Interview

„Online für Anfänger“: Wo ist Facebook eigentlich zuhause?

Die französischen Komiker Benoît Delépine und Gustave Kervern haben mit „Online für Anfänger“, im Original „Effacer l’historique“, einen absurden Film gedreht: Drei Menschen machen sich darin auf den Weg, das Digitale erstens zu durchschauen und ihm dann auch ordentlich die Meinung zu sagen. Wir sprachen mit den Regisseuren über ihre Online-Erfahrungen, die Protestbewegung der Gelbwesten, die Notwendigkeit einer Revolution und über einen Gastauftritt von Michel Houellebecq in ihrem Film.

Gustave Kervern und Benoît Delépine (v.l.) gut gelaunt bei der Premiere von „Online für Anfänger“ in Berlin. Foto: André C. Hercher für X Verleih

„Online für Anfänger“: Wie erreicht man eigentlich Facebook?

Wer an Facebook einen Brief schreiben möchte, am Besten per Einschreiben, hat gut zu tun. Denn es könnte unter Umständen schon an der Adresse scheitern. Das soziale Netzwerk verbindet inzwischen die halbe Welt, ist selbst aber schwer zu erreichen. In der Komödie „Online für Anfänger“ von Benoît Delépine und Gustave Kerpern probiert es ein Mann namens Bertrand trotzdem. Er hat einen triftigen Grund. Von seiner Tochter wurde ein Video hochgeladen, das besser nicht öffentlich zu sehen sein sollte. Nur wählt er für seine Beschwerde eine untaugliche Form, die gute, alte Schneckenpost.

Allerdings gibt es für eine Beschwerde gegen Facebook auch kaum eine richtige Form. Man stößt überall auf taube Ohren, oder auf Bots, oder ein Call Center, und vor allem auf sich selbst. Im französischen Original heißt der Film „Effacer l’historique“, also so viel wie „Verlauf löschen“. Delépine und Kervern, zwei erprobte französische Komödianten, sehen sich den Verlauf an, den die Digitalisierung in den letzten zehn Jahren genommen hat, und sie kommen zu dem Schluss, dass das alles in keine gute Richtung geht.

Ein Selfie geht immer: „Online für Anfänger“ von Benoît Delépine und Gustave Kervern. Bild: X Verleih

„Online für Anfänger“: Ausgangsmotiv ist die volle Cloud

Beim Gespräch in einem Berliner Hotel im Westen, mit einem prächtigen Blick auf die Gedächtniskirche, sitzen dem tipBerlin zwei leicht verwitterte ältere Herren gegenüber. Sie sehen ein bisschen aus wie Rockstars, sprechen aber wie Menschen, die nur ungern den Mund aufmachen. Ihr Französisch ist so ziemlich das komplette Gegenteil von Artikulation. Aber auch knarziges Gebrummel kann seinen Charme haben.

Das Ausgangsmotiv für ihren Film beschreibt Gustave Kervern so: „Neulich war meine Cloud mal wieder voll, seither bezahle ich einen Euro im Monat, die Cloud ist aber noch immer dauernd voll. So geht es uns doch allen mit dem Internet, oder nicht? Wir benutzen es täglich, aber wir verstehen es nicht ganz, und es wird immer teurer.“

Immer connected: „Online für Anfänger“ von Benoît Delépine und Gustave Kervern. Bild: X Verleih

Drei Menschen machen sich in „Online für Anfänger“ auf den Weg, das Digitale erstens zu durchschauen und ihm dann auch ordentlich die Meinung zu sagen. Neben Bertrand, der sich bald in eine Service-Stimme aus Mauritius verliebt, sind da noch Marie, von der ein Typ 10.000 Euro fordert, weil er sie beim Sex gefilmt hat, als sie deutlich zu viel getrunken hatte, und Christine, die ihren Job verloren hat, weil sie ihn wegen ihrer Seriensucht vernachlässigt hat. „Six Feet Under“ vertrug sich einfach nicht mit dem Sicherheitsprotokoll in einem Kernkraftwerk.

