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Die Filmstarts der Woche: Von „Hive“ bis zu „Das Leben ist ein Tanz“

Eine Kinowoche, in der wir ein wenig durchatmen können, eine Woche ohne dominanten Film, eine Woche für kleine Entdeckungen: zum Beispiel das Drama „Hive“ aus dem Kosovo. Oder „Atlantide“, eine fabelhafte, experimentelle Dokumentation über Venedig. Oder „Das Leben ist ein Tanz“ von dem französischen Kinoromantiker Cédric Klapisch. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.

„Hive“ erzählt von Frauenemanzipation im Kosovo

„Hive“ von Blerta Basholli. Foto: jip

DRAMA Fahrije lebt mit ihren zwei Kindern und dem gehbehinderten Schwiegervater in einem Dorf im Kosovo. Ihr Mann Agim wird vermisst – er ist eines der vielen Opfer der langen Auseinandersetzungen mit Serbien um die kosovarische Unabhängigkeit. Auch wenn Fahrije nun für die Familie sorgen muss, steht doch jede ihrer Handlungen im Zeichen eines rigiden Patriachats: Frauen, die einen Führerschein machen und Auto fahren, werden schnell einmal als „Nutten“ bezeichnet.

Blerta Basholli erzählt in „Hive“ davon, wie sich einige der Witwen allmählich organisieren. Sie stellen Ajvar her, eine lokale Spezialität aus Paprika und Auberginen, und gehen dafür eine Geschäftsbeziehung mit einem Supermarkt in der Hauptstadt Prishtina ein – ein weiterer Tabubruch: eine Frau, die „allein“ in die Stadt fährt. Ganz allein muss Fahrije allerdings nicht fahren, denn sie findet Unterstützerinnen. Eine Freundin deklariert sich als „Managerin“ einer Firma, die es noch gar nicht gibt. „Ich wusste gar nicht, dass du dieses Wort kennst“, staunt Fahrije.

Das sind leichte Anklänge von Komödie in einer ansonsten immer wieder entmutigenden Geschichte. So weigert sich der Schwiegervater, sich für eine DNA-Untersuchung Blut abnehmen zu lassen – dabei würde das bei der Suche nach Agim helfen. Und Fahrijes Tochter wirft der Mutter vor, sie hoffe gar nicht mehr auf eine Rückkehr des Vaters. Das Foto von Agim landet mit zerbrochenem Glas auf dem Boden, wird aber später wieder in Ehren gehalten. Auf Grundlage tatsächlicher Ereignisse erzählt „Hive“ eine repräsentative Geschichte von Emanzipation: Immer wieder treffen die Frauen auf Widerstand, sogar auf Gewalt, auch sexuelle. Männer, auf deren Unterstützung man hoffen könnte, erweisen sich als Enttäuschung. Schritt für Schritt aber setzen die Frauen sich durch. Der „Bienenstock“ („Hive“) ist einfach zu geschäftig.

In einer Dramaturgie, die mit internationalen Arthouse-Konventionen bestens harmoniert, schildert „Hive“ eine Geschichte von allgemeinem Interesse aus einem Land, das selten Beachtung findet. Ajvar aus Krusha ist heute übrigens tatsächlich ein begehrtes Gut, und im Abspann kann man das reale Vorbild für Fahrije sehen. Bert Rebhandl

Kosovo 2021; 84 Min.; R: Blerta Basholli; D: Yllka Gashi, Çun Lajçi, Aurita Agushi; Kinostart: 8.9.

Atlantide

„Atlantide“ von Yuri Ancarani. Foto: Rapid Eye Movies

EXPERIMENTALFILM Auf dem Festland, man kennt das, rasen die Jungmänner in frisierten Karren durch die Gegend, veranstalten Rennen auf Hauptverkehrsstraßen und wickeln sich mitunter um Alleebäume. In der venezianischen Lagune hüpfen die Hormongeplagten in kleinen, schnittigen Motorbooten, sogenannten Barchinos über die Wellen, pulverisieren einander die Geschwindigkeitsrekorde und lassen die Wasserpolizei alt aussehen. Hin und wieder kollidiert jemand mit einer abgefaulten Bricola – einem der hölzernen Pfähle, die dort seit Ewigkeiten als Wasserwegsmarken dienen –, die herumtreibt, wo sie nicht soll.

Yuri Ancarani, italienischer Videokünstler und Filmemacher, schöpft seine kleine Narration über Daniele, der gerne zu den Schnellen, den Coolen gehören möchte, dessen Bötchen aber zu wünschen übrig lässt, quasidokumentarisch aus der Jugendszene vor Ort. Über Jahre hinweg hat er geduldig beobachtend kleine Gesten und große Szenen gesammelt, dabei Unauffälliges, das bedeutsam werden wird, mit Verblüffendem verbunden, und solcherart „Atlantide“ aus dem Haff gehoben: ein wie sein Schauplatz zwischen Wasser und Erde flirrender, nicht fest gefügter filmischer Solitär zwischen Dokument, Fiktion, kritischem Reflex und Lust am Experimentellen.

