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Interview

Annika Pinskes Film „Alle reden übers Wetter“: „Es geht um Wertschätzung“

Von der DFFB kommen schon seit Jahren viele neue Talente für das deutsche Kino. Eines der besten Debüts ist „Alle reden übers Wetter“ von Annika Pinske. Die Geschichte einer Philosophin in Berlin, die mit ihrer Tochter ein Wochenende auf dem Land in ihrer Heimat verbringt. tip-Filmkritiker Bert Rebhandl hat mit Annika Pinske über ihren Film gesprochen.

„Alle reden übers Wetter“ von Annika Pinske. Foto: Grandfilm

Annika Pinske: „Ich hatte viele Fragen des Lebens“

tipBerlin Frau Pinske, in „Alle reden übers Wetter“ erzählen Sie von Clara, einer Philosophin und alleinerziehenden Mutter. Sie haben selbst auch Philosophie studiert. Wie kam das?

Annika Pinske Ich wusste überhaupt nichts darüber, ich denke, ich habe mich dafür entschieden, weil das Abitur einfach einen Raum aufgemacht hat. Ich war die erste in unserer Familie, die Abitur gemacht hat. Ich wollte was Neues ausprobieren, ich mochte das Theater, ich hatte viele Fragen an das Leben. Philosophie könnte da ein guter Begleiter sein, dachte ich. Dass man da mit noch mehr Fragen rausgeht, wusste ich nicht.

tipBerlin Clara muss sich auch im akademischen Betrieb behaupten. Konnten Sie bei diesen Szenen auf eigene Erfahrungen zurückgreifen?

Annika Pinske Das musste ich recherchieren, denn so weit bin ich persönlich nicht gekommen. Ich habe in Potsdam einen tollen Lehrstuhl kennengelernt, mit Christoph Menke, Juliane Rebentisch, Christiane Voss. Das war aber auch ein Zufall, denn ich habe Potsdam vor allem gewählt, weil das Semesterticket bis Frankfurt/Oder reichte, für Besuche bei meiner Mutter. Über Menke und Carl Hegemann von der Volksbühne, die beiden hatten miteinander zu tun, bin ich zu René Pollesch gekommen. Da wusste ich gleich, ich muss da unbedingt hospitieren. Pollesch hat die Philosophie einfach benutzt, seinen Alltag damit bearbeitet und einfach Gedanken rausgehauen. Das hat mich befreit. So entstand bei mir die Gewissheit, ich muss was Künstlerisches machen.

tipBerlin „Alle reden übers Wetter“ ist jetzt Ihr Abschlussfilm an der DFFB.

Annika Pinske Die Bewerbung an der DFFB war sicher die wichtigste Entscheidung in meinem Leben. Da ging es plötzlich um was. Das Filmstudium wollte ich unbedingt, und das war ein richtiges Risiko, ich wusste: wenn das nicht klappt, das wird furchtbar. Ich war auch schon 29. Es war also eine späte Entscheidung.

Annika Pinske, die Regisseurin von „Alle reden übers Wetter“. Foto: Grandfilm

tipBerlin Sie sind von der Philosophie zum Kino gewechselt. Gibt es zu Clara trotzdem vielleicht noch die eine oder andere Parallele?

Annika Pinske Vieles ist mir nahe, es ist nicht meine Geschichte, aber Claras Fragen sind auch meine Themen. Ich merke auch, dass es mich sehr berührt, wenn Menschen auf meinen Film emotional einsteigen. Das macht einen dünnhäutig, das bekommt eine ganze schöne Wucht. Zum Beispiel war ich beim Neiße Filmfest, da hatte ich ein bisschen Schiss davor, denn das ist schon auch eine AfD-Hochburg. Da hatte ich ein wenig Angst, dass der Film auch falsch verstanden werden könnte. Es war dann aber eines der schönsten Gespräche. Die Menschen im Publikum waren sehr dankbar. Da wurde über Kleinigkeiten wie den Toaster in der Ausstattung gesprochen: „Meine Oma hat auch so einen“. Da ging es viel um Wertschätzung, auch um Details.

tipBerlin Clara verbringt ein Wochenende bei ihrer Mutter. Die Schilderung des Milieus in der ehemaligen DDR fand ich sehr überzeugend.

Annika Pinske Ich fühle mich als Regisseurin aus dem Osten diesen Themen verbunden. Irgendwie ist diese Verantwortung bei mir gelandet. Ich habe eine Szene im Film, einen Streit mit dem Onkel von Clara. Da geht es auch um die Angst, dass wir gar nicht mehr über die gleichen Dinge reden können. Wenn man sich hinsetzt im engeren Kreis, wie stellt man sich da auf? Corona hat diese Verständnisprobleme echt noch mal potenziert. Da muss man irgendwie ran. Jeder redet nur aus seiner Befindlichkeit heraus, wie man das wieder zusammenführen kann, interessiert mich. Ich erinnere mich auch, wie absurd man sich teilweise für den Osten rechtfertigen musste, damals, als ich aus Frankfurt/Oder weggegangen bin.

tipBerlin Sie haben teilweise in dem Dorf Ihrer Großeltern gedreht. Der Begriff Heimat taucht im Film auf. Hängt das zusammen?

Annika Pinske Dass ich in diesem Dorf gedreht habe, hatte in erster Linie praktische Gründe. Wir hatten so wenig Geld, da brauchte ich einen Ort, den ich mir nicht erst erbeiten muss. Aber natürlich verbinde ich mit dieser Landschaft in Vorpommern so etwas wie Heimat. Wohnen würde ich es da jetzt nicht wollen, aber wenn man unterwegs ist, merkt man, was man doch gemein hat mit der Familie, mit den Menschen dort. Ich wurde auch gefragt, ob ich einen neuen Heimatfilm gemacht habe, und würde diesen Begriff gern vor falschen Besetzungen retten. Es geht da um die einfachen Dinge. Ich mag dieses Zurückkommen inzwischen, früher war das wahnsinnig stressig. Heimat sind prinzipiell schon meine Freunde und die Menschen mit denen ich mich im Alltag umgebe, aber ich mache es auch an den Orten fest, an denen ich aufgewachsen bin. Ich habe bloß was gegen Stolz.

„Man muss sich Mut erarbeiten“: Annika Pinske über ihre Arbeit an der Fernsehserie „Deadlines“

tipBerlin Sie waren mit „Alle reden übers Wetter“ auf der Berlinale. Jetzt kommt der Film ins Kino. Wie geht es nun weiter für Sie?

Annika Pinske Ich habe gerade vier Folgen der zweiten Staffel eine Serie gedreht, sie heißt „Deadlines“. Das war eine ganz interessante Erfahrungen, weil ich zum erstmal einen fremden Stoff inszeniert habe. Da konnte ich nochmal viel herausfinden. Die Schauspielarbeit macht mir schon großen Spaß, aber es ist doch was anderes und eben auch mit vielen Kompromissen verbunden. Man kann sich bei solchen Projekten aber auch den Mut erarbeiten, sich richtig aufzustellen und Räume zu schaffen für sich selbst und für die Schauspieler, obwohl vieles so disponiert ist, das kaum Zeit bleibt für Kreativität.

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Weiterhin von Interesse: Die Filmstarts der Vorwoche mit „Das Leben ist ein Tanz“. Mit der Regisseurin Julia Becker haben wir über ihre Komödie „Over & Out“ gesprochen. Einen unserer Filme des Jahres haben wir hier ausführlicher besprochen: „Das Glücksrad“ von Ryosuke Hamaguchi. Alles über das Kino in Berlin inklusive des täglichen Kinoprogramms haben wir immer hier.

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