen) 90 Minuten zu sehr Herbig und zu wenig Bully. Michael Meyns

D 2022; 90 Min.; R: Michael Bully Herbig; D: Elyas M’Barek, Jonas Nay, Michael Ostrowski; Kinostart: 29.9.

Wir könnten genauso gut tot sein

„Wir könnten genauso gut tot sein“ von Natalia Sinelnikova. Foto: eksystent

DYSTOPIE Eine Festung ist die Gemeinschaft, die sich St. Phöbus nennt und Fremde nur äußerst ungern und nach intensiver Prüfung aufnimmt. Auch Anna (Ioana Iacob) durchlief einst diesen Prozess, zusammen mit ihrer Tochter Iris (Pola Geiger) wurde sie zwar letztlich aufgenommen, doch so ganz scheint sie nicht dazuzugehören. Als Sicherheitsbeauftragte trägt sie nun viel Verantwortung, soll das Innen vor dem unbestimmten und dadurch bedrohlichen Außen schützen, wird somit auch schnell zur Zielscheibe, wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen scheinen.

In einem Hochhaus in Marzahn wurde Natalia Sinelnikovas Debütfilm „Wir könnten genauso gut tot sein“ gedreht, in einem Relikt aus DDR-Zeiten, das mit seiner bemerkenswerten Architektur idealer Drehort für einen dystopischen Film ist, der von den Ängsten einer Gesellschaft erzählt, die nicht zufällig an die viel beschworene Festung Europa denken lässt.

Wohlorganisiert scheint diese Welt, liberal und gerecht, doch wenn etwas schief geht, ist es schnell das fremde Element, das verdächtigt wird. Dann ist es vorbei mit der Gastfreundlichkeit, alte Vorurteile werden wieder hervorgeholt, die nicht verschwunden sind, sondern nur verdrängt waren. Dass Natalia Sinelnikova ihre Hauptfigur Anna, die selbst einmal Fremde war, nicht als strahlende Heldin zeigt, sondern andeutet, wie auch Anna Teil der Strukturen wird und am Ende fast alles tut, um ihre Haut zu retten, macht „Wir könnten genauso gut tot sein“ zu einem bemerkenswerten Film. Michael Meyns

D 2022; 96 Min.; R: Natalia Sinelnikova, D: Ioana Iacob, Pola Geiger; Kinostart: 29.9.

Die Schule der magischen Tiere 2

„Die Schule der magischen Tiere 2“ von Sven Unterwaldt Jr. Foto: Leonine

KINDERFILM Bereits ein knappes Jahr nach dem erfolgreichen Teil 1 (1,7 Millionen Besucher) kommt nun schon der zweite Streich über einige Schüler und ihre sprechenden Tiere ins Kino. Man muss sich ranhalten, die Kids werden älter.

Standen zuvor noch Ida und ihr Fuchs Rabbat sowie Benni und seine Schildkröte Henrietta im Mittelpunkt, so rückt nun vor allem Anna-Lena in den Vordergrund. Die ist sehr schüchtern, da passt das ihr von der Lehrerin Miss Cornfield zugewiesene Chamäleon Caspar gut. Denn das kann eines vortrefflich: sich verstecken. Sunnyboy Jo hat mit seinem Pinguin Juri so seine Probleme. Das Tier möchte immer im Rampenlicht stehen und bringt Jo so öfter in die Bredouille. Der 250. Geburtstag der schönen Wintersteinschule soll mit einem Theaterstück begangen werden. Regisseurin wird Ida, Jo soll die männliche Hauptrolle spielen. Doch für die weibliche Hauptrolle drängt sich die zickige Helene in den Vordergrund. Dabei ist es doch Anna-Lena, die so wundervoll singen kann! Und dann droht auch noch die Premiere schief zu gehen, weil wieder jemand seltsame Löcher im Schulhof gegraben hat.

Es pubertiert im zweiten Film schwer zwischen den Schülern. Helene hat ein Auge auf Jo geworfen, der allerdings mag Ida. Und beim Tollpatsch Benni rumort es auch hormonell. Gekonnt hält die etwas brave Inszenierung von Sven Unterwaldt die Balance zwischen pfiffigen Gesangseinlagen, dem Innenleben der Protagonisten und den computergenerierten Tieren. Martin Schwarz

D 2022; 90 Min.; R: Sven Unterwaldt; D: Emilia Maier, Loris Sichrovsky, Lilith Johna, Leonard Conrads; Kinostart: 29.9.

Weinprobe für Anfänger

„Weinprobe für Anfänger“ von Ivan Calbérac. Foto: Studiocanal

KOMÖDIE Sie sind beide nicht mehr ganz jung und haben, wie man erst später erfährt, einen Verlust zu verarbeiten, zuerst aber sieht man Jacques, einen Weinhändler mit Alkoholproblem, und Hortense, eine Hebamme, die liebend gern selber ein Kind hätte, aber unter der Fuchtel ihrer strenggläubigen Mutter steht. Dass die beiden am Ende trotz anfänglicher Gegensätze zusammenkommen, ist dem Zuschauer von vornherein klar, ebenso wie klar ist, dass man von einer romantischen Komödie aus Frankreich kaum erwarten kann, dass sie das Rad neu erfindet. Regisseur Ivan Calbérac („Frühstück bei Monsieur Henri“), dessen neuer Film auf seinem eigenen Boulevardtheaterstück basiert, verlässt sich ganz auf seine beiden Hauptdarsteller (die diese Rollen auch schon auf der Bühne verkörpert haben), wobei Bernard Campan mit einigen trocken-lakonischen Dialogen punkten kann.

Zur Auflockerung gibt es noch die Rolle des jungen Praktikanten Steve, der um eine schlagfertige Antwort nie verlegen ist, gerade wenn es darum geht, seine Unlust an der ihm zugewiesenen Arbeit zu rechtfertigen. Als Alternative zu dem überdrehten George Clooney/Julia Roberts-Vehikel „Ticket ins Paradies“ durchaus ansehbar, ist das größte Kunststück des Films aber wohl, wie er das – durchaus ernstzunehmende (und zu Beginn von ihm auch ernstgenommene) – Problem des Alkoholismus am Ende in Luft auflöst. Frank Arnold

F 2022; 92 Min.; R: Ivan Calbérac; D: Isabelle Carré, Bernard Campan, Mounir Amamra, Eric Viellard; Kinostart: 29.9.

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