Letztere wird geradezu überwältigend sinnlich, wenn die Impressionen des ziellosen Hedonismus im Schatten eines touristischen Hotspots schließlich in einen psychedelischen Rausch münden und das quasi entleerte, zur pseudoromantischen Kulisse verkommene Venedig die geisterhafte Kulisse liefert für eine donnernd durch die Kanäle ziehende Motorboot-Disko. Alexandra Seitz

I/F/USA/Katar 2021; 104 Min.; R: Yuri Ancarani; D: Daniele Barison, Bianka Berényi; Kinostart: 8.9.

Das Leben ein Tanz

„Das Leben ein Tanz“ von Cédric Klapisch. Foto: Studiocanal

DRAMA Mit dem Ende des (langen) Vorspanns von Cédric Klapischs „Das Leben ein Tanz“ ist es auch für Elise (Marion Barbeau) mit dem Leben als Tänzerin vorbei, zumindest vorerst. Bei einer Ballett-Aufführung knickt die Tänzerin um, eine schwere Knöchelverletzung scheint das Ende ihres Lebenstraums zu bedeuten. Fortan erzählt Klapisch weniger vom Tanzen selbst als von der Frage, wie mit dem Verlust des Lebensinhaltes umgegangen werden kann.

Statt in Trübsal zu verfallen, zieht es Elise nun aufs Land, ins Haus einer ehemaligen Tänzerin, die Elises Schicksal ebenso spiegelt wie ihre Familie: Die Mutter, die es einst war, die Elise zum Tanzen brachte, starb vor vielen Jahren, der Vater versucht seitdem, seinen drei Töchtern Halt zu geben. Das erzählt Klapisch so mäandernd, wie man es aus seinen stets sehr entspannten Filmen wie „L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr“ oder „So ist Paris“ gewohnt ist.

Als Fan von alten und neuen Formen des Tanzes zeigt sich der Regisseur hier, hat seine Hauptrolle mit der professionellen Tänzerin Marion Barbeau besetzt, die sich entsprechend grazil durch den Film bewegt. Und an ihrer Seite ist Hofesh Shechter zu sehen, ein israelischer Tänzer und Choreograph, der in der Realität und im Film zeitgenössischen Tanz zu Hip-Hop-Klängen inszeniert, was für Elise die Rettung bedeutet. Und so wird „Das Leben ein Tanz“ am Ende zu einem Film über Lebenswege und die Erkenntnis, dass das Ende eines Traumes der Beginn eines neuen sein kann. Michael Meyns

F 2022; 118 Min.; R: Cédric Klapisch; D: Marion Barbeau, Hofesh Shechter, François Civil; Kinostart: 8.9.

Alle für Ella

„Alle für Ella“ von Teresa Hoerl. Foto: Weltkino

MUSIKFILM Bibi hext nicht mehr. Dafür baut sie ihr Gesangstalent zu einer professionellen Karriere aus. Und Bibi hört jetzt auf den Namen Ella. Lina Larissa Strahl, Darstellerin der Bibi Blocksberg in mehreren „Bibi & Tina“-Filmen von Detlev Buck, verkörpert hier die Abiturientin Ella. Mit ihren Freundinnen Anais, Romy und Cahide macht sie als ‚Virginia Woolfpack‘ Musik und hofft auf eine professionelle Karriere nach der Teilnahme an einem Wettbewerb. Mit dem Rapper AlfaMK haben sie dabei allerdings einen ernstzunehmenden Konkurrenten, der zudem auf eine große Anzahl von Followern in den sozialen Medien setzen kann und sich dementsprechend arrogant gibt. Was Ella nicht davon abhält, sich in ihn zu verlieben. Dadurch ist der Stress mit den Freundinnen vorprogrammiert.

Die Musik, die im Film zu hören ist, hat manchmal durchaus Ohrwurmqualitäten, der erzählten Geschichte dagegen mangelt es an jeglicher Originalität. Das mag vielleicht Zuschauer der angesprochenen Altersgruppe nicht weiter stören, bietet der Film doch genügend Identifikationsmomente aus ihrem Alltag, verknüpft mit einer Aufsteigerfantasie. So überzeugend das Verhältnis der vier jungen Frauen zueinander, zwischen bedingungsloser Solidarität und dem Infragestellen von Ellas Alleingängen, auch sein mag, AlfaMK (bürgerlich: Leon) bleibt bis zuletzt der Schnösel aus reichem Hause, und Ellas Entscheidung für ihn wenig nachvollziehbar. Für Zuschauer jenseits der anvisierten Zielgruppe wenig unterhaltsam. Frank Arnold

D 2022; 95 Min; R: Teresa Hoerl; D: Lina Larissa Strahl, Safira Robens, Malene Becker, Tijan Marei, Milan Peschel, Lavinia Wilson; Kinostart: 8.9.