Sympathie für die Gelbwesten

Mit Corinne taucht in „Online für Anfänger“ ein Motiv aus der französischen Politik auf. Sie fühlt sich den Gelbwesten verbunden, also jener Protestbewegung, die gegen die Regierung in Paris demonstrierte, zum Teil auch randalierte, und gern auf Kreisverkehren ihr Camp aufschlug.

„Wir wollen damit nicht sagen, dass wir diese Proteste uneingeschränkt gutheißen“, erläutert Benoît Delépine. „Uns interessiert die Gefühlslage dahinter: diese radikale Vereinzelung, alle sitzen daheim, Essen wird geliefert, niemand trifft mehr jemand. Die Gelbwesten haben versucht, eine Kollektivität zu schaffen. Der Mainstream und die Konzerne wollen mehr Vereinzelung.“

Auch ein kleiner Gastauftritt des Schriftstellers Michel Houellebecq lässt sich als zwiespältiges politisches Signal lesen, denn „wir wissen nicht einmal genau, wo er steht“, sagt Gustave Kervern, „aber er ist wohl doch eher ein Rechter. Wie übrigens auch Gerard Dépardieu.“ Der hat in „Mammut“ die Hauptrolle gespielt, einem der erfolgreichsten Filme des französischen Duos.

Hysterische Lieferdienstler: „Online für Anfänger“ nimmt das Internet-Zeitalter aufs Korn

Für ein planes politische Statement ist „Online für Anfänger“ ohnehin zu absurd. Die drei Heldinnen machen sich schließlich auf den Weg, das Internet persönlich zu besuchen. Sie landen damit natürlich bei Serverfarmen, und nicht bei jemand persönlich Ansprechbarem. Der Film schwankt so ein bisschen zwischen einem Vergnügen an den Idiotien, zu denen uns die Digitalwirtschaft ständig verleitet, und einer untergründigen Traurigkeit über ein Leben, das tatsächlich seine Form verloren hat, auch seinen Zusammenhalt, während hysterische Lieferdienstler und programmierte Servicekräfte so tun, als wäre alles viel leichter geworden.

Delépine und Kervern sehen sich als waschechte Linke, die mit ihrem neuesten Film eigentlich eine Frage beantworten wollen, die sie sich schon in „Le grand soir“ („Der Tag wird kommen“, 2012) gestellt haben: Braucht es eine Revolution? Also einen grundlegenden Umsturz der bestehenden Verhältnisse?

„Eine Revolution würde nur etwas bringen, wenn sie uns alle arm machen würde“

„Wir haben schon vor zwanzig Jahren Don Quijotte gegen Windräder reiten lassen. Inzwischen wurde auch dieses Thema von den Rechten gekapert“, klagt Kervern, setzt dann aber mit durchaus ernsthafter Argumentation fort: „Eine Revolution würde heute nur etwas bringen, wenn sie uns alle arm machen würde. Nur das wird der ökologischen Herausforderung gerecht. Während des Lockdowns haben alle gesagt, nie wieder soll jemand für 15 Euro nach Spanien fliegen. Heute fliegen wieder viele für 15 Euro nach Spanien. Die meisten Menschen hängen an ihrem Wohlstand, die Wirtschaft wird eine ökologische Revolution nicht zulassen, und so werden wir wohl gegen die Wand fahren.“

Bertrand, Marie und Christine: drei Menschen, die sich beim Internet über die Zumutungen des digitalen Lebens beschweren möchten. In der absurden Komödie „Online für Anfänger“ führt der Weg des Protests zu Serverfarmen in Kalifornien und einer Bot-Frau auf Mauritius. Mit sympathischer Haltung und einigen guten Ideen nimmt das französische Komödiantenduo unsere Gegenwart aufs Korn.

Effacer l’historique (OT); F 2020; 110 Min.; R: Benoît Delépine & Gustave Kervern; D: Denis Podalydès, Blanche Gardin, Corinne Masiero; Kinostart: 28.10.


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Den tipBerlin-Überblick über alle Filmstarts der Woche haben wir hier; 2013 haben wir schon einmal mit Benoît Delépine und Gustave Kervern gesprochen, damals zu ihrem Film „Der Tag wird kommen“; alles zu Film und Kino im tipBerlin findet sich hier.

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