Filmkritik

„Licorice Pizza“: Paul Thomas Andersons kalifornische Jugendträume

Paul Thomas Anderson ist einer der bedeutendsten Regisseure im gegenwärtigen Hollywood. Mit Filmen wie „No Country for Old Men“ oder „The Master“ hat er seine ganz eigene Handschrift entwickelt. Nun erzählt er mit „Licorice Pizza“ eine autobiographisch geprägte Geschichte aus dem kalifornischen San Fernando Valley in den frühen 1970er-Jahren. Eine Filmbesprechung von tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl.

Alana Haim in "Licorice Pizza" von Paul Thomas Anderson. Foto: Universal
Alana Haim in „Licorice Pizza“ von Paul Thomas Anderson. Foto: Universal

„Licorice Pizza“ erzählt von Ölschock, Pornoboom und Hollywood

Mit Hollywood geht es zu Ende. Das wurde zwar schon des Öfteren behauptet, und die These hat eine Schwachstelle inzwischen auch deswegen, weil niemand mehr genau weiß, was Hollywood heute noch bedeutet – außer dass der allgegenwärtige Disney-Konzern seinen Sitz in der Gegend hat. Die Endzeitstimmung, die sich mit dem einst glamourösesten Label der Unterhaltungswelt verbindet, lässt sich mit einer gewissen Nostalgie begründen, die bei einigen der größten amerikanischen Filmkünstler zu erkennen ist.

Quentin Tarantino trug zuletzt seine Hommage „Once Upon a Time in Hollywood“ sogar mit dem (natürlich ironischen) Tonfall eines Märchenonkels vor. Und nun folgt von Paul Thomas Anderson seinerseits eine Rückschau auf die 1970er-Jahre, als die Stars der goldenen Studio-Ära allmählich ihre Vergänglichkeit akzeptieren mussten, und als Steven Spielberg, George Lucas und Kollegen eine neue Ära des Kinos erfanden.

Paul Thomas Andersons neuer Film lässt 1970er-Jahre lebendig werden

„Licorize Pizza“ heißt das neue Projekt von Anderson. Wer seine Filme kennt und schätzt, „There Will be Blood“ zum Beispiel oder „The Master“, wird ungefähr wissen, worauf man sich einstellen kann: auf eine Geschichte, die mythologisch aufs Ganze geht, wie zugleich penibel in die Details der damaligen Lebenswelt und Lebensgefühle. 1973 war ja in vielerlei Hinsicht ein Wendejahr, nicht zuletzt aus heutiger, klimabewegter Sicht. Damals sprach man von einer Ölkrise, die sich aber als vorübergehend erwies, denn seither wurde noch jede Menge Öl von unter der Erde in den Himmel befördert. In „Licorice Pizza“ verbindet sich der Schock endlicher Ressourcen mit zweifelhafter sexueller Liberalisierung (in Gestalt des Pornofilms „Deep Throat“) und mit Präsident Nixon, für den das unehrenhafte und vorzeitige Ende seiner Amtszeit schon nahe ist.

„Licorice Pizza“ von Paul Thomas Anderson. Foto: Universal

Das sind aber eher Randaspekte, denn im Kern ist „Licorice Pizza“ von einer autobiographisch grundierten Romantik geprägt. Anderson erzählt von einem jungen Mann namens Gary, der damals gerade 15 ist, sich aber schon als Unternehmer hervortut. Er verkauft mit einer Firma names Soggy Bottoms Wasserbetten, auch das ein typisches Detail der Zeit, später eröffnet er einen Flipperschuppen. Gary wächst im San Fernando Valley auf, wie Paul Thomas Anderson selbst auch, der allerdings – Jahrgang 1970 – hier ein bisschen hinter seine eigenen Kindheitserinnerungen zurückprojiziert.

„Licorice Pizza“ ist voller persönlicher Bezüge

Diese zehn Jahre Unterschied zwischen eigener und erfundener Teenagerzeit sind auch für „Licorice Pizza“ bedeutsam, allerdings in einer interessanten Verschiebung: Gary verliebt sich nämlich in eine Frau, die zehn Jahre älter ist als er. Sie heißt Alana und wird von einer Frau gespielt, die mitten aus der heutigen Popkultur kommt: Alana Haim gehört zu der Band gleichen Familiennamens, mit ihrer Mutter hatte Anderson schon in jungen Jahren an der Buckley School zu tun, zu zahlreichen Songs von Haim hat er später die Musikvideos gemacht.

Es gibt also persönliche und popkulturelle Bezüge, von denen „Licorice Pizza“ durchzogen ist. Das gilt in gleichem Maß bei der männlichen Hauptrolle: Gary wird von Cooper Hoffman gespielt, dem Sohn von Philip Seymour Hoffman. Durch den frühen Tod dieses Ausnahmeschauspielers im Jahr 2014 wurde vor allem die letzte gemeinsame Arbeit „The Master“ (2012) zu einem Vermächtnis.

Das Kino von Paul Thomas Anderson war von Beginn an nostalgisch und revisionistisch zugleich geprägt. Dass er nun wieder das San Fernando Valley der 1970er-Jahre beschwört, schlägt eine Brücke zu den Anfängen seiner Karriere, als er mit „Boogie Nights“ die damalige Pornoindustrie in mythischer Größe (und komischem Größenwahn) erscheinen ließ. Noch in „Licorice Pizza“ streift Hollywood immer wieder deutlich an die schäbige Doppelgängerbranche an, vor allem mit einem Fleischfresserrestaurant namens Tail o‘ the Cock, in dem Männer damals gern mit Starlets Hof hielten. Bradley Cooper spielt eine Version des Produzenten Jon Peters, der damals mit Barbara Streisand zusammen war, Sean Penn hat eine herrlich durchgeknallte Szene als lederhäutiger Altstar. Mit dem großen Panorama „Magnolia“ (1999) maß Anderson sich an einem alten Meister wie Robert Altman, der mit „Short Cuts“ kurz davor eine ähnliche Ambition demonstriert hatte, den Alltag an der Westküste zugleich nuanciert und überlebensgroß in den Blick zu bekommen.

Das San Fernando Valley ist für Anderson, was für David Lynch der Mulholland Drive ist, ein Ort, den er mit persönlichem Wissen auflädt, den er aber in jedem Moment als eine historische Landschaft sieht. Mit „The Master“ und danach „Inherent Vice“ konnte man den Eindruck gewinnen, dass Anderson sich in den Prätentionen eines dezidiert „großen“ Hollywoodkinos verirren könnte, dass er das Prinzip Orson Welles (Genie um jeden Preis) quasi für selbstverständlich nehmen, es zugleich aber nur noch als ironische Formel ins Leere eines forcierten Stils laufen lassen könnte. „Licorice Pizza“ (der Film ist nach einem damaligen Plattenladen in der Gegend benannt) aber ist nun von einer so großartigen Unbekümmertheit geprägt, dass man einen mächtigen Schuss Verklärung des kalifornischen Traums gern mitnimmt. Und sogar wieder ein bisschen an Hollywood zu glauben beginnen kann.

USA 2021; 133 Min.; R: Paul Thomas Anderson; D: Cooper Hoffman, Alana Haim, Bradley Cooper; Kinostart: 27. 01.

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