Die jungen Kadyas

„Die jungen Kadyas“ von Wolfgang Andrä, Yvonne Andrä und Eyal Davidovitch. Foto: barnsteiner

DOKUMENTARFILM Singen verbindet, heißt es gerne; Musik wird als Universalsprache bezeichnet. Diesem Gedanken folgte eine deutsch-israelische Initiative, die den Schola-Cantorum-Chor aus Weimar und den israelischen Mädchenchor Voices of Peace aus Jaffa zusammenbrachte, in dem jüdische und arabische Mädchen singen. Doch damit endete die Ambition der Chorleiterinnen nicht: Auf Jiddisch sollte der neugeschaffene Kadya-Chor bei einer Aufführung in Weimar singen, in einer Sprache also, die weder die Mitglieder des einen noch des anderen Chores sprechen.

Zur Vorbereitung des Konzerts besuchten die Chöre einander mehrmals, sangen zusammen, lernten sich kennen, stellten Ähnlichkeiten und Unterschiede fest. Sprachprobleme erwiesen sich dabei als kleinste Hürde, viel schwerer wogen die kulturellen Gegensätze und natürlich das historisch komplizierte Verhältnis zwischen Deutschland und Israel.

Das Regietrio Yvonne Andrä, Eyal Davidovitch und Wolfgang Andrä hat die Chöre begleitet, bei den musikalischen Proben, vor allem aber auch beim zwischenmenschlichen Umgang zwischen den jungen Chormitgliedern und ihren jeweiligen Gastfamilien. Besonders hier deutet sich die komplizierte Gemengelage an, wenn etwa arabische Israelis davon berichten, dass sie in der Schule kaum über den Holocaust lernen, oder die Chorleiter begreifen, dass das abstrakte Ziel des Projekts sich in der Realität als deutlich zu ambitioniert erweist. Am Ende von „Die jungen Kadyas“ steht dann die Erkenntnis, dass Musik zwar verbinden kann, man Gemeinsamkeiten aber auch nicht erzwingen kann. Michael Meyns

D 2019; 103 Min.; R: Yvonne Andrä, Eyal Davidovitch, Wolfgang Andrä; Kinostart: 8.9.

Fado – Die Stimmen Lissabons

„Fado – Die Stimmen Lissabons“ von Judit Kalmár und Céline Costa Carlisle. Foto: Arsenal

DOKUMENTARFILM Wer nur für den Fado gerne die Hauptstadt Portugals besucht, sollte diesen Film lieber nicht sehen. Oder vielleicht doch gerade. Denn der Dokumentarfilm „Fado – Die Stimmen von Lissabon“ von Judit Kalmár und Céline Coste Carlisle beschreibt nicht einfach nur das Lebensgefühl der melancholischen Lieder, sondern untersucht, wie sich Lissabon in den letzten Jahren auch durch den Erfolg des Fados verändert hat. Auch am südwestlichen Rand Europas legen Tag für Tag jene unsäglichen Kreuzfahrtschiffe an, die tausende Touristen in die engen Gassen der Altstadt, der Alfama, ausspeien und für die allerorts beklagte Gentrifizierung sorgen. Statt alteingesessener Bewohner beherrschen nun Airbnb-Unterkünfte die Stadt, anstelle der Einheimischen lauschen zunehmend Touristen den Fado-Klängen.

Einfach macht es sich der Film allerdings nicht: Da gibt es die ältere Sängerin Ivone, die in einem Vorort wohnen muss, da die Innenstadt zu teuer geworden ist, aber auch Marta und ihren französischen, längst zum halben Portugiesen gewordenen Lebensgefährten Jean-Marc, die versuchen, in der Alfama die Tradition des Fados lebendig zu erhalten. Für Einheimische und für Fremde. Einfache Antworten gibt es nicht, erst recht nicht auf die Frage, wie viel Tourismus sinnvoll und erträglich ist. Michael Meyns

Portugal/ Ungarn 2020; 87 Min.; R: Judit Kalmár, Céline Coste Carlisle; Kinostart: 8.9.

Mehr zum Thema

Hier haben wir auch noch die Filmstarts der Woche vom 1. September mit „Freibad“ von Doriss Dörrie. „Jede kämpft um ihr Glück“: Wir sprachen mit der Berliner Filmemacherin Julia Becker über „Over & Out“. Und auch mit Marc-Uwe Kling, der bei „Känguru-Verschwörung“ selbst Regie geführt hat, haben wir ein Interview. Auf dem Laufenden bleibt ihr Mit unserer Rubrik zu Kino in Berlin. Was läuft wann? Das aktuelle Kinoprogramm für Berlin ist hier.